Hütte im Wald

Es ruckelte, als ich langsam wieder zur Besinnung kam. Ich befand mich in einer sitzenden Position. Wie war ich dahin gekommen? Ich konnte mich nur noch daran erinnern, über den Waldboden gerollt zu sein. Dann lag ich. Meine Ohren rauschten und Kälte umschloss meine Glieder wie ein unangenehmer Umhang.

Mein Kopf pochte bei jeder kleinsten Bewegung. Ein Schnauben, dann eine Stimme.

»Wir haben es gleich geschafft«, drang sie wie durch Wasser an mein Ohr. »Du machst das toll, Lilly.«

Übelkeit machte sich wieder in mir breit und ich schmeckte Blut auf meinen Lippen. Der metallische Geschmack war widerlich. »Hilfe«, brachte ich heiser hervor.

Ich spürte eine Berührung an meiner Schulter. »Wir sind gleich da. Halt durch«, sagte die Stimme erneut. Dunkelheit wollte sich wieder um mich legen, doch etwas hielt sie davon ab, Besitz von mir zu ergreifen. »Bleib bei mir, Louis. Mach die Augen auf, ja?«

»Mhm«, machte ich träge und lehnte meinen Kopf gegen den großen Körper hinter mir.

Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis das Ruckeln stoppte und ich eine Bewegung hinter mir spürte. Die Wärme verschwand und Hände griffen unter meine Arme. Vorsichtig wurde ich nach unten gezogen. Wie auf einem Bett aus Wolken wurde ich getragen, bis ich irgendwann etwas Weiches unter mir spürte.

Flatternd öffnete ich die Augen. Es war dunkel, doch ich konnte schemenhaft eine Gestalt erkennen, die ein Feuer entzündete. Mir war kalt und ich merkte, wie unregelmäßig ich atmete. Meine tauben Glieder zitterten.

»Hallo, du Idiot.« Die Gestalt kniete vor mir nieder und strich mir die klatschnassen Haare aus dem Gesicht. »Was machst du denn auch für einen Mist. Hast allen einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Das freundliche Lächeln musste ich mir einbilden.

»Harry«, krächzte ich.

»Psst, sag nichts. Ich mache dir einen warmen Tee und hole Decken, damit wir dich flott wieder warmkriegen. Du bist unterkühlt und ich muss die Wunde an deiner Stirn verarzten. Das geht nicht, wenn du so zitterst«, sagte er, eine Hand auf meiner Schulter. »Warte hier, ich bin sofort wieder da.«

Mein Hirn war verwirrt. Das konnte unmöglich Harry sein. Doch als sich meine Sicht klärte und das Feuer im Kamin größer wurde, konnte ich sein Gesicht deutlich vor mir erkenne, als er mit Decken und trockener Kleidung auf dem Arm zurückkam.

»K-kalt«, schlotterte ich.

»Ich weiß. Du musst aus den nassen Klamotten raus.« Unsicher blickte er mich an. »Kriegst du das hin oder soll ich dir helfen?«

Ich schüttelte den Kopf, setzte mich langsam auf und versuchte, mir mein Shirt selbst auszuziehen, aber ich war zu schwach. »Warte«, murmelte er leise, schob vorsichtig meine verschrammten Hände zur Seite und half mir, meine Kleidung auszuziehen. »D-die Boxershorts musst du aber selber machen. Das äh- kann ich nicht. Ich drehe mich auch um.«

Das ließ mich sogar ein wenig grinsen. Umständlich stützte ich mich auf seine Schulter, die er mir anbot, und zog mir die Unterhose aus, wobei er demonstrativ in die andere Richtung schaute. Als ich die Jogginghose hochzog, die er mir hinhielt, drehte er sich wieder herum, als ich gerade den Bund hoch genug hatte, dass er nichts sehen konnte.

»Himmel.« Er räusperte sich und griff nach dem flauschig aussehenden Pullover, den er mir kurzerhand selbst über den Kopf zog. Darauf bedacht, meinen Kopf nicht zu sehr zu berühren.

»So, lass mich mal sehen«, meinte er dann, nachdem er mich in mehrere Decken eingewickelt hatte. Seine Hände fühlten sich kühl auf meiner Haut an, als er mit einem feuchten Tuch das Blut wegwusch. Dabei stand er so dicht vor mir, dass ich seinen Geruch wahrnehmen konnte. Duschgel und Harry.

