Decke
Wind peitschte mir entgegen und stieß mich beinahe zurück in die Hütte. Ich stemmte mich ihm entgegen und trat barfuß nach draußen. Die Erde des Weges, die sich durch den Regen in Matsch verwandelt hatte, war glitschig und brachte mich fast ins Straucheln, doch ich ging mit schnellen Schritten voran.
Der Regen durchnässte mich innerhalb weniger Augenblicke bis auf die Knochen. Von der Wärme der letzten Tage war nichts mehr zu spüren, stattdessen stellten sich mir jegliche Härchen auf bei den kalten Böen, die um meine Ohren fegten. Wütend strich ich mir in harten Bewegungen die Haare aus dem Gesicht. Tränen mischten sich mit dem Regen.
»Ich hätte dich liegenlassen sollen.«
Seine Worte hallten in meinen Ohren wider.
»Wäre ich nicht da, hätte deine Mutter ein Kind weniger!«
Scheiße, als wüsste ich das nicht. Mir war klar, dass ich wahrscheinlich nicht überlebt hätte, wäre er nicht gekommen und hätte mich gefunden. Trotzdem wäre es mir tausendmal lieber gewesen, wenn jemand anderes mich gefunden hätte. Egal wer, Hauptsache nicht er. Aber es war so gekommen und nun saß ich mit ihm hier fest. Mit ihm, der es mir so unfassbar schwer machte, ihm dankbar zu sein. Denn natürlich war ich ihm dankbar, aber wie zeigte man es jemandem, den man nicht ertragen konnte?
Fragen über Fragen jagten mir durch den Kopf, während ich die Lichtung verließ und Stöckchen, Blätter und Steinchen unter meinen nackten Füßen spürte. Die Arme vor der Brust verschränkt, um wenigstens ein wenig warm zu bleiben, lief ich weiter, ohne wirklich darauf zu achten wohin.
»Louis!«
Toll, jetzt bildete ich mir schon ein, seine Stimme zu hören. Ich schüttelte vehement den Kopf. Ich wollte ihn einfach nur vergessen.
»Louis, warte!«
Meine Nägel bohrten sich in meine Handflächen.
»Scheiße, bleib stehen!« Dieses Mal war die Stimme näher.
»Lass mich in Ruhe!«, brüllte ich gegen den Sturm an und lief noch ein bisschen schneller, bis ich fast rannte. Egal, was passierte, es wäre mir lieber, als drei weitere Tage mit ihm in dieser kleinen Hütte zu hocken.
»Du holst dir den Tod!«
»Mir doch egal, du wolltest es doch.« Ich hatte keine Ahnung, ob er mich hörte, doch es war mir ziemlich egal.
»Verdammt, Louis!« Eine Hand packte mich am Arm und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Ich strauchelte, drohte, zu fallen, doch Arme schlangen sich um mich und hielten mich auf den Füßen.
»Nimm deine Hände von mir!«, schrie ich schluchzend und wand mich in seinem Griff, doch er ließ nicht locker.
»Nein«, sagte er bestimmt und ließ die Schläge, die ich auf seine Arme ausübte, über sich ergehen.
»Ich werde dich anzeigen!«
»Dann tu das, aber ich werde dich nicht hier sterben lassen.«
Mein Widerstand ebbte langsam ab und ich spürte, wie die Wut meinen Körper verließ. Und damit die Kraft. Kopfschmerzen ließen meine Sicht verschwimmen und meine Beine knickten weg. Harrys Arme waren das Einzige, das mich davon abhielt, mit dem Gesicht voran im Matsch zu landen. Schluchzend kniff ich die Augen zu und krallte mich in die nassen Ärmel, die um meine Brust lagen. Doch nicht, um mich zu wehren, sondern um irgendeinen Halt zu finden.
»Bitte«, wimmerte ich und ließ meinen Kopf nach hinten fallen. »Bitte.«
»Was?«, kam es ruhig von hinter mir. So viel ruhiger als noch vor einigen Minuten. »Was soll ich tun?«
»Halt mich fest«, flüsterte ich und ließ mich endgültig gegen ihn sinken. Sein Griff festigte sich noch ein wenig mehr um mich.
Ich wusste nicht, wie lange wir so standen, doch nach einer Weile hörte ich auf, zu schluchzen. Zurück blieb nur eine gähnende Leere und eine übermannende Müdigkeit. Ich fühlte mich, als könnte ich hier und jetzt für eine halbe Ewigkeit schlafen. Hier, mitten im Sturm.
»Komm«, sagte er irgendwann an meinem Ohr und löste langsam seine Arme. »Lass uns zurückgehen.«
Schwach nickte ich und nahm das Angebot, mich auf ihn zu stützen, an. Die Distanz, die wir uns von der Hütte entfernt hatten, war mir viel länger erschienen, doch wir waren schon nach wenigen Augenblicken zurück auf der Lichtung.
