Verlaufen

Der Wind frischte etwas auf, was immer wieder dazu führte, dass mein Papier sich verselbstständigte. Genervt aufseufzend klappte ich den Block zu und stopfte ihn zurück in meine Tasche.

Mein Blick ging hinauf in den Himmel. Einige Vögel flogen vorbei, die Blätter der weit ausladenden Baumkrone raschelten im Wind und immer mehr Wolken sorgten zunehmend für mehr Schatten. Es war frisch, aber immer noch auszuhalten. Trotzdem beschloss ich mit einem Blick auf mein Handy, mich langsam auf den Rückweg zu machen.

Ich stand auf, schulterte meinen Rucksack und wuschelte mir einmal durch die Haare, die mir vom Wind immer wieder ins Gesicht gepustet wurden. Ich ließ meinen Blick kurz schweifen und blinzelte einige Male. Shit, von wo war ich denn gekommen? Während ich hergegangen war, hatte ich weniger auf den Weg als auf die schöne Landschaft geachtet. Ich wusste nur noch, dass ich über irgendeinen Zaun geklettert war und dann noch eine Weile einfach durch die Gegend gelaufen war, bis ich die Eiche gefunden hatte.

»Scheiße«, murmelte ich und drehte mich einmal im Kreis, um nach irgendeinem Anhaltspunkt zu suchen. Probehalber ging ich ein ganzes Stück nach links, aber nichts.

Aus meiner Hosentasche zog ich mein Handy hervor und öffnete Google Maps, aber das Internet hier draußen reichte dafür nicht aus. Herzlichen Glückwunsch, Mr Tomlinson, Sie haben sich offiziell verlaufen.

Ein wenig verzweifelt scrollte ich durch meine Kontakte und rief kurzerhand Anne an. Sie konnte mir sicher weiterhelfen. Während ich darauf wartete, dass sie abnahm, lief ich ein wenig hin und her, blieb aber immer in der Nähe der Eiche.

»Hallo Louis«, begrüßte sie mich und ich hörte Rascheln im Hintergrund, dann ein Schnauben.

»Oh, hallo. Störe ich gerade?«

Es polterte und Anne seufzte. »Mensch, Pepper! Lass die Mistgabel in Ruhe!«, schimpfte sie. »Nein, du störst nicht. Alles gut bei dir?«

»Äh, ja. Also nein, ich hab mich irgendwie, ähm, verlaufen?«, beichtete ich ihr ein wenig kleinlaut.

Vom anderen Ende hörte ich nur ein leises Lachen. »Ach, Louis. Das ist nicht schlimm, so weit kannst du gar nicht weg sein. Also, was siehst du?«

Ich drehte mich um mich selbst. »Uhm, also ich stehe an einer großen Eiche außerhalb der Koppeln. Sie liegt in einem kleinen Tal oder einer Senke, so wie es aussieht. Sonst braucht man bestimmt etwas, um den Wald zu erreichen.«

»Ja, ich weiß, wo du bist. Schaffst du es allein, wenn ich dir den Weg sage oder soll ich jemanden schicken, der dich abholt?«, fragte sie und ein knarzendes Geräusch ließ mich mein Handy etwas vom Ohr weghalten.

»Ich glaub, es wäre besser, wenn mich jemand holen könnte. Wenn es keine Umstände bereitet. Tut mir leid.«

»Ach was, das ist keine große Sache. Warte einfach an der Eiche, ich schaue mal, wer gerade nichts zutun hat. Bis später!«, verabschiedete sie sich und legte auf.

Wahrscheinlich würde Niall gleich mit dem Geländewagen kommen. Ich setzte mich in der Sonne auf den Boden, damit ich im kühlen Wind nicht zu frieren anfing. Ein bisschen hatte ich schon ein schlechtes Gewissen, weil Niall jetzt extra herkommen musste, um mich abzuholen, weil ich Dummkopf nicht auf den Weg geachtet hatte.