»Hm, ich denke, das muss geklammert werden. Wir haben Pflaster im Arzneikasten. Ich hole die eben. Beweg dich nicht vom Fleck, du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung.« Und schon war er weg.

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wer zum Teufel war das und was hatte der mit Harry gemacht? Warum war er so nett zu mir? Bildete ich mir das nur ein?

Ich blickte mich um. Wir befanden uns in einer kleinen Hütte. Zwei Türen gingen von diesem Raum ab, eine Nische dazwischen, in der sich eine Küchenzeile befand. Viel mehr konnte ich im flackernden Schein des Feuers vor mir nicht erkennen. Es war kühl und ich war froh, die Decken und kuschligen Klamotten zu haben.

Mein Kopf pochte unangenehm und ich befreite einen Arm aus den Decken, um vorsichtig nach meiner Stirn zu fühlen. Ich ertastete Kruste und schmieriges Blut an meinem Haaransatz. Zischend zog ich meine Finger wieder weg. Scheiße. Das schien doch mehr geknallt zu haben, als ich zuerst wahrgenommen hatte. Wahrscheinlich war ich zu benommen gewesen, dass ich durch das Adrenalin in mir überhaupt etwas spürte.

Erinnerungsfetzen schossen mir durch den Kopf. Dunkelheit, Blitze, die über den Himmel zuckten. Da laute Schnaufen des Pferdes unter mir. Dann der Ast.

Es knallte ohrenbetäubend laut draußen und das Innere der Hütte wurde in kurzen Abständen taghell erleuchtet. Ich zuckte heftig zusammen und spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.

»Es ist genau über uns«, hörte ich Harry murmeln. Er stand an einem der kleinen Fenster und schaute hinaus, in der Hand hielt er einen kleinen Kasten. Nach einem Moment drehte er sich herum und kam zu mir, die Augenbrauen eng zusammengezogen. »Hey«, murmelte er, als er sich neben mich auf das Sofa setzte. Seine Locken klebten ihm noch immer nass im Gesicht. »Es wird alles gut. Versprochen.«

Langsam nickte ich und zog meinen Arm zurück unter die Decke, als er sich zu mir herüberlehnte, um die Wunde näher zu betrachten. Dann öffnete er den Kasten. Darin befanden sich Pflaster, Klebestreifen, Verbände und allerlei anderes Zeug. Kurz kramte er, ehe er Klammerpflaster hervorholte.

»Das wird jetzt gleich etwas wehtun«, warnte er mich vor, die Sprühflasche schon in der Hand. »Ich muss die Wunde desinfizieren.«

Ich kniff die Augen zusammen und krallte meine Finger in die Decke. Als die kalte Flüssigkeit meine Haut berührte, keuchte ich auf und verzog mein Gesicht. Harry wischte den Überschuss weg und machte sich daran, die Pflaster zu kleben.

»Ist es schlimm?«, fragte ich mit schwerer Zunge und öffnete die Augen, als ich das Klicken von dem sich schließenden Kasten hörte.

Harry schüttelte den Kopf. »Eine kleine Platzwunde. Nichts, was nicht wieder wird. Trotzdem musst du dich schonen. Wir reiten erst zurück, wenn es dir einigermaßen besser geht. Das Unwetter soll noch etwa vier bis fünf Tage andauern. Sobald der Regen nachlässt, machen wir uns auf den Rückweg«, sagte er, den Blick nach draußen gerichtet. »Warum seid ihr überhaupt ausgeritten? Es war seit Tagen bekannt, dass ein Unwetter kommen wird.«

»Ich wusste es nicht. Gemma meinte, wir sind wieder zurück, bevor die Wolken ankommen«, erklärte ich.

Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Die Zwillinge waren auch rechtzeitig. Ihnen geht’s zum Glück gut. Gemma kam aber einige Zeit später völlig aufgelöst auf dem Hof an und sprach etwas von durchgedreht und Louis weg.«

»Ellie hat Angst bekommen. Ich glaube, sie mag kein Gewitter«, lächelte ich schwach und lehnte mich an die Sofalehne. »I-ist dir gar nicht kalt? Du hast noch deine nassen Klamotten an.«

»Oh.« Er schaute an sich herunter. »Ich gehe eben noch einmal nach meinem Pferd schauen und ziehe mich dann um. Versuch ein wenig zu schlafen, das hilft.«

Langsam erhob er sich und reichte mir ein Kissen. Als er gehen wollte, griff ich nach seiner Hand. »Warum bist du so nett?«, fragte ich, bereits etwas schläfrig.

