Eine Chance?

In der Stallgasse begegnete ich Niall, der immer noch dabei war, die Boxen auszumisten. An der Schubkarre blieb ich stehen. »Machst du das immer alleine?«

»Oh, hi!«, begrüßte er mich freudig und hob den Kopf. Einige Strohhalme klebten in seinen Haaren und an seiner Kleidung. »Ja, meistens. Ist aber nicht weiter schlimm, falls du das denkst. Patrick und ich wechseln uns dabei Wochenweise ab.«

Ich nickte. »Wenn ich dir mal helfen kann, sag einfach Bescheid.«

»Klar.« Der Ire streckte einen Daumen nach oben. »Ist sonst noch was? Ich hab noch viel zu tun.«

Seufzend lehnte ich mich gegen die Boxenwand. »Weißt du, wie ich den Schnösel von mir fernhalte?«

»Harry?«

»Ja. Der geht mir auf die Nerven«, sagte ich augenrollend mit gesenkter Stimme. »Keine Ahnung, was der von mir will, aber er soll aufhören.«

»Ich kann mal mit ihm reden, aber mach dir keine Hoffnungen. Ich weiß nicht, warum, aber er scheint es auf dich abgesehen zu haben. Wahrscheinlich will er dich ins Bett haben. Wenn du das nicht willst, sag ihm das.«

Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht. »Ich sag ihm doch schon ständig, dass er mich endlich in Ruhe lassen soll, aber der macht es einfach nicht. Egal, was ich tue, er ist immer da und macht irgendwelche Kommentare, um mir anschließend den Helm aufzumachen oder sowas.«

»Mal schauen, was ich da geregelt kriege. Ich kann dir aber nichts versprechen.«

»Trotzdem danke, Niall.« Ich lächelte ihn kurz an, bevor ich mich abwandte und meine Sachen aus der Sattelkammer holte.

Draußen prallte die Sonne auf meine Haut und ich war ganz froh, jetzt nicht mehr auf dem Pferd zu sitzen. Die Luft war drückend, weshalb ich mich schnell nach drinnen verzog, duschen ging und mich dann auf die Couch in meinem Zimmer pflanzte, um ein wenig fernzusehen.

Gegen Abend vibrierte mein Handy und ich sah einen eingehenden Anruf von Mom. Auch wenn ich gerade eigentlich wenig Lust hatte, mit ihr zu telefonieren, griff ich nach meinem Handy und wischte den grünen Hörer zur Seite, um den Anruf anzunehmen.

»Hey, Mom«, begrüßte ich sie und schaltete den Fernseher ab.

»Hallo, Louis, endlich bekomme ich dich mal ans Telefon.«

Ich zog die Beine an und setzte mich im Schneidersitz hin. »Tut mir leid, ich hatte mein Handy drinnen gelassen. Wie geht’s euch Zuhause so?«

»Ich hab mir schon Sorgen gemacht.« Mom seufzte. »Uns geht’s gut, euch? Anne und ich haben gestern telefoniert, sie sagte, dass Harry und du gut miteinander auskommt?«

Freudlos lachte ich auf. »Gut miteinander auskommen? Naja, wenn sie meint.«

»Louis, was ist los?«

»Der Typ ist einfach immer da, wo ich bin und nervt rum! Ich will einfach nur meine Ruhe und wandere in die Wildnis und was ist? Der kommt da auf seinem Pferd angeritten und macht mir 'ne halbe Szene!« Aufgebracht warf ich die Hand in die Luft. War doch so, langsam kam in mir der Glaube auf, dass er das mit Absicht machte. Aber woher wusste er dann, dass ich unter der Eiche saß?

Ich schüttelte den Kopf und verdrängte den Gedanken wieder.

Mom unterdrückte ein Lachen, was ich nur mit einem mürrischen Brummen quittierte. »Das ist nicht lustig, Mom.«

»Ach komm, es ist fast so wie damals. Ihr zankt euch immer noch, aber ich denke, insgeheim wollt ihr das beide eigentlich gar nicht. Gib ihm eine Chance, Boo. Dann wird er sicherlich auch auf dich zukommen«, gab sie mir ihren gut gemeinten Rat, doch ich schnaubte nur.

»Als ob der was mit mir zu tun haben wollen würde. Denk mal realistisch.«

»Jetzt werde nicht ausfallend. Harry wollte früher immer nur deine Aufmerksamkeit. Eine Chance, Louis. Und wenn er es wirklich nicht will, bist du am Ende trotzdem schlauer.«

Ich fuhr mir mit meiner freien Hand übers Gesicht. Das würde doch vorne und hinten nichts bringen. Wenn ich ihm wirklich eine Chance gab, so wie Mom das sagte, wo sollte das bitte drauf hinauslaufen?

»Louis.«

»Ja, Mom«, murmelte ich mit einem stummen Seufzen auf den Lippen. »Ich werde versuchen, etwas offener zu sein. Aber wenn er mir doof kommt, kann ich auch nichts dabei tun. Es liegt an ihm.«

»Das ist mein Junge.« Stolz schwang in ihrer Stimme mit.