In Gedanken versunken verging die Zeit, bis ich ein Geräusch hörte, das einem Herzschlag glich, recht schnell. Ich hob den Blick und stöhnte genervt auf. In der Ferne sah ich eine hochgewachsene Gestalt auf einem schwarzen Pferd angaloppieren.

Das konnte doch wohl nicht wahr sein.

Während er immer näher kam, rappelte ich mich auf und klopfte mir den Staub von der Hose. Meinen Rucksack wieder über die Schulter geworfen, stand ich mit verschränkten Armen da und wartete auf mein lebendiges Taxi.

In seinem Gesicht spiegelte sich ein düsterer und missmutiger Ausdruck wieder, als Harry sein Pferd einige Meter von mir entfernt durchparierte und schließlich zum Halt brachte. Warmer Atem schlug mir entgegen, als es mir neugierig den Kopf entgegenstreckte.

Ich musterte Harry, der genervt zu mir heruntersah. »Bist du so dumm, dass du dir nicht einmal Wege merken kannst?«

»Lass es einfach«, gab ich patzig zurück. »Warum hast du das Pferd mit?«

Verständnislos blickte er mich an. »Was denkst du denn?«

»Das ist doch total unpraktisch, wenn wir zu Fuß zurück gehen?«, gab ich im selben Tonfall zurück.

»Bist du echt so doof im Kopf oder tust du nur so? Als ob ich mit dir zu Fuß laufe.« Überheblich lachte er auf.

»Halt doch die Klappe. Wie kommen wir denn zurück?«

Genervt legte er den Kopf in den Nacken und atmete geräuschvoll ein und aus. »Wir reiten, was sonst?«

»Reiten? Auf dem Pferd?« Ich deutete auf das große Tier, auf dem Harry nur auf einer bunten Decke saß. »Nein, vergiss es. Nicht mit mir.« Um meine Worte zu untermalen, trat ich einige Schritte zurück.

»Angst, Tomlinson?« Styles betrachtete mich mit einem süffisanten Grinsen. »Du kannst auch gerne laufen, aber denk nicht, dass ich auf dich warte.«

»Niemals«, knurrte ich und hoffte, dass er die Zweifel in meinem Blick nicht bemerkte. »Wie komme ich da hoch?«

»Hochschwingen«, sagte er, als wäre es das Normalste der Welt.

Schnaubend zeigte ich ihm einen Vogel. »Bist du noch ganz klar im Kopf?« Mal ehrlich, das Pferd war ein gutes Stück größer als ich, sein Widerriss ragte sicherlich einige Zentimeter über meine Kopf hinaus. Wie sollte ich da bitte hochkommen?

»Okay, jetzt hör mir mal zu.« Harry stemmte sich seine linke Hand in die Seite, während er mit der anderen die Zügel hielt. »Entweder du schwingst dich irgendwie mit rauf oder du läufst, ganz einfach. Du entscheidest.«

Brummend betrachtete ich die bunte Decke. »Ich hab doch keine Ahnung, wie…«

»Saßt du etwa noch nie auf 'nem Pferd?«

»Doch«, sagte ich schnell. Vielleicht etwas zu schnell. »Es war nur nicht ganz so riesig und ich hatte eine Aufstiegshilfe, okay? Also, wie mache ich das?«

Ein belustigtes Glucksen zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ich blickte hoch. Das Funkeln in dem satten Grün seiner Augen gefiel mir gar nicht. Fuck, ich hätte einfach von Anne den Weg erklären lassen sollen. An die Möglichkeit, dass sie ihren Sohn schicken würde, um mich zu holen, hatte ich gar nicht gedacht.