Perplex blinzelte er einige Male, bevor er antwortete. »Du bist verletzt.« Mit einem leichten Ruck entzog er mir seine Hand. »Bin gleich wieder da.«

Ich seufzte, als ich die Tür ins Schloss fallen hörte. Die ganze Sache kam mir etwas seltsam vor. Ja, ich war verletzt, aber den Harry, den ich kannte, hätte es nicht davon abgehalten, Späße darüber zu machen, dass ich zu doof war, ein Pferd zu bändigen oder mich rechtzeitig zu ducken.

Was war hier los?

In Gedanken versunken betrachtete ich das knisternde Feuer. Vier bis fünf Tage hatte er gesagt. Gab es in dieser Hütte überhaupt Strom? Oder genug zu Essen für uns beide? Ich wollte mich umsehen, doch allein bei dem Gedanken, mich aufzurichten, drehte sich mir der Magen um. Fröstelnd zog ich die Knie an und schob die Decke bis über meine Nase. Trotz des Feuers war es ziemlich kalt.

Immer wieder musste ich daran denken, warum Harry mich gefunden hatte. Oder wie er es geschafft hatte. Hatten sie mit mehreren Leuten nach mir gesucht? Wenn ja, was war es für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Harry mich fand.

Erst, als das Sofa sich bei meinen Füßen senkte, bemerkte ich, dass Harry wieder hereingekommen war. Doch ich blickte nicht zu ihm, sondern betrachtete weiterhin die Flammen. Deren Knistern war das einzige Geräusch, das ich neben dem Rauschen des Windes draußen hören konnte.

»Hast du Hunger?«, fragte Harry irgendwann in die Stille hinein. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass wir länger als fünf Minuten an einem Ort waren, ohne uns in die Haare zu kriegen. Und ich musste sagen, dass es guttat.

Wer weiß, vielleicht würden wir in den nächsten Tagen sogar über unsere Differenzen hinwegkommen.

»Nein«, murmelte ich leise. »Wie lange lag ich im Wald?«

»Nicht lange.« Sein Gesichtsausdruck sah nachdenklich aus. »Vielleicht zwei oder drei Stunden. Ich bin sofort los, als Gemma auf dem Hof ankam.«

»Du? Ist denn niemand anderes mit gewesen?«

Er zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Kann sein, dass sie nach mir noch ein paar Leute losgeschickt haben, aber da war ich schon weg.«

»Warum bist du alleine los, Harry? Bei dem Sturm ist das gefährlich, das weißt du.«

»Genauso gefährlich ist es, zu lange bei so einem Unwetter im Wald zu liegen. Was, wenn ein Blitz in einen Baum eingeschlagen wäre? Du hättest sterben können, verdammt.«

»Du hast dir Sorgen um mich gemacht?«, fragte ich ernsthaft irritiert. Das wäre mal ganz was Neues.

»Nein, natürlich nicht.« Er verzog das Gesicht, als wäre es völlig abwegig. »Aber ich hatte keine Lust, deiner Mom erklären zu müssen, dass du bei einem Reitausflug verreckt bist. Kann ich ja nichts für, wenn du zu doof bist, auf dem Pferd zu bleiben.«

Ich schnaubte. Was hatte ich nicht eben gesagt? Da war er wieder. Ganz der alte Griesgram. »Was hätte ich denn deiner Meinung nach machen sollen? Ich geb’s ja zu, ich bin ein Anfänger. Ist doch klar, dass ich nicht weiß, wie ich mit einem verängstigten Pferd umgehen soll«, erwiderte ich mit ironischem Unterton. »Hast du denn wenigstens deiner Mutter Bescheid gegeben, dass wir in Sicherheit sind?«

»Das Handynetz wird durch den Sturm gestört. Ich erreiche niemanden«, brummte er und sah mich an. »Was macht dein Schädel?«

»Könnte besser sein. Deiner?«

Er sah mich fragend an.

