Verzweiflung

»Bist du wirklich so blöd oder tust du nur so?«, fragte er ernsthaft.

Ich blinzelte einige Male. »Bitte was? Warum?«

Harry lachte ironisch in sich hinein und schüttelte den Kopf. »Verdammt, das Einzige, was ich damals die ganze Zeit wollte, war deine verfluchte Aufmerksamkeit, du Idiot!« Er fuhr sich aufgebracht durch die Haare. »Aber du hast mich nie beachtet! Ich hab mich da zum Clown gemacht und du warst dir aber immer zu cool oder was auch immer, um mal etwas mit mir zu machen!«

»Aber wenn Mom gesagt hat, dass ich was mit dir machen soll, hab ich es doch gemacht! Was ist dein Problem, Mann?« Ich trat einen Schritt von ihm weg und taumelte etwas. Der Alkohol stieg mir zu Kopf und die aufkeimende Wut in meinem Bauch machte es nicht besser.

Er sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Zwischen ihnen bildete sich eine tiefe Furche, die ich am liebsten mit dem Finger weggestrichen hä- Nein, Stopp! »Das Problem«, begann er und trat einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich sofort zurückwich und die Luft anhielt. »Das Problem ist, dass ich wollte, dass du von dir aus etwas mit mir machen wolltest. Ich habe jedes Mal in deinen verdammten Augen gesehen, dass du kein Interesse daran hattest, mit mir zu spielen!«

»Aber wir haben uns gehasst.« Es war mehr eine Frage als eine Aussage.

»Ich habe dich nie gehasst. Du mich aber scheinbar schon.«

»Vielleicht hättest du auch mal etwas netter zu mir sein sollen.«

»Ich war nett zu dir.« Er beugte sich zu mir herunter, als er dicht vor mir stand.

»Tja, scheinbar nicht nett genug«, wisperte ich. Mein Blick huschte zwischen seinen Iriden hin und her.

»Was hätte ich denn machen sollen, hm? Du wolltest ja nichts mit  mir zutun haben. Weißt du eigentlich, wie sehr mich das verletzt hat?«

»Du hast mir doch gar keinen Anlass gegeben, dich zu mögen«, erwiderte ich. »Du warst so fies. Warum hast du das überhaupt getan? Meine Aufmerksamkeit suchen? Mal davon abgesehen, dass ich davon nichts gemerkt habe.«

Er schnaubte und trat einige Schritte von mir weg. »Weil ich verdammt nochmal dein Freund sein wollte!«

Ich stockte. Er hatte mein Freund sein wollen? Wenn ich an unsere Zeit zurückdachte, die wir damals miteinander verbracht haben, kamen mir nur die Momente in den Sinn, in denen er mich geärgert hat, bis ich weggelaufen bin. War das seine Art, Zuneigung zu zeigen? Wenn ja, war das eine ziemlich verdrehte Art, das zu tun.

»D-du wolltest mein Freund sein?«, fragte ich ungläubig und ging um ihn herum, um ihm in die Augen sehen zu können. »Ich habe immer gedacht, du hättest es auf mich abgesehen.«

»Natürlich wollte ich damals dein Freund sein!« Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit. »Ich wollte nichts lieber! Aber du hast mir gar keine Chance gelassen.«

Unwillkürlich wurde mir bewusst, dass ich immer abweisend reagiert hatte, wenn er auf mich zugekommen war. In egal welcher Hinsicht. War es meine Schuld, dass unser Verhältnis so schlecht war? Ich musste schlucken.

»Warum hast du mir nie eine Chance gegeben? Eine einzige hätte mir doch gereicht«, wisperte er.

»I-ich… Du hast mir nie das Gefühl vermittelt, dass du mein Freund sein wolltest.«

»Ich habe dich angehimmelt, verdammt. Wie konntest du da nichts merken?«

»Harry, wir waren Jungen. Kleine Kinder, da begreift man eben nicht alles.«

Für einen Moment schwiegen wir, dann sah ich in seinem Blick, wie er dicht machte. Seine Maske wieder aufsetzte, die für einen Augenblick gebröckelt hatte, und ganz der alte Kotzbrocken wurde.

»Du willst es nicht verstehen. Dann lass es halt. Ich brauche dich nicht mehr«, fauchte er, riss mir die Flasche aus der Hand und schleuderte sie gegen den nächsten Baum, der nur wenige Meter von uns entfernt stand.