Harry öffnete die Tür und verfrachtete mich direkt ins Bad, wo er mich auf dem geschlossenen Toilettendeckel absetzte. »Hör zu«, murmelte er mit ruhiger Stimme. »Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Natürlich hätte ich dich nicht liegen gelassen. Ich… wollte das eigentlich gar nicht sagen, aber du… du machst mich manchmal so rasend… Es tut mir leid, wirklich.«
Wieder nickte ich nur und sah auf meine schmutzigen Füße herunter. Auch die hellgraue Jogginghose war dreckig vom Schlamm.
»Geh duschen, wenn du dich etwas beruhigt hast. Du bist eiskalt und musst aus den nassen Klamotten raus. Einmal Wechselkleidung habe ich noch hier, das lege ich dir vor die Tür.«
»Und du?«, fragte ich mit kratziger Stimme.
»Ich komme klar. Aber du kannst eine Erkältung gerade weniger gebrauchen als ich«, sagte er und drehte sich herum. »Ich gehe nochmal nach Lilly sehen und koche uns dann etwas.«
»Okay, danke«, murmelte ich, als er schon fast aus der Tür war.
»Kein Ding«, erwiderte er nur und ich glaubte, die Andeutung eines kleinen Lächelns auf seinem Gesicht zu sehen.
~
Auch wenn ich es kaum zugeben wollte, die Nudeln hatten wirklich gut geschmeckt. Von Innen gewärmt kuschelte ich mich in die Decken auf dem Sofa. Aus dem Bad hörte ich das Rauschen der Dusche. Immer wieder fielen mir die Augen zu und als ich das nächste Mal aufblickte, hockte Harry vor dem Kamin und schürte das Feuer, bevor er noch ein paar Scheite nachlegte. Dabei trug er nur eine Shorts.
»Ist dir nicht kalt?«, fragte ich langsam. Mein Kopf schmerzte ziemlich und lähmte meine Zunge. Der emotionale Ausbruch und die Flucht hatten nicht gerade zu meinem Wohlbefinden beigetragen.
»Ein wenig«, antwortete er ehrlich und ich sah, wie sein Blick zu der einzelnen Decke auf der Luftmatratze huschte.
Ich rutschte ein wenig herum und zog an der obersten meiner drei Decken. »Nimm die, dann ist es wärmer.«
»Aber dann frierst du. Mir macht das nichts aus, wirklich«, meinte er, wobei er beinahe mit den Zähnen klapperte.
»Nimm sie einfach. Ich habe wenigstens noch dicke Klamotten an.« Ich ließ die Decke auf den Boden gleiten und versteckte meinen Arm wieder unter meinen Decken.
Harry hockte sich vor mir nieder. »Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen. Lass mich nochmal sehen.« Er deutete auf die Pflaster an meinem Haaransatz und beugte sich auf mein Zeichen vor. Seine Finger waren eisig kalt auf meiner Haut und ich schloss die Augen, weil ich nicht auf seine nackte Brust schauen wollte, die ziemlich dicht vor mir war.
»Du musst dich auf jeden Fall ausruhen. Solche spontanen Ausflüge machen wir nicht nochmal, verstanden?«
Ich nickte, hielt aber schnell wieder den Kopf still und verzog das Gesicht vor Schmerz, der mir messerartig durch den Kopf schoss.
»Ich verspreche, dass ich versuche, die nächsten Tage nicht so provozierend zu sein, wenn du das auch versprichst.«
»Versprochen«, murmelte ich schläfrig und sah blinzelnd dabei zu, wie Harry sein Nachtlager bereit machte.
»Gut. Und jetzt schlaf endlich mal, bevor ich dir nachhelfen muss«, brummte er, legte sich hin und zog die Decken bis an die Nase hoch, wobei seine Füße unten herausguckten. Säuerlich grummelte er vor sich hin, während er eine Decke über seine Füße zog und die andere an seine Nase.
»Schon scheiße, wenn man so groß ist«, grinste ich und zog die Decken demonstrativ noch ein Stück höher, ohne dass meine Füße herausguckten.
Harry sah mich etwas entnervt von der Seite an. »Klappe halten und schlafen. Jetzt.«
»Ja, Daddy«, stöhnte ich ebenso genervt und drehte mich um, sodass ich die Sofalehne ansah.
»Sag das nochmal und ich setze dich doch vor die Tür.«
// Ich bin zu spät. Sorry! Dafür gibt's hier heute zwei Kapitel.
Was sagt ihr zu Harry und Louis Verhalten?
Bis dann,
Lea
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