»Naja, bei dem, was du manchmal laberst, könnte man meinen, du wärst als Kind zu oft auf den Kopf gefallen. Da kann man ja mal fragen, ob du vielleicht was davon merkst?«

Kopfschüttelnd fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. »Du bist unerträglich. Kannst du nicht einfach pennen, wie jeder, der eine Gehirnerschütterung hat?«

»Ich bin nicht müde, nur ein bisschen Kopfschmerzen.«

»Ich verrate dir was«, er lehnte sich zu mir herüber und sah mir in die Augen. »Dagegen hilft schlafen.« Mit diesen Worten gab er mir einen Klaps auf den Oberschenkel und stand auf. »Mach die Augen zu, du Held, und ruh dich aus. Du musst in vier Tagen wieder fit sein, damit du reiten kannst. Ich habe keinen Bock, dich den ganzen Weg festhalten zu müssen.«

»Wie weit sind wir eigentlich vom Hof entfernt? Ich habe irgendwann die Orientierung verloren.«

»Etwas mehr als drei Stunden mit dem Pferd. Wir werden sicher vier brauchen, weil Lilly und beide tragen wird und wir zwischendrin Pausen machen müssen«, erklärte er und öffnete die Türen eines kleinen Schrankes, der neben der Eingangstür stand. Daraus holte er eine aufblasbare Isomatte, zwei Wolldecken und ein Kissen.

»Wo ist hier die Toilette?«, fragte ich, als er sein Nachtlager aufbaute.

Harry deutete auf die zweite Tür im Raum. »Schaffst du es allein oder brauchst du Hilfe?«

»Pinkeln kann ich alleine, danke.« Ein Ächzen unterdrückend stand ich auf. Meine Umgebung drehte sich etwas und ich musste kurz die Augen schließen, bevor ich einen Schritt nach vorn trat und glatt zur Seite kippte. »Fuck!«, stieß ich aus, als ich aufgefangen wurde.

// Hallöchen :)
Ich finde, die Zeit geht ziemlich schnell vorbei. Schon wieder ein Donnerstag und schon wieder bin ich eine Woche nicht zum Schreiben gekommen. Hier kann ich euch noch versorgen, aber bei IICF Larrys Version geht's erst zwischen den Tagen weiter, weil ich da endlich Urlaub habe.
Heute aber viel Spaß mit dem Kapitel und lasst mich gerne eure Meinung wissen!
Bis dann,
Lea Es ruckelte, als ich langsam wieder zur Besinnung kam. Ich befand mich in einer sitzenden Position. Wie war ich dahin gekommen? Ich konnte mich nur noch daran erinnern, über den Waldboden gerollt zu sein. Dann lag ich. Meine Ohren rauschten und Kälte umschloss meine Glieder wie ein unangenehmer Umhang.

Mein Kopf pochte bei jeder kleinsten Bewegung. Ein Schnauben, dann eine Stimme.

»Wir haben es gleich geschafft«, drang sie wie durch Wasser an mein Ohr. »Du machst das toll, Lilly.«

Übelkeit machte sich wieder in mir breit und ich schmeckte Blut auf meinen Lippen. Der metallische Geschmack war widerlich. »Hilfe«, brachte ich heiser hervor.

Ich spürte eine Berührung an meiner Schulter. »Wir sind gleich da. Halt durch«, sagte die Stimme erneut. Dunkelheit wollte sich wieder um mich legen, doch etwas hielt sie davon ab, Besitz von mir zu ergreifen. »Bleib bei mir, Louis. Mach die Augen auf, ja?«

»Mhm«, machte ich träge und lehnte meinen Kopf gegen den großen Körper hinter mir.

Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis das Ruckeln stoppte und ich eine Bewegung hinter mir spürte. Die Wärme verschwand und Hände griffen unter meine Arme. Vorsichtig wurde ich nach unten gezogen. Wie auf einem Bett aus Wolken wurde ich getragen, bis ich irgendwann etwas Weiches unter mir spürte.

Flatternd öffnete ich die Augen. Es war dunkel, doch ich konnte schemenhaft eine Gestalt erkennen, die ein Feuer entzündete. Mir war kalt und ich merkte, wie unregelmäßig ich atmete. Meine tauben Glieder zitterten.

»Hallo, du Idiot.« Die Gestalt kniete vor mir nieder und strich mir die klatschnassen Haare aus dem Gesicht. »Was machst du denn auch für einen Mist. Hast allen einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Das freundliche Lächeln musste ich mir einbilden.

»Harry«, krächzte ich.

