Konfrontation... oder so
Nach dem Vorfall in meinem Zimmer sah ich Harry für einige Tage nicht mehr. Er lief mir weder im Flur noch auf dem Hof über den Weg. Hatte er sich verzogen, weil es ihm unangenehm war?
Naja, sollte es mir recht sein. So musste ich mich wenigstens weniger mit ihm herumschlagen.
Ich hatte gerade mit Mom telefoniert und ihr von meiner Reitstunde bei Gemma berichtet, obwohl ich das eigentlich für mich behalten wollte. Nur hatte Anne ihrer Freundin scheinbar begeistert berichtet, wie toll sich ihr Sohn bei seiner ersten richtigen Reitstunde geschlagen hatte. Demnach blieb mir nichts anderes übrig, als mich dem Hagel aus Fragen zu ergeben.
Es war früher Nachmittag, als ich hinaus auf den Hof trat, um mir ein wenig die Beine zu vertreten. Die Sonne schien angenehm vom Himmel herab und wurde hin und wieder von kleinen Wölkchen verdeckt, was für gelegentliche Abkühlung sorgte. Zwar war es bei Weitem nicht so warm wie die letzten Tage, doch trotzdem zeigte das Thermometer kuschlige siebenundzwanzig Grad an. Der seichte Wind, der die Blätter der großen Weide in der Mitte des Hofes zum Rascheln brachte, ließ es nicht ganz so warm wirken.
Niall schob gerade eine Schubkarre voller Mist aus dem Stall, als er mich entdeckte und mich zu sich winkte. »Hey!«, rief er breit grinsend und stellte die Karre ab.
Ich ging zu ihm rüber. »Hi, wie geht’s dir?«, fragte ich, da ich ihn seit einigen Tagen nicht wirklich gesehen hatte. Soweit ich wusste, hatte der Ire Urlaub gehabt und war für wenige Tage zu seiner Familie nach Irland gefahren.
»So gut, wie lange nicht mehr. Der Besuch bei meiner Familie hat sehr gut getan. Und was war hier so los? Irgendwelche Vorkommnisse, von denen ich wissen müsste?« Er wackelte mit den Augenbrauen, was mich schmunzeln ließ.
»Nein. Nichts los.«
»Schade, ich hatte schon gehofft, dass…«
»Dass was?« Ich sah ihn schräg von der Seite an, während er sich wieder mit der Schubkarre in Bewegung setzte. Ich folgte ihm.
»Ach, nichts«, sagte er rasch, als wir um die Ecke des Stalls bogen, um zum Misthaufen zu gelangen. »Jetzt aber mal was anderes. Kommst du zum Dorffest heute Abend?«
»Warte mal, welches Dorffest?« Irritiert sah ich ihn an.
»Oh, ich dachte, Anne hatte das mal erwähnt. Naja, jedenfalls findet im Dorf heute das jährliche Dorffest statt. Wenn du Lust hast, darfst du natürlich gerne mitkommen. Ich glaube, deine Schwestern fahren mit Anne und Robin.«
Ich überlegte für einen Moment, bevor ich den Kopf schüttelte. Wenn heute Abend alle zum Fest fuhren, bedeutete das, dass niemand sonst hier wäre. Die perfekte Gelegenheit, um meine Ruhe zu haben und einen ungestörten Abend auf dem Balkon zu verbringen. Vielleicht mit einem Buch, oder meinem Skizzenbuch.
»Das ist nett von dir, aber ich bleibe hier. Irgendjemand muss ja aufpassen, dass nichts passiert.«
Niall zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst, ich wollte es dir nur anbieten. Nicht, dass es am Ende heißt, ich hätte dich vergessen.«
»Ach, alles gut. Habt dann einen schönen Abend«, lächelte ich ihm zu und winkte ihm, als ich zu den Reitplätzen ging. Daisy und Phoebe standen dort mit ihren beiden Lieblingsponys und hörten zu, was Gemma sagte.
~
Als sich der Tag in einem wunderschönen Sonnenuntergang dem Ende neigte und Anne, Robin und alle anderen zum Fest aufgebrochen waren, saß ich draußen auf der Terrasse und ließ mir die letzten warmen Sonnenstrahlen ins Gesicht fallen.
Die Ruhe, die auf dem sonst so geschäftigen Hof eingekehrt war, empfand ich als eine angenehme Abwechslung. Alles, was ich hören konnte, wenn ich die Augen schloss und lauschte, war das Zwitschern der Vögel, die auf den vielen großen Bäumen saßen, das leise Rascheln der Blätter und das sanft über den Rand des Pools schwappende Wasser.
Gerade, als ich dachte, es könnte friedlicher nicht sein, knallte im Haus eine Tür und Schritte kamen durch das Wohnzimmer auf mich zu. Ich erstarrte und überlegte, wer das sein könnte, doch bevor ich auf eine Antwort kam, stand diese neben mir, eine Flasche Vodka und eine Cola in der Hand. Der leichte Geruch nach Alkohol stieg mir in die Nase und ich seufzte innerlich auf.
Das konnte nicht sein Ernst sein.
»Ich dachte, du wärst mit auf dem Fest«, brummte Harry bereits leicht angetrunken. Er ließ sich schwerfällig auf den Liegestuhl neben mir fallen und genehmigte sich einen Schluck von der Cola.
»Hätte ich gewusst, dass du nicht mit fährst und dich stattdessen volllaufen lässt, wäre ich mitgefahren«, erwiderte ich scharf.