Ich zuckte heftig zusammen, als das Glas splitterte, in tausend Scherben durch die Luft flog und ich einen stechenden Schmerz an meiner rechten Augenbraue spürte. Sofort schnellte meine Hand nach oben und ich blickte entsetzt auf die rote Flüssigkeit, die sich an meinen Fingern sammelte. Der Alkohol in meinem Blut ließ meinen Kopf pochen, der Schmerz schien mein Gesicht zu lähmen. Ein Rinnsal lief mir am Auge entlang bis zum Kinn, wo ein kleiner Tropfen auf mein Shirt tropfte.

Harry folgte ihm mit den Augen und als er in dem Stoff meines Shirts verschwand, sah er mir wieder in die Augen. »Louis, ich…«, setzte der an, doch ich gab ihm nicht die Chance, zu reden.

»Nein, vergiss es«, zischte ich. »Du hattest diese Chance, endlich alles klarzustellen, aber du hast es versaut. Mal wieder! Glaub nicht, dass ich dir nochmal zuhöre. Du kannst mich mal, Harry Styles. Lass mich verdammt nochmal in Ruhe! Du machst doch eh alles nur kaputt.« Mit diesen Worten holte ich blitzschnell aus. Meine Hand traf fest auf seine Wange, wodurch sein Kopf zur Seite flog. Blut verschmierte sich auf seiner reinen Haut. Befleckte das perfekte Antlitz.

Entsetzt starrte er mich an, als ich gegen die Tränen ankämpfte und mit forschen Schritten aus dem Garten lief. Ohne darauf zu achten, wo mich meine Füße hintrugen, versank ich in meinen Gedanken. Wir waren so nah daran gewesen, uns auszusprechen. Vielleicht hätten wir sogar eine Chance gehabt, Freunde zu werden. Oder jedenfalls als normale Menschen nebeneinander existieren können ohne uns in jedem Moment an die Gurgel gehen zu wollen.

Ein Schnauben riss mich aus meiner Trance und mir wurde bewusst, wo ich war. Der vertraute Geruch nach Stall stieg mir in die Nase und etwas Warmes berührte mich im Nacken. Als ich mich umdrehte, sah ich den großen Kopf von Prince, der neben mir den Kopf aus seiner Boxentür streckte. Sein warmer Atem streifte über mein Gesicht, als er schnaubte.

Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Die letzten Tage seit er hier war, war ich immer nur an seiner Box vorbeigelaufen, hatte mir kaum Gedanken um ihn gemacht, weil ich zu viel zu tun hatte oder Harry mit ihm gearbeitet hatte.

Doch jetzt hielt ich ihm meine Hand hin, an der er neugierig schnupperte und dann seinen Kopf an meinem Arm rieb. Mein erster Eindruck von Prince war ein wenig eingeschüchtert gewesen. Als Harry ihn aus dem Transporter geführt hatte, hatte ich nur ein riesiges, imposantes Tier voller Temperament gesehen. Aber in diesem Moment, in dem ich ihm allein gegenüberstand, niemand sonst im Stall, erschien er mir ruhig. Ein gutmütiges Wesen. Ganz anders als vor einigen Tagen.

Ich streichelte ihm über die Stirn und den Hals, vergrub meine Hand in seiner welligen Mähne, die ihm bis kurz über die Schulter fiel. Schnaubend drückte er seine Nase gegen mein Shirt, was mich grinsen ließ. »Ich habe keine Leckerchen dabei, tut mir leid, Großer«, sagte ich leise und kraulte ihn hinter den Ohren, was auch nur ging, weil er den Kopf gesenkt hielt. Jetzt gerade fühlte ich mich deutlich nüchterner als vor einigen Minuten im Garten. Die Wut war abgeebbt und Ruhe kehrte langsam in mir ein.

»Meinst du, wir kriegen das wieder hin? Also Harry und ich?«, fragte ich leise, auch wenn ich wusste, dass Prince mir nicht antworten konnte. »Ich habe das ganz böse Gefühl, dass wir uns damals einfach vollkommen missverstanden haben, weil wir so unterschiedlich sind. Ich habe ihn immer für einen arroganten Arsch gehalten. Schon als wir noch Kinder waren. Aber er meint, dass er nur versucht hat, meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ist es mein Fehler? Ich weiß es einfach nicht. Ich wollte ihn nie nicht mögen, aber er hat es mir nicht gerade leicht gemacht. Er ist ein ziemlicher Sturkopf, weißt du?«

Prince schnaubte wieder leise und reckte den Kopf, sein Blick fixierte etwas hinter mir.