»Psst, sag nichts. Ich mache dir einen warmen Tee und hole Decken, damit wir dich flott wieder warmkriegen. Du bist unterkühlt und ich muss die Wunde an deiner Stirn verarzten. Das geht nicht, wenn du so zitterst«, sagte er, eine Hand auf meiner Schulter. »Warte hier, ich bin sofort wieder da.«

Mein Hirn war verwirrt. Das konnte unmöglich Harry sein. Doch als sich meine Sicht klärte und das Feuer im Kamin größer wurde, konnte ich sein Gesicht deutlich vor mir erkenne, als er mit Decken und trockener Kleidung auf dem Arm zurückkam.

»K-kalt«, schlotterte ich.

»Ich weiß. Du musst aus den nassen Klamotten raus.« Unsicher blickte er mich an. »Kriegst du das hin oder soll ich dir helfen?«

Ich schüttelte den Kopf, setzte mich langsam auf und versuchte, mir mein Shirt selbst auszuziehen, aber ich war zu schwach. »Warte«, murmelte er leise, schob vorsichtig meine verschrammten Hände zur Seite und half mir, meine Kleidung auszuziehen. »D-die Boxershorts musst du aber selber machen. Das äh- kann ich nicht. Ich drehe mich auch um.«

Das ließ mich sogar ein wenig grinsen. Umständlich stützte ich mich auf seine Schulter, die er mir anbot, und zog mir die Unterhose aus, wobei er demonstrativ in die andere Richtung schaute. Als ich die Jogginghose hochzog, die er mir hinhielt, drehte er sich wieder herum, als ich gerade den Bund hoch genug hatte, dass er nichts sehen konnte.

»Himmel.« Er räusperte sich und griff nach dem flauschig aussehenden Pullover, den er mir kurzerhand selbst über den Kopf zog. Darauf bedacht, meinen Kopf nicht zu sehr zu berühren.

»So, lass mich mal sehen«, meinte er dann, nachdem er mich in mehrere Decken eingewickelt hatte. Seine Hände fühlten sich kühl auf meiner Haut an, als er mit einem feuchten Tuch das Blut wegwusch. Dabei stand er so dicht vor mir, dass ich seinen Geruch wahrnehmen konnte. Duschgel und Harry.

»Hm, ich denke, das muss geklammert werden. Wir haben Pflaster im Arzneikasten. Ich hole die eben. Beweg dich nicht vom Fleck, du hast bestimmt eine Gehirnerschütterung.« Und schon war er weg.

In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wer zum Teufel war das und was hatte der mit Harry gemacht? Warum war er so nett zu mir? Bildete ich mir das nur ein?

Ich blickte mich um. Wir befanden uns in einer kleinen Hütte. Zwei Türen gingen von diesem Raum ab, eine Nische dazwischen, in der sich eine Küchenzeile befand. Viel mehr konnte ich im flackernden Schein des Feuers vor mir nicht erkennen. Es war kühl und ich war froh, die Decken und kuschligen Klamotten zu haben.

Mein Kopf pochte unangenehm und ich befreite einen Arm aus den Decken, um vorsichtig nach meiner Stirn zu fühlen. Ich ertastete Kruste und schmieriges Blut an meinem Haaransatz. Zischend zog ich meine Finger wieder weg. Scheiße. Das schien doch mehr geknallt zu haben, als ich zuerst wahrgenommen hatte. Wahrscheinlich war ich zu benommen gewesen, dass ich durch das Adrenalin in mir überhaupt etwas spürte.

Erinnerungsfetzen schossen mir durch den Kopf. Dunkelheit, Blitze, die über den Himmel zuckten. Da laute Schnaufen des Pferdes unter mir. Dann der Ast.

Es knallte ohrenbetäubend laut draußen und das Innere der Hütte wurde in kurzen Abständen taghell erleuchtet. Ich zuckte heftig zusammen und spürte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten.

»Es ist genau über uns«, hörte ich Harry murmeln. Er stand an einem der kleinen Fenster und schaute hinaus, in der Hand hielt er einen kleinen Kasten. Nach einem Moment drehte er sich herum und kam zu mir, die Augenbrauen eng zusammengezogen. »Hey«, murmelte er, als er sich neben mich auf das Sofa setzte. Seine Locken klebten ihm noch immer nass im Gesicht. »Es wird alles gut. Versprochen.«

Langsam nickte ich und zog meinen Arm zurück unter die Decke, als er sich zu mir herüberlehnte, um die Wunde näher zu betrachten. Dann öffnete er den Kasten. Darin befanden sich Pflaster, Klebestreifen, Verbände und allerlei anderes Zeug. Kurz kramte er, ehe er Klammerpflaster hervorholte.