Er warf mir einen Blick von der Seite zu. »Ey, sei nicht so gemein.«
»Du bist doch derjenige, der immer auf die fiesen Spielchen setzt.«
»Pff«, machte er und hickste. Mit einem Finger zeigte er auf mich und wedelte dabei gefährlich wild mit der Colaflasche herum. »Du lässt mir ja keine andere Wahl.«
»Was soll das denn bitte heißen?«, empörte ich mich und setzte mich ein wenig auf, den Blick säuerlich auf ihn gerichtet.
Bevor er sprach, nahm er einen großen Schluck aus der Vodka-Flasche. »Du bist so kalt und abweisend! Sobald ich irgendwie versuche, normal mit dir zu reden, bist du gleich so… so… gemein und versuchst es gar nicht erst.«
»Ich? Gemein?« Ungläubig über das, was er gesagt hatte, schüttelte ich den Kopf. »Wer ist denn derjenige, der ständig irgendwelche fiesen Kommentare von der Seite gibt? Wer ist der, der andauernd von oben herabreden muss und denkt, dass er mehr wert ist als andere, nur weil er bei irgendwelchen Pferdeauktionen dabei ist?«
Harry schnaubte und blickte mit finsterer Miene in den Sonnenuntergang. Die goldgelben Strahlen ließen seine Augen noch grüner wirken und bronzefarbene Reflexe in seinen Locken schimmern.
»Warum tust du das?«, fragte ich, als er nichts erwiderte.
»Was?«
»Diese ständige Schikane mir gegenüber? Ich verstehe nicht, was du für ein Problem mit mir hast. Hasst du mich so sehr?«
Sein Kopf schnellte herum. »Nur, damit eins klar ist, ich hasse dich nicht. Hass ist ein starkes Wort.«
»Und was ist es dann? Sag es mir, ich habe keine Lust mehr, im Dunkeln herumzuirren!«
»Verdammte Scheiße«, fluchte er und hob die Vodka-Flasche an seine Lippen, doch ich war schnell genug, langte herüber und riss sie ihm aus der Hand.
Obwohl ich wusste, dass purer Vodka nicht gut für meinen Magen war, trank ich einige große Schlucke hintereinander weg und verzog das Gesicht bei dem bitteren Geschmack.
»Hey, was soll das? Meins!«
»Dieses Gespräch kann ich nicht nüchtern führen«, murmelte ich abgeklärt und reichte ihm die Flasche zurück.
»Ih, jetzt ist da Sabber dran.« Er rümpfte die Nase.
»Also, warum tust du das?«, fing ich wieder an. Das Thema ließ ich jetzt ganz sicher nicht ruhen, bis ich eine Antwort bekommen hatte. »Du hasst mich nicht, aber hast eindeutig irgendein Problem mit mir. Sag es mir, dann können wir vielleicht daran arbeiten. Ich habe es deiner Mutter versprochen.«
Es sah aus, als widerstrebten ihm seine Gedanken, denn er schüttelte langsam mit geschlossenen Augen den Kopf. »Du warst von Anfang an immer der tolle, kleine Louis. Das Kind, das jeder haben wollte, mit dem jeder befreundet sein wollte.«
»Ach, hast du Komplexe? Weil ich etwas älter bin als du? Tja, tut mir leid, nicht mein Problem.«
»Halt die Klappe!«, fuhr er mich an. »Ich versuche hier gerade ein ernsthaftes Gespräch zu führen, also sei so gütig und hör einfach mal zu, wenn ich schon auf deine Frage antworte, klar?!«
Ein wenig eingeschnappt verschränkte ich die Arme vor der Brust und lehnte mich gegen die Lehne in meinem Rücken, die ich etwas weiter aufgestellt hatte, um aufrechter sitzen zu können. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch sehr anstrengend werden würde, weshalb ich erneut nach der Flasche griff.
»Den hatte ich mir mitgenommen«, brummelte Harry, den Blick lodernd auf meinen Lippen, die den Hals der Flasche berührten.
»Jetzt wirst du wohl oder übel teilen müssen.« So langsam spürte ich die Wirkung des Alkohols. Meine Zunge wurde schwerer. Auf nüchternen Magen so viel so schnell zu trinken, war vielleicht nicht unbedingt die beste Idee. Aber was soll’s. »Also, dann erzähl, was du zu erzählen hast.«
Der Lockenkopf schüttelte mit dem Kopf und stand auf. Unschlüssig lief er im Garten herum, vergrub seine nackten Zehen im kühlen Gras. Langsam wurde ich ungeduldig. Verdammt, ich wollte endlich wissen, was sein Problem mit mir war!
Ich stand ebenfalls auf und ging zu ihm rüber, blieb schräg hinter ihm stehen. Von der Seite sah ich, wie sein Blick in die Ferne ging, als er die Flasche an seine Lippen führte und einen weiteren Schluck trank. »Du wirst es nicht verstehen«, murmelte er kaum hörbar und schloss die glitzernden Augen.
»Dann erklär es mir!«, bat ich eindringlich. Unbewusst hob ich meine Hand und legte sie auf seine Schulter. »Erklär es mir und ich werde versuchen zu verstehen.«
»Waru-« Seine Stimme brach und er räusperte sich. »Warum willst du es wissen? Ausgerechnet jetzt, nach all den Jahren?«
»Hör zu. Ich wollte nie, dass es so zwischen uns wird. Aber… aber du warst immer so…« Ich rang um Worte.
»Sag’s schon.«
Ich nahm ihm die Flasche aus der Hand, wobei sich unsere Finger berührten. »Du warst immer so arrogant. Du hast immer nach Aufmerksamkeit gegiert und dachtest, du wärst besser als die anderen, weil deine Eltern so einen großen Hof besitzen«, platze ich heraus.
Harry sah mich verständnislos an.
// Zur Feier des Tages gibt's hier heute auch noch ein Kapitel :)
Was sagt ihr?
Bis dann,
Lea
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top