Pfannkuchen

Als ich aufwachte, war es tatsächlich etwas heller. Blinzelnd öffnete ich die Augen. Neben mir hörte ich ein leises Schnarchen. Ich drehte mich um und sah Harry neben der Luftmatratze liegen, die Decken nur noch halb auf sich, sodass Füße und nackter Oberkörper zu sehen waren.

Erst jetzt fielen mir die vielen Tattoos an seinen Armen und auf seinem Brustkorb auf. In dem düsteren Licht konnte ich nur dunkle Schemen erkennen. Als er sich plötzlich bewegte, wandte ich hektisch den Blick ab und betrachtete die Glut im Kamin.

»Du hast gestarrt.« Bei dem Klang der rauen Morgenstimme bekam ich eine Gänsehaut und schloss hastig die Augen. »Ich weiß, dass du wach bist. Du brauchst es nicht zu verstecken.«

Ohne etwas zu sagen zog ich die Decke über mein Gesicht und atmete aus. Für einen Moment tat sich nichts, bis ich ein leises Rascheln hörte und auf einem Mal hob sich die Decke direkt vor meinem Gesicht und zwei grüne Augen blitzten amüsiert zu mir herüber.

»Lass mich«, brummte ich und zog ihm die Decke vor dem Gesicht wieder herunter, damit er mich nicht weiter so gruselig anstarren konnte.

»Aufstehen, Faulpelz«, kam es zurück und meine Decke wurde mir nun ruckartig vollständig entwendet.

»Hey!«, protestierte ich, kringelte meine Zehen vor Kälte und versuchte vergeblich, meine Decke wieder zu ergattern.

»Was macht der Kopf?« Harry schmiss sich meine Decke über die Schultern und tapste barfuß zur Küchenzeile.

»Kalt.« Missmutig blickte ich auf den Deckenhaufen, der auf der Luftmatratze lag. Nach einem kontrollierenden Blick nach links, wo Harry stand, beugte ich mich runter und krallte mir eine der zwei Decken, die ich dann meinerseits um die Schultern schlang.

»Tee oder Kaffee?«

»Tee, wer trinkt bitte Kaffee?«

»Ich tu’s nicht gern, aber da muss ich dir zustimmen«, lachte Harry leise und drehte sich zu mir. »Ey, meine Decke.«

»Klappe, du hast mir meine geklaut, also habe ich deine. Wir sind quitt«, sagte ich und stand auf, um kurz im Bad zu verschwinden. Dort fühlte ich nach meinen Klamotten, die auf dem kleinen Wäscheständer lagen, doch sie waren noch immer nass. Seufzend ließ ich den kalten Stoff los und schlang die Decke enger um meine Schultern.

Als ich am Waschbecken stand, schaute ich das erste Mal, seit wir hier waren, bewusst in den Spiegel. Ein Zischen entfuhr mir, als ich die etwa drei Zentimeter lange, gerötete Schramme an meinem Haaransatz sah. Der Schnitt an meiner Augenbraue war auch noch nicht ganz verheilt, aber mittlerweile nur noch eine rote Linie mit etwas Schorf darüber.

Mit den Händen versuchte ich, meine Haare etwas zu richten, damit sie nicht mehr so sehr nach einem Vogelnest aussahen. Nachdem ich mir die Zähne mit der Zahnbürste, die Harry mir hingelegt hatte, geputzt hatte, trat ich wieder aus dem kleinen Bad. Ein verführerischer Geruch stieg mir in die Nase und ich schnupperte in der Luft herum, bis ich Pfannkuchen auf dem Tisch stehen sah. Zwei Teller mit jeweils einer Tasse Tee daneben standen ebenfalls auf dem Tisch.

Harry selbst stand an der kleinen Küche und backte die letzten Pfannkuchen. »Wenn du noch weiter starrst, hast du am Ende plüschige Pfannkuchen«, brummte er und warf mir einen belustigten Blick zu.

Fuck, ich hatte doch nicht gestarrt!

»Halt die Klappe, ich hab nicht gestarrt. Hättest du wohl gerne«, schnaubte ich und setzte mich an den Tisch.

Mit meiner Gabel lud ich mir einen Pfannkuchen auf den Teller. Unter normalen Umständen würde ich nicht freiwillig etwas essen, was er gemacht hatte, aber ich hatte Hunger und weder Lust noch Möglichkeit, mir eine Pizza zu machen. Also kippte ich etwas von dem Zucker über meinen Pfannkuchen und rollte ihn dann zu einer engen Rolle zusammen.

Auch wenn ich es nicht gern zugab, schmeckte der Pfannkuchen himmlisch. Ich musste mir ein genüssliches Seufzen verkneifen. Die Genugtuung würde ich ihm nicht geben.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er den Herd ausstellte und zu mir kam, den Teller mit den letzten Pfannkuchen in der Hand. Er setzte sich mir gegenüber auf den Stuhl. Sein Blick huschte kurz auf meinen Teller, als er sich einen Pfannkuchen nahm.

Ich schnitt mir ein Stück ab und stopfte es mir in den Mund. Gierig kaute ich und genoss das sättigende Gefühl, das sich in meinem Bauch ausbreitete. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich doch gewesen war.