»Das wird jetzt gleich etwas wehtun«, warnte er mich vor, die Sprühflasche schon in der Hand. »Ich muss die Wunde desinfizieren.«

Ich kniff die Augen zusammen und krallte meine Finger in die Decke. Als die kalte Flüssigkeit meine Haut berührte, keuchte ich auf und verzog mein Gesicht. Harry wischte den Überschuss weg und machte sich daran, die Pflaster zu kleben.

»Ist es schlimm?«, fragte ich mit schwerer Zunge und öffnete die Augen, als ich das Klicken von dem sich schließenden Kasten hörte.

Harry schüttelte den Kopf. »Eine kleine Platzwunde. Nichts, was nicht wieder wird. Trotzdem musst du dich schonen. Wir reiten erst zurück, wenn es dir einigermaßen besser geht. Das Unwetter soll noch etwa vier bis fünf Tage andauern. Sobald der Regen nachlässt, machen wir uns auf den Rückweg«, sagte er, den Blick nach draußen gerichtet. »Warum seid ihr überhaupt ausgeritten? Es war seit Tagen bekannt, dass ein Unwetter kommen wird.«

»Ich wusste es nicht. Gemma meinte, wir sind wieder zurück, bevor die Wolken ankommen«, erklärte ich.

Er schüttelte den Kopf und seufzte. »Die Zwillinge waren auch rechtzeitig. Ihnen geht’s zum Glück gut. Gemma kam aber einige Zeit später völlig aufgelöst auf dem Hof an und sprach etwas von durchgedreht und Louis weg.«

»Ellie hat Angst bekommen. Ich glaube, sie mag kein Gewitter«, lächelte ich schwach und lehnte mich an die Sofalehne. »I-ist dir gar nicht kalt? Du hast noch deine nassen Klamotten an.«

»Oh.« Er schaute an sich herunter. »Ich gehe eben noch einmal nach meinem Pferd schauen und ziehe mich dann um. Versuch ein wenig zu schlafen, das hilft.«

Langsam erhob er sich und reichte mir ein Kissen. Als er gehen wollte, griff ich nach seiner Hand. »Warum bist du so nett?«, fragte ich, bereits etwas schläfrig.

Perplex blinzelte er einige Male, bevor er antwortete. »Du bist verletzt.« Mit einem leichten Ruck entzog er mir seine Hand. »Bin gleich wieder da.«

Ich seufzte, als ich die Tür ins Schloss fallen hörte. Die ganze Sache kam mir etwas seltsam vor. Ja, ich war verletzt, aber den Harry, den ich kannte, hätte es nicht davon abgehalten, Späße darüber zu machen, dass ich zu doof war, ein Pferd zu bändigen oder mich rechtzeitig zu ducken.

Was war hier los?

In Gedanken versunken betrachtete ich das knisternde Feuer. Vier bis fünf Tage hatte er gesagt. Gab es in dieser Hütte überhaupt Strom? Oder genug zu Essen für uns beide? Ich wollte mich umsehen, doch allein bei dem Gedanken, mich aufzurichten, drehte sich mir der Magen um. Fröstelnd zog ich die Knie an und schob die Decke bis über meine Nase. Trotz des Feuers war es ziemlich kalt.

Immer wieder musste ich daran denken, warum Harry mich gefunden hatte. Oder wie er es geschafft hatte. Hatten sie mit mehreren Leuten nach mir gesucht? Wenn ja, was war es für eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet Harry mich fand.

Erst, als das Sofa sich bei meinen Füßen senkte, bemerkte ich, dass Harry wieder hereingekommen war. Doch ich blickte nicht zu ihm, sondern betrachtete weiterhin die Flammen. Deren Knistern war das einzige Geräusch, das ich neben dem Rauschen des Windes draußen hören konnte.

»Hast du Hunger?«, fragte Harry irgendwann in die Stille hinein. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass wir länger als fünf Minuten an einem Ort waren, ohne uns in die Haare zu kriegen. Und ich musste sagen, dass es guttat.

Wer weiß, vielleicht würden wir in den nächsten Tagen sogar über unsere Differenzen hinwegkommen.