Dann streckte sich eine Hand in mein Sichtfeld. »Ich habe weder die Zeit noch die Buntstifte, um dir zu erklären, wie du dich hochschwingst. Nimm einfach meine Hand, nutz meinen Fuß als Hilfe und ich ziehe dich mit einem Ruck hoch. Aber wehe, du machst meine Stiefel schmutzig, klar? Dann kannst du sie putzen.«

Etwas ungläubig sah ich auf die langen Finger, deren Nägel ab gepulte Nagellackreste aufwiesen. Kurz zögerte ich. Alles in mir sträubte sich dagegen, seine Hilfe anzunehmen, um mir nicht die Blöße zu geben, aber darauf, alleine zurück laufen zu müssen, hatte ich noch weniger Lust.

Seufzend umgriff ich seine Hand und platzierte meinen linken Fuß auf seinem schwarzen Lederstiefel. Hoffentlich machte ich den nicht wirklich dreckig. Seine Stiefel putzen konnte der gefälligst selbst. Mit der anderen Hand hielt ich mich an der Decke fest, bevor ich auf der Stelle hüpfte und schließlich mit einem Ruck auf den hohen Pferderücken gezogen wurde.

Ich musste noch ein bisschen herumrutschen, bis ich richtig saß, da trieb Harry das Pferd schon an und es verfiel in einen ruhigen Schritt. Vor Schreck, weil ich die Bewegung nicht sehen kommen hatte, quietschte ich auf und schlang reflexartig meine Arme um die schlanke Taille direkt vor mir.

»Festhalten«, brummte Styles über seine Schulter und zog meinen einen Arm noch ein Stückchen weiter um sich herum, sodass meine Hände nun beide auf seinem Bauch lagen. »Wenn du runterfällst, ist das dein Problem, klar?«

Ich kam nicht darum herum, bei dem überheblichen Unterton, der in seinen Worten mitschwang, die Augen zu verdrehen. Doch im nächsten Moment krallte ich mich an seiner Weste fest, denn nach einem kurzen Trab wechselte das Pferd erneut die Gangart und galoppierte über die weite Fläche.

Fuck, ich hatte mich nie getraut, zu galoppieren. Wahrscheinlich drückte ich deshalb mein Gesicht an den Rücken vor mir.

Dadurch, dass wir ohne Sattel ritten, spürte ich jede der weitgreifenden Bewegungen an meinen Beinen. Himmel, war das ungewohnt. Das letzte Mal saß ich mit sieben oder acht Jahren auf einem Pferd. Und das war deutlich kleiner gewesen. Die Bewegungen ruckelten mich immer weiter nach vorn gegen Harrys Rücken, bis ich ihn an meiner gesamten Vorderseite spürte. Ich wollte zurückrutschen, doch die Versuche blieben vergeblich.

Es dauerte, aber irgendwann gewöhnte ich mich an das Gefühl und traute mich, den Blick zu heben. Die Landschaft hatte sich verändert und zunehmend mehr Bäume rasten in einer beachtlichen Geschwindigkeit an uns vorbei. Der Wind zog an meinen Haaren und meiner Kleidung und ich musste niesen, weil dunkle Locken in meiner Nase kitzelten.

»Das ist aber nicht der direkte Weg!«, rief ich über den Wind meinem Vordermann ins Ohr.

»Ich weiß«, antwortete er mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.

Scheiße, wo brachte er uns denn hin? Ich merkte jetzt schon, wie mein ganzer Körper wehtat. Ich war diese Art der Fortbewegung einfach nicht gewöhnt.

Da ich nicht viel ausrichten konnte, krallte ich mich nur noch fester in seine Weste und lugte über seine Schulter. Was auch immer das werden sollte, ich würde ihm eine verpassen, sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Was bildete er sich ein, mich einfach so irgendwo mit hin nehmen zu können, ohne das mit mir abzusprechen?

Er konnte doch nicht einfach über andere Leute Köpfe hinweg entscheiden!

»Bring mich sofort zurück zum Hof!«, rief ich und verpasste ihm einen Klaps auf den Bauch. Ich wollte keine Sekunde länger als nötig mit diesem Arsch auf einem Pferd verbringen.

