Aufbruch
Ein Rütteln an meiner Schulter weckte mich unsanft aus einem tiefen, traumlosen Schlaf.
»Aufstehen«, forderte eine kratzige Stimme.
Grummelnd wollte ich die Decke über meinen Kopf ziehen. Ich hatte eindeutig noch nicht genug geschlafen, um jetzt so plötzlich aus dem Schlaf gerissen zu werden. Doch prompt wurde mir die Decke vollständig vom Körper gezogen. Die zweite gleich hinterher, was mich mürrisch die Augen öffnen ließ.
Harry stand angezogen vor mir und blickte mich mit dem altbekannten genervten Gesichtsausdruck an, als wäre gestern Abend nichts passiert. »Steh auf. Wir müssen los.«
»Was?«, fragte ich noch im Halbschlaf und setzte mich auf.
Er ging weg und kam kurz darauf wieder. Er warf mir einen Pullover und eine Jogginghose zu. »Anziehen, jetzt. Das Wetter hat sich gelegt, wir müssen los. Sieh zu, wenn du nicht noch länger hier versauern willst!«, zischte er scharf. »