Zwar wagte ich wirklich zu bezweifeln, dass das was wurde, denn allein der Gedanke, Harry und ich könnten uns vertragen, war absurd. Aber wenn Harry früher wirklich nur meine Aufmerksamkeit haben wollte? Wenn er mich deshalb jetzt piesackte, weil ich sie ihm damals nicht gegeben hatte?

Rasch schüttelte ich den Kopf. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Harry war ein Arsch mit einem verkorksten Kopf und für mich unverständlichen Weltansichten. Punkt. Selbst, wenn ich ihm gegenüber ein wenig offener werden würde, würde das nichts bewirken. Er wäre nach wie vor der Arsch, der er nun einmal war.

Ich quatschte noch eine Weile mit Mom und den kleinsten meiner Geschwister, wobei ich erfuhr, dass meine Familie mich und meine Schwestern nächste Woche zu Besuch kommen würden. Mom wollte einfach viel zu gerne persönlich mit Anne quatschen, als dass sie uns vier Wochen am Stück hier lassen würde.

Nach dem Gespräch legte ich mein Handy beiseite und kramte in meinem Koffer herum. Ich hatte noch nicht ganz ausgepackt, weshalb ich das jetzt nachholte. Unschlüssig, was ich danach machen sollte, stand ich im Zimmer und schaute mich um.

So schön es auch war, mir fehlten meine Freunde. Ohne Zayn und Liam an meiner Seite war es doch ziemlich langweilig, wenn gerade nichts zu tun war. Niemand da, mit dem ich über Themen quatschen konnte, die mich interessierten. Naja, ich ging aus meinem Zimmer, wobei ich beinahe gegen jemanden stieß, der den Flur entlangeilte.

»Pass doch auf!«, zischte mir Harry entgegen, der mit grimmiger Miene in seinem Zimmer verschwand.

Darauf bedacht, mich nicht dadurch aus der Ruhe bringen zu lassen und ihn anzumaulen, er solle doch selber aufpassen, wo er hinliefe, atmete ich tief durch, machte innerliche Meditationsübungen und setzte meinen Weg in die Küche fort. Dort schnappte ich mir einen Apfel und eine kalte Flasche Cola aus dem Kühlschrank, um diese wieder mit in mein Zimmer zu nehmen.

Seichter Wind ließ die weißen Gardinen flattern, als ich zurück in mein Zimmer trat. Um die letzten paar Sonnenstrahlen des Abends zu genießen, stellte mich an die Brüstung meines Balkons. Jetzt war es immerhin nicht mehr ganz so warm. Noch vor wenigen Stunden hatte die Sonne erbarmungslos vom Himmel geknallt, doch im leichten Wind ließ es sich aushalten.

Ich öffnete die Colaflasche und trank einen Schluck, als ich ein genervtes Geräusch neben mir hörte. Um nicht gleich eine schnippische Bemerkung zu machen, schloss ich die Augen. Nein, ich wollte einen ruhigen Abend verbringen. Das ließ ich mir auch von einem Arsch nicht vermiesen.

»Musst du unbedingt hier draußen deine blöde Cola trinken?«

So langsam glaubte ich, der Kerl war einfach von Grund auf unzufrieden. »Der Balkon gehört zu meinem Zimmer. Du musst ja nicht hier rüber schauen, wenn dich mein Anblick so sehr stört«, grummelte ich augenrollend zurück.

»Du stehst aber zufällig in meinem Sichtfeld.«

»Dann schau doch woanders hin. Ist ja nicht so, dass um dich herum Wände wären und du nur hierrüber schauen könntest.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er sich mit einem Schnauben von seiner Bank, die an der einen Seite der Brüstung stand, erhob und kopfschüttelnd zwischen den Gardinen verschwand. Ich seufzte und trank einen weiteren Schluck von meiner Cola, bevor ich die Flasche neben mir auf den kleinen Tisch stellte.

Mein Blick wanderte über die grandiose Aussicht, die der Sonnenuntergang mir bot. Das orangerote Licht tauchte alles in eine warme Atmosphäre und ich spürte, wie meine Gedanken langsam zur Ruhe kamen.

Jedenfalls bis ich ein Geräusch hinter mir hörte, das eindeutig nicht hätte da sein sollen. Es hörte sich an wie Wasser, das auf Steinboden aufkam. Stirnrunzelnd wollte ich mich herumdrehen, da spürte ich erste eisigkalte Tropfen auf meinen Armen. Nein. Mit weit aufgerissenen Augen fuhr ich herum und konnte nicht anders, als stehen zu bleiben. Schützend riss ich meine Arme vors Gesicht, da wurde ich auch schon von oben bis unten von kaltem Wasser getränkt.

»Fuck!«, fuhr ich aus mir und schüttelte meinen Kopf, damit meine Haare nicht in meinen Augen klebten.

Als ich den Blick hob, sah ich einen überheblich grinsenden Harry vor mir stehen, den Eimer in der Hand. Er selbst war knochentrocken, während ich wie ein begossener Pudel hier auf meinem Balkon stand.

