II


gewidmet Mona_Sommernacht, die es duldet, dass ich mich neben sie auf den dritten Platz gedrängelt habe.

Und Gratulation zu deinem letzten Konzert, das hoffentlich nicht das letzte Schriftwerk aus deinen Händen war.

„NEIN! STOP!" Thesa rennt bereits, bevor sie den Schrei beendet hat, obwohl sie es nicht mehr rechtzeitig schaffen wird. Aber Sanna steht schon reglos wie eine Statue, halb gebückt, die Hände nach den schönen, tödlichen Blüten ausgestreckt und wartet auf weitere Anweisung. Das hat Thesa ihr als kleines Kind beigebracht und diese „Dressur", wie es Andres nennt, hat Thesas Kindern schon mehrmals das Leben gerettet.

„Mama, was ist?", haucht Sanna, als Thesa sie erreicht. „Der Stier?" Valentin ist zwar gutmütig, aber nervös und kann gefährlich werden, wenn ihn etwas irritiert.

„Nein", Thesa ringt nach Atem. „Die Blumen. Fass sie auf keinen Fall an. Es sind Herbstzeitlosen."

„Ich dachte, es sind Krokusse."

Thesa schüttelt den Kopf. „Nein. Komm jetzt zurück. Friedas Fuikl ist schön genug."

Gehorsam folgt Sanna ihr zum Pferch, in dem die Kühe unruhig durcheinanderwuseln und tänzeln. Das Mädchen lächelt. „Sie wissen genau, dass es heut abigeht."

„Natürlich", stimmt Thesa der Tochter zu. „Sie sind ja nicht dumm."

Ein tiefes, klopfendes Brummen lässt sie aufschauen. Ihr Bruder Andres kommt mit dem großen Agrotron samt Milchanhänger auf die Alm gefahren. Noch bevor der riesige Traktor steht, öffnet sich die Kabinentür und Andres' vier Töchter purzeln heraus. Etwas langsamer folgen Nachbar Veit, auf dessen Knien sie gesessen haben und dessen Partner Malte, der seine beachtliche Länge auf dem Boden der Kabine zusammengefaltet hat.

Während die Mädchen sich um den Hals fallen, entsteigt auch Andres dem Gefährt und schlägt der Schwester herzhaft auf die Schulter. „Alles klar soweit, Mädel?"

Etwas mühsam lächelt Thesa zu ihm auf. „Bereit zum Aufkranzen, Bauer!"

Andres nickt nur, mit den Gedanken schon bei der Arbeit; so entgeht ihm Thesas gequälte Fröhlichkeit. Gut so. Von den Herbstzeitlosen und der Arbeit, die auf ihn wartet, wird sie ihm später erzählen. Erstmal muss der Abtrieb geschafft sein, bevor Andres die Erde um den Apfelbaum aufgräbt. Die Herde würde die Werkelei mit der mächtigen Baggerschaufel und das Geklopfe des Traktormotors nur unruhig machen.

Thesa geht zu den vier Mädchen. Die drei Älteren umarmen sie hastig und machen sich auf den Weg zum Schuppen, um die fertigen Käse gut verpackt auf Paletten zu stapeln. Thesa schaut überrascht den Weg hinunter. „Wo bleibt Kathrin?", erkundigt sie sich bei der Jüngsten, Eleni, die gerade mit der gutmütigen, sie abschleckenden Frieda schmust.

Mama musste noch zum Bahnhof, wen abholen", erklärt Eleni und greift nach Friedas Fuikl. „Oh, die ist aber schön!"

„Sanna hat sie auch extra noch mit Blüten besteckt", Thesa erschauert wieder. Sanna nach den hochgiftigen Pflanzen greifen zu sehen hat sie mehr erschüttert, als sie sich einzugestehen wagt. Aber sie beherrscht sich. Es ist nicht nötig, den Mädchen diesen Feiertag zu verderben.

„I mein das hier", Eleni bewundert eingehend das laminierte Bild auf dem Nasenspiegel der Almkrone. „Eine Kuh als Mutter Maria find ich ne tolle Idee. Und das Bild ist echt super gemalt!"

Erneut verkrampft sich Thesas ganzer Körper. Sanna ist es, welche die Kusine aufklärt: „Das war mein Bruder. Er kann toll malen, gell?" Sie hält die Fuikl über Friedas Stirn, bereit zum Aufkranzen.

„Ultra!", stimmt Eleni zu und schlingt Frieda die Haltebänder um Kopf und Hörner. Die alte Kuh hält gehorsam still. Sie hat das Aufkranzen schon etliche Male geduldig über sich ergehen lassen. Eleni lacht leise. „Sie schaugt aus, als ob sie sich freit!"

„Das tut sie", versichert Sanna. „Wann's ned aufkranzt wird, mag sie gar ned abi!"

Eleni betrachtet wieder das Bild. „Wann kommt Ruben eigentlich wieder?"

Diese Frage hat Thesa gefürchtet. Sanna stellt sie jedes Jahr beim Aufkranzen. Diesmal war Eleni schneller, aber das macht es nicht besser.

„Ja", Sanna blickt ihre Mutter an. „Du sagst jedes Jahr, du weißt's ned."

Thesa holt tief Luft, um ihr klopfendes Herz zu beruhigen. Jedes Jahr die gleiche Tortur. Es tut ihr weh, die friedliche Alm zu verlassen; ins Dorf zu ziehen, in welchem die Leute über sie tuscheln und Sanna teils mitleidig, teils prüfend ansehen. Aber das Schlimmste für sie ist diese wiederkehrende Frage, welche die Erinnerung an damals wachruft. An die Herbstzeitlosen, die zur Unzeit blühen. Und an das Unheil, welches sie damals dank Thesas Unachtsamkeit angerichtet haben.

Vielleicht ist es doch besser, den Fragen ein für allemal ein Ende zu bereiten. Sanna und Eleni sollten mit ihren zehn Jahren die Wahrheit inzwischen verkraften können.

„Nie mehr", sagt Thesa mit rauer, dunkler Stimme, wie sie die Mädchen noch nie von ihr gehört haben. „Ruben wird niemals zurückkommen."

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