»Du bist nicht gerade weniger stur als ich, weißt du?«, brummte eine raue Stimme dicht hinter mir. Ein Arm tauchte in meinem Sichtfeld auf und er legte seine Hand neben meiner auf Prince Hals. Meine Hand wirkte neben seiner so viel kleiner. Ich spürte seine Nähe an meinem Rücken und versteifte mich augenblicklich.

»Ich habe ihn noch nie so ruhig erlebt«, erhob Harry nach einer Weile wieder das Wort.

»Nicht?«, fragte ich über meine Schulter. Ich lehnte mit dem Bauch an der Boxentür, Prince stand, den Kopf im Heu vergraben, in seiner Box und Harry noch immer dicht hinter mir. Eine seiner Hände lag auf dem kühlen Metall neben meinen Armen, die ich darauf verschränkt hatte. »Ich dachte, du wärst ein Pferdeflüsterer?«

»Das sagen viele. Aber es dauert eine Weile, bis man eine Verbindung zu einem Tier aufbaut. Bei ihm hier wird es wohl etwas länger dauern.«

»Meinst du, er nimmt es dir übel, dass du ihn hergeholt hast? Ich meine, er hat da ja nicht viel Mitspracherecht, nehme ich an.«

»Nein, Pferde sind nicht nachtragend.«

Wieder herrschte eine ganze Zeit Stille. Doch sie war nicht unangenehm, sondern ruhig. Das Atmen und leise Scharren der anderen Pferde im Hintergrund waren die einzigen Geräusche, die ich wahrnehmen konnte.

»Tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe«, flüsterte ich irgendwann. »Das war nicht fair. Nicht nachdem du dich so geöffnet hast.«

»Ist schon okay.« Ein leichter Windzug, der durch die geöffnete Tür zum Paddock wehte, fuhr durch seine Locken. Mittlerweile lehnte er neben mir, unsere Ellenbögen berührten sich fast.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ist es nicht. Es tut mir wirklich leid.«

»Entschuldigung angenommen.«

»Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich es damals wirklich nicht begriffen habe. Deine Art, Zuneigung zeigen zu wollen ist doch recht… ungewöhnlich.«

Er zog eine Augenbraue hoch. »Ach, wirklich?«

»Ja, ich meine, wer ärgert denn jemanden, mit dem er befreundet sein will? Ich dachte immer, du hast mich auf dem Kieker oder so«, sagte ich, als mir etwas einfiel. »Warte mal.«

»Hm?«, machte er und warf mir einen Blick aus dem Augenwinkel zu.

»Du ärgerst mich immer noch.«

»Ja, und?«

»Versuchst du das Gleiche, wie damals? Oder hast du es dieses Mal wirklich auf mich abgesehen, weil du sonst kein Opfer für deine Stänkereien findest?« Mit verschränkten Armen sah ich ihn abwartend an. Das interessierte mich jetzt aber wirklich.

»Such’s dir aus«, meinte er schulterzuckend. »Wenn du eine Antwort gefunden hast, sag Bescheid.« Er stieß sich von der Boxentür ab.

»Warte, eine Sache noch«, hinderte ich ihn daran, zu gehen.

»Was denn jetzt noch?« Da war er wieder, dieser dezent genervte Unterton in seiner Stimme.

»Haben wir jetzt, wo wir gesprochen haben, eine Art Waffenstillstand?«

»Warum sollten wir das haben?«, meinte er und machte auf dem Absatz kehrt, um aus dem Stall zu schlendern.

Die Hoffnung auf wenigstens ein paar Tage Ruhe verflüchtigte sich wie Rauch im Wind. Naja, ich hatte es immerhin versucht, dachte ich mir und machte mich auf den Weg, die Wunde an meiner Augenbraue zu verarzten.

// Huch, schon wieder Donnerstag? Die Zeit läuft aber auch. Wie war eure Adventszeit bisher? Ich bin krank, arbeite aber auch in der Kita, also erklärt sich das von selbst haha.

Was denkt ihr über die Situation? Lasst es mich gern wissen!
Bis dann,
Lea

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