Moment, mein Balkon.

»Was zum Teufel willst du hier?«, maulte ich ihn an. Das war ein eindeutiger Eingriff in meine Privatsphäre. »Verpiss dich von meinem Balkon, du hast nichts hier zu suchen!«

Harrys triumphierender Gesichtsausdruck wich rasch Überraschung, als ich mich knurrend vom Geländer abstieß und auf ihn zueilte. Da der Balkon nicht allzu groß war, hatte er keine Chance, mir auszuweichen. So prallte ich klitschnass gegen ihn. Mit der Schulter takelte ich ihn um.

Der Eimer fiel scheppernd zu Boden, wir direkt daneben. Da hatte wohl jemand sein Gleichgewicht nicht halten können. Schnaufend landete ich auf seinem Körper, was ihm ein angestrengtes Keuchen entlockte. Meine nasse Kleidung drückte sich an ihn und gab ihm das kalte Wasser zurück. Sowas ließ ich doch nicht auf mir sitzen. Nicht umsonst hieß ich Tomlinson mit Nachnamen.

»Geh von mir runter!«, rief Harry mit schriller Stimme, weil ich gerade über seinem Gesicht meine Haare ausschüttelte. Die Wassertropfen flogen dabei in alle Richtungen. »Bor ist das eklig!«

»Du hast doch angefangen!«, erwiderte ich und blickte auf ihn herab. Ich kniete neben seinen Hüften auf dem Boden und stützte mich nur mit einer Hand neben seinem Kopf ab, um mir mit der anderen die Haare aus dem Gesicht zu schieben. Leider brachte das nicht viel, denn sie fielen direkt wieder nach vorn.

»Weil du mir halt auf die Nerven gehst.«

»Ach, und dann holt man selbst in deinem Alter noch den Wassereimer hervor? Ernsthaft?« Ich sah ihn mir hochgezogenen Augenbrauen an, während ich noch immer über ihm kniete.

»Halt die Schnauze, ich bin nicht alt!«, fauchte er darauf und boxte mir in die Seite.

Ich verdrehte die Augen. »Sei doch still, du bist zwei Jahre jünger als ich.«

»Was dich aber nicht schlauer macht«, erwiderte er grinsend.

Gereizt zog ich mein Shirt ein ganzes Stück hoch und wrang es über seinem Brustkorb aus, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Zumindest im ersten Moment.

Denn keine Sekunde später quietschte ich auf, als er mich mit einem Ruck an den Seiten packte und uns herumwirbelte, sodass nun ich unter ihm lag. Verdammt.

»Immer noch kitzlig, Tomlinson?«

»Klappe«, knurrte ich und versuchte, mich unter ihm hervor zu winden. Leider ohne Erfolg.

Als ich gerade auf die Idee kam, ihm mein Knie in die Weichteile zu rammen, ließ er sich flach auf mich fallen. Sein eines Bein rutschte zwischen meine und ich spürte den Oberschenkel nur allzu deutlich an meinem Schritt, was mir ein stummes Keuchen entlockte. Fuck, ich war definitiv untervögelt. Aber ein fucking Harry Styles würde eindeutig nichts an dem Zustand ändern!

Doch groß wehren tat ich mich auch nicht. Stattdessen hielt ich die Luft an, als ich seinen Atem an meinem Hals spürte. »Was ist eigentlich dein Problem?«

»Was?!«

»Ich verstehe dich einfach nicht.«

»Dann denk halt nicht nach«, brummte er an meiner Haut, auf der er gerade seine warmen Lippen legte. Ich zuckte zusammen, als hätte die Berührung mich verbrannt.

»Wieso machst du das? Warum bist du im einen Moment das größte Arschloch, das es gibt, und im nächsten machst du… du sowas?« Zwischendrin musste ich mich räuspern. Sein widersprüchliches Verhalten brachte mich aus dem Konzept.

»Hör auf, zu reden, verdammt.« Harry löste sich von meinem Hals und schaute mich mit gerunzelter Stirn an. »Du machst alles kaputt!«

Er fuhr sich durch die Haare, während er sich aufsetzte und von mir kletterte. »Ich mache alles kaputt?«, fragte ich völlig irritiert. Wovon sprach der bitte? »Du bist doch derjenige, der immer widersprüchliche Dinge tut. Was soll das hier bitte werden, hm?«

»Ach, jetzt wieder die Schuld auf mich schieben?« Er schnaubte kopfschüttelnd und sprang auf die Beine. »Das war ja mal wieder so klar, dass du für nichts verantwortlich sein willst. Du bist wirklich erbärmlich, Tomlinson.« Mit den Worten griff er nach dem Eimer, der auf dem Boden neben uns gelegen hatte, und ließ mich verwirrt zurück.

Ich blickte ihm nach und zuckte zusammen, als die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fiel.

What the fuck?

// Na, was denkt ihr?
Sollte Louis Harry noch eine Chance geben?
Bis dann :)

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