»Nein«, murmelte ich leise. »Wie lange lag ich im Wald?«

»Nicht lange.« Sein Gesichtsausdruck sah nachdenklich aus. »Vielleicht zwei oder drei Stunden. Ich bin sofort los, als Gemma auf dem Hof ankam.«

»Du? Ist denn niemand anderes mit gewesen?«

Er zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Kann sein, dass sie nach mir noch ein paar Leute losgeschickt haben, aber da war ich schon weg.«

»Warum bist du alleine los, Harry? Bei dem Sturm ist das gefährlich, das weißt du.«

»Genauso gefährlich ist es, zu lange bei so einem Unwetter im Wald zu liegen. Was, wenn ein Blitz in einen Baum eingeschlagen wäre? Du hättest sterben können, verdammt.«

»Du hast dir Sorgen um mich gemacht?«, fragte ich ernsthaft irritiert. Das wäre mal ganz was Neues.

»Nein, natürlich nicht.« Er verzog das Gesicht, als wäre es völlig abwegig. »Aber ich hatte keine Lust, deiner Mom erklären zu müssen, dass du bei einem Reitausflug verreckt bist. Kann ich ja nichts für, wenn du zu doof bist, auf dem Pferd zu bleiben.«

Ich schnaubte. Was hatte ich nicht eben gesagt? Da war er wieder. Ganz der alte Griesgram. »Was hätte ich denn deiner Meinung nach machen sollen? Ich geb’s ja zu, ich bin ein Anfänger. Ist doch klar, dass ich nicht weiß, wie ich mit einem verängstigten Pferd umgehen soll«, erwiderte ich mit ironischem Unterton. »Hast du denn wenigstens deiner Mutter Bescheid gegeben, dass wir in Sicherheit sind?«

»Das Handynetz wird durch den Sturm gestört. Ich erreiche niemanden«, brummte er und sah mich an. »Was macht dein Schädel?«

»Könnte besser sein. Deiner?«

Er sah mich fragend an.

»Naja, bei dem, was du manchmal laberst, könnte man meinen, du wärst als Kind zu oft auf den Kopf gefallen. Da kann man ja mal fragen, ob du vielleicht was davon merkst?«

Kopfschüttelnd fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. »Du bist unerträglich. Kannst du nicht einfach pennen, wie jeder, der eine Gehirnerschütterung hat?«

»Ich bin nicht müde, nur ein bisschen Kopfschmerzen.«

»Ich verrate dir was«, er lehnte sich zu mir herüber und sah mir in die Augen. »Dagegen hilft schlafen.« Mit diesen Worten gab er mir einen Klaps auf den Oberschenkel und stand auf. »Mach die Augen zu, du Held, und ruh dich aus. Du musst in vier Tagen wieder fit sein, damit du reiten kannst. Ich habe keinen Bock, dich den ganzen Weg festhalten zu müssen.«

»Wie weit sind wir eigentlich vom Hof entfernt? Ich habe irgendwann die Orientierung verloren.«

»Etwas mehr als drei Stunden mit dem Pferd. Wir werden sicher vier brauchen, weil Lilly und beide tragen wird und wir zwischendrin Pausen machen müssen«, erklärte er und öffnete die Türen eines kleinen Schrankes, der neben der Eingangstür stand. Daraus holte er eine aufblasbare Isomatte, zwei Wolldecken und ein Kissen.

»Wo ist hier die Toilette?«, fragte ich, als er sein Nachtlager aufbaute.

Harry deutete auf die zweite Tür im Raum. »Schaffst du es allein oder brauchst du Hilfe?«

»Pinkeln kann ich alleine, danke.« Ein Ächzen unterdrückend stand ich auf. Meine Umgebung drehte sich etwas und ich musste kurz die Augen schließen, bevor ich einen Schritt nach vorn trat und glatt zur Seite kippte. »Fuck!«, stieß ich aus, als ich aufgefangen wurde.

// Hallöchen :)
Ich finde, die Zeit geht ziemlich schnell vorbei. Schon wieder ein Donnerstag und schon wieder bin ich eine Woche nicht zum Schreiben gekommen. Hier kann ich euch noch versorgen, aber bei IICF Larrys Version geht's erst zwischen den Tagen weiter, weil ich da endlich Urlaub habe.
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Bis dann,
Lea

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