Abend
POV: Patrick
Mit Manu zu reden ist anders.
Es gibt keine vergangenen Versionen von mir, die er kennt, oder denen ich gerecht werden muss. Und es gibt keine zukünftige Version von mir, auf die ich ihn vorbereiten muss. Er wird das Dorf verlassen und wieder zu seiner Mutter ziehen, und dann sehen wir uns nie wieder. Er ist nur jetzt. Das macht alles ganz leicht.
Wir verlassen das Thema Mädchen, aber es fühlt sich nicht gezwungen an. Wir reden einfach weiter. Über alles.
Ich habe nie gelernt, Konversation zu betreiben ohne zu lügen. Jetzt mache ich es einfach, und ich liebe jede Sekunde davon. Es ist so leicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Er stellt keine Rückfragen, wenn er merkt, dass ich nicht antworten will. Er will nicht wissen, was mit mir los war, oder was ich mit Clint besprochen habe. Er will nur wissen, was ich schlimmer finde, gute Lyrics mit beschissener Musik, oder gute Musik mit beschissenen Lyrics.
Mittlerweile verstehe ich, was Robin gemeint hat. Mit der Art, wie Manu bei Mädchen ankommen kann. Aber ich weiß nicht, ob er es mit Absicht macht.
Ich lerne, dass er der Jüngste in seiner Familie ist, und dass er immer mehr unterschiedliche Stimmlagen vor jemandem benutzt, je länger er ihn kennt. Dass er nicht an Horoskope glaubt, und trotzdem manchmal welche ließt, nur aus Spaß. Dass er gegen fast alles allergisch ist, und trotzdem nicht auf die Sachen verzichtet.
Ich lasse mich so mühelos von unserer Konversation treiben, dass ich mich richtig erschrecke, als ich plötzlich wieder unsere Ausfahrt vor mir habe.
Moms Auto ist weg. Dads ist da. Drinnen brennt Licht.
Also haben sie richtig gestritten. So sehr, dass Mom abgehauen ist. Und um diese Uhrzeit wird sie nicht zurückkommen. Sie pennt bei ihrem Bruder, und Dad brennt wohl noch immer vor Wut.
Ich will nicht da reingehen.
Robins Auto schnurrt gehorsam unter mir, als ich es auf der Straße vor dem Haus einparke. "Manu?"
"Hm?"
"Kann ich bei dir pennen?"
Etwa eine Stunde später stehe ich vollgefressen mit irgendeinem sahnigen Nudelgericht in Manus Dachbodenkammer. Er steht hinter mir und betrachtet mich, während ich mich in seinem neuen Zuhause umsehe.
Er hat nicht viel getan, um den Raum zu seinem zu machen. Hannahs rustikal-elegante Möbel stellen die Ränder des Zimmers zu, und die freie Fläche in der Mitte wird von einem Flickenteppich ausgefüllt, gerade groß genug für einen schüchternen klassischen Walzer. Es ist klein und eng, und zugleich ist alles riesig. Er hat eins von diesen altmodischen, normlosen Betten, die zu breit für eine Person sind, und zu schmal für zwei.
Manus Koffer steht halb unter dem Bett. Richtig ausgepackt ist er nicht. Ein paar Schulhefte liegen auf dem klobigen Schreibtisch, ein Roman auf dem Nachttisch. Ein kleines hellblaues Kissen auf dem Bett, das mit einem Gesicht bedruckt ist und als einziger Neonfarbtupfer aus Hannahs Einrichtung in erdigen Tönen heraussticht.
Manu hat die Arme vor der Brust verschränkt. Ich weiß genau, warum er so entfremdet zu mir ist.
Beim Essen mit Hannah war ich derjenige, der sich ihm entfremdet hat.
Sobald ich in Hannahs Blick getreten bin, war ich wieder im Modus. So tun als sei alles in Ordnung, obwohl mein Vater nebenan sitzt und hilflos und gefährlich ist, und obwohl meine Mom abgehauen ist und bei ihrem Bruder schläft um mich mit ihm alleine zu lassen, weil sie mich mehr in der Verantwortung sieht als sich selbst. Ich kenne Hannah nicht gut. Die einzige Lüge, die ich ihr gegenüber aufrecht erhalten muss, ist die, dass meine Eltern ihr Leben im Griff haben. Aber das reicht, um mich zum Schauspieler zu machen. Zu etwas, was nichts mit dem Patrick zu tun hat, den Manu bisher kennt.
Ich trete näher an den Schreibtisch und drehe mich zu Manu. Er sieht nicht wütend aus. Beobachtet mich nur, geduldig und passiv, mit locker vor der Brust verschränkten Armen. Mit den Fingerspitzen fahre ich über die Hefte auf der Tischplatte. "Du hast Physik, Deutsch, Französisch und Geschichte ausgepackt, den Rest nicht. Seltsame Kombination an Lieblingsfächern."
Seine Lippen kräuseln sich. Da ist eine Sanftheit in seiner Belustigung. "Oder es sind einfach die Fächer, die wir heute hatten."
Richtig. Mit verlegenem Grinsen ziehe ich zum nächsten Objekt weiter.
"Du packst kaum aus. Hoffst du, dass du jeden Moment wieder zurück zu deiner Mutter fahren kannst?"
"Hannahs Einrichtungsstil spricht mich pur einfach mehr an." Er sagt es so trocken, dass ich für einen Moment glaube, er meint es ernst.
"Liest du das gerade?" Ich deute auf das Buch auf dem Nachttisch.
"Sonst würde es da nicht liegen."
"Gefällt es dir?"
"Sonst würde ich es nicht lesen."
Ich muss lachen, und ich kann sehen, dass Manu das Selbe zurückhält. "Willst du nicht über dein Leben zuhause reden?"
Er löst die verschränkten Arme und lächelt mich an. Seine Augen blitzen. "Willst du mir nicht erzählen, warum du plötzlich entschieden hast, dass du hier schlafen musst?"
Ein Austausch, den ich annehme, ohne darüber nachzudenken. "Meine Eltern streiten wie kleine Kinder, wenn ich nicht auf sie aufpasse. Meine Mom ist heute Abend zu ihren Bruder gefahren, und mein Dad will seinen Frust irgendwo auslassen. Da hatte ich keine Lust drauf." Er sieht besorgt aus, aber nicht auf diese Weise, die sich über mich stellt. Nicht wie ein Lehrer oder Elternteil, oder wie Robin manchmal. Einfach nur wie ein Kumpel. "Und du?", frage ich
Er zuckt mit den Schultern. "Ich sitze hier, während meine Familie zusammenhält und alle gemeinsam gegen eine Krankheit ankämpft. Fühlt sich an, als müsste jeder Schmerz von irgendwem gehört werden, nur meiner nicht."
Ich antworte ihm, ohne darüber nachzudenken. "Vielleicht bist einfach der Einzige, der gerade alleine klarkommt. Ohne gehört zu werden."
Er legt den Kopf schräg wie eine Katze. "Dann ist deine Mutter vielleicht auch nur nicht zuhause, weil sie dort nicht klarkommt, wenn du nicht da bist."
"Meinst du?"
"Ja. Sogar ich komme besser klar, wenn du da bist. Und ich stecke nicht mal in einer Ehekrise."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top