Als ich einen Schluck trank, schaute ich zu Harry hinüber, der gerade vergeblich versuchte, seinen Pfannkuchen aufzurollen. Immer wieder rutschte ihm der Teig von der Gabel. Zucker lag bereits überall um seinen Teller herum verteilt auf dem Tisch und ich beäugte mir das Schauspiel eine Weile.

»Du kleines, blödes Drecksding«, fluchte der Lockenkopf in sich hinein. »Denk dran, wer dich ins Leben gerufen hat. Wie undankbar kann man denn sein? Ja, ich spreche mit dir…«

Mein Prusten unterbrach ihn, als ich lauthals anfing zu lachen. Meine Gabel fiel mir aus der Hand und landete auf dem Tisch, als ich mir den Bauch hielt. Die blauen Flecken, die ich von meinem Sturz überall an meinen Rippen hatte, schmerzten, doch das hielt mich nicht davon ab.

Harry betrachtete mich mit einer Schnute. »Das ist nicht lustig.«

»D-doch«, gackerte ich und wischte mir eine Träne von der Wange. »Doch, ist es. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so unbeholfen versucht hat, einen Pfannkuchen zu rollen.«

Schnaubend verschränkte er die Hände vor der Brust. »Ich bin nicht unbeholfen.«

»Dann hättest du dich mal sehen sollen.«

»Ach, leck mich«, schnaubte er, legte sein Besteck auf den Tisch und rollte den Pfannkuchen mit den Fingern auf, ehe er ihn sich tief in den Mund steckte. Dabei hielt er Augenkontakt mit mir und ich zuckte tatsächlich zusammen, als er provokativ heftig abbiss. Kurz war mein Lachen verstummt, doch als ich seine vollen Wangen sah, die sich nach Außen wölbten, weil er so viel Pfannkuchen im Mund hatte, musste ich wieder schmunzeln.

»Nein, danke«, erwiderte ich trocken auf seinen Fluch. »Ich bevorzuge die umgekehrte Variante.«

Prompt verschluckte Harry sich. Hustend spuckte er die Pfannkuchen Stücke aus seinem Mund auf seinen Teller zurück. Er hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht versehentlich Essensreste durch die Gegend zu spuken.

»Ew, du musst ja nicht gleich sterben, nur weil ich mal was gesagt habe«, brummte ich mit gekräuselter Nase.

»Sei still«, krächzte er und rang nach Luft. Sein Gesicht war schon vor Husten rot angelaufen und Tränen liefen über seine Wangen, die er sich mit dem Zipfel der Decke, in die er sich gehüllt hatte, abwischte. Dabei atmete er tief ein und aus, wobei ihm hin und wieder ein Husten entwich. »Du Arsch! Sag sowas doch nicht, wenn ich den Mund voll habe.«

»Aber es passte gerade.«

»Dann hättest du es dir verkneifen können, bis ich den Mund leer gehabt hätte!«, rief er und wischte sich erneut über die geröteten Augen. »Aber mal ganz davon abgesehen: Wie bitte?«

»Was?« Ich nahm einen Schluck Wasser, verwirrt darüber, was er meinte.

Er machte eine Handbewegung, als würde mir das helfen, zu verstehen, was er meinte. »Du stehst auf Typen?«

Ich erstarrte in der Bewegung, mir ein weiteres Stück abzuschneiden und verengte die Augen, als ich zu ihm aufsah. »Ein Problem damit?«

»Nein, warum sollte ich?«

»Dann ist ja gut«, sagte ich und ein Hauch von Feindseligkeit schwang in meiner Stimme mit. Ich tolerierte und akzeptierte jede Sexualität, aber ich konnte es nicht ab, wenn jemand eine andere Person dafür verurteilte oder verachtete. Allein der Gedanke, weiterhin mit Harry in einem Raum zu sein, wenn er anderer Meinung als ich wäre, war unausstehlich. Ich wäre gegangen, egal wie schlecht das Wetter draußen sein mochte.

Lieber im Wald verrecken, als verachtet zu werden.

Schweigend aßen wir weiter. Nach vier Pfannkuchen war mir fast schlecht. Ich trank einen Schluck Wasser und schob dann meinen Teller von mir. Die warme Mahlzeit hatte verdammt gut getan und ich fuhr mir entspannt über den Bauch.

»Hat’s geschmeckt?« Harry schaute mich abwartend an, ebenfalls im Stuhl zurückgelehnt.

»Auch wenn ich es nicht gerne zugebe: Ja, hat es.«

Er grinste auf meine Antwort hin und stand auf. »Ich würd ja glatt sagen, dass wir einen Film anschauen können, aber wir haben keinen Fernseher hier.«

»Was soll mir das jetzt sagen?«

»Dass ich einen Film anmachen würde, den du absolut nicht ausstehen kannst.«

»Arsch.« Ich verdrehte die Augen und drehte mich in seine Richtung, als er zu einem der Schränke ging. »Nochmal bitte?«

Er kramte in dem Schrank herum, bis er einen Karton herauszog. Die Aufschrift konnte ich im schummrigen Licht des Kamins nicht erkennen. Ich beobachtete ihn ein wenig skeptisch dabei, wie er die Luftmatratze aus dem Weg schob und eine Decke sowie die Kissen auf dem Boden verteilte.

»Was machst du da?«, fragte ich und stand auf, schlang dabei meine Decke enger um meine Schultern.

// Gedanken?

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