Als plötzlich ein Ruck durch das Pferd ging, krallte ich mich wieder fest. Mit weit aufgerissenen Augen bemerkte ich, dass wir den Boden unter unseren Füßen verließen. Harry beugte sich ein Stück nach vorn. Ich folgte seiner Bewegung, da meine Arme von ihm einfach mitgezogen wurden. Schreiend betrachtete ich den dicken Baumstamm, über den wir sprangen. Die Landung sorgte dafür, dass ich mit dem Kopf gegen Harrys Schulter knallte, wo ich ihn einen ganzen Augenblick liegen ließ.

Ich merkte, wie ich schwitzte. Mein Herz raste und meine Atmung ging unregelmäßig, während wir weiterhin unerbittlich durch den Wald preschten. Ich hätte schwören können, mein Leben an mir vorbeiziehen gesehen zu haben.

»Willst du uns umbringen?!«

Das Arschloch vor mir lachte laut und reckte einen Arm in die Luft, bevor er dem Pferd sanft auf den Hals klopfte, um es zu loben. »Lilly weiß schon, was sie tut! Und ich kann Springen!«

Seufzend sendete ich gleich mehrere Stoßgebete in den Himmel, dass wir doch bitte endlich bald am Hof ankommen mochten. Ich konnte nicht mehr.

Umso erleichterter war ich, als Harry die Zügel lockerer werden ließ und seine „Lilly“ in einen fleißigen Trab abbremsen ließ, bis sie schließlich nur noch Schritt ging. Atemlos schnappte ich nach Luft und entspannte meinen Körper etwas. Ich hatte das Gefühl, meine Beine wären aus Pudding.

Als ich meinen Blick hob, sah ich den Weg zwischen den Weiden, über den ich auch zur Eiche gekommen war. Wir ritten zwischen den weißen Zäunen hindurch bis zu den Reitplätzen, wo ich Niall sah, der gerade mit einem hellbraunen Pferd Bodenarbeit machte. Er winkte uns grinsend zu, bevor er sich wieder auf das Tier vor sich konzentrierte.

»Danke, dass du das übernommen hast, Harry!«, rief er noch, woraufhin ich stutzte und meinen Griff um Harrys Taille etwas lockerte.

»Oh, du verdammtes Arschloch«, knurrte ich und versuchte, ihn durch seine Kleidung hindurch zu kneifen. »Du hast das alles geplant! Du weißt ganz genau, dass ich nicht reiten kann und holst mich dann ab. Na warte…«

Ein tiefes Lachen vibrierte in seiner Brust, als hätte ich ihn ertappt. Er ließ Lilly im Eingangsbereich des Stalls halten, schwang sein Bein über ihren Hals und sprang dann auf den Boden. Zum Glück war ich schnell genug gewesen, meine Arme von ihm zu lösen. Sonst hätte er mich wohlmöglich mit vom Pferderücken gerissen.

Nun saß ich allein dort oben und wusste nicht recht, wie ich herunterkommen sollte, ohne direkt zu Boden zu gehen.

»Ach komm. Gib zu, dass es dir gefallen hat«, brummte er mit tiefer Stimme, während er seinen Kopf in den Nacken legte, um zu mir hoch zu sehen. »Oder hattest du Angst, hm?«

»Du Wichser.«

»Jetzt komm von meinem Pferd runter«, befahl er, trat aber nicht zurück.

Ich nickte ihm zu. »Du musst auch Platz machen.«

»Muss ich das?« Sein teuflisches Grinsen blitzte mir entgegen.

Mit verengten Augen rutschte ich ein Stück nach vorn, bevor ich mein rechtes Bein über Lillys Rücken schwang und etwas unbeholfen an ihrer Seite herunterrutschte. Als meine Füße den Boden berührten, drohten meine Knie für einen kurzen Moment, nachzugeben, aber ich hielt mich an dem Pferd fest.

Es dauerte einen kleinen Moment, bis ich sicher stand und mich umdrehte. Harry stand direkt vor mir und seine Augen verdunkelten sich um einige Nuancen.

~~~
Was denkt ihr von Harry?

Bis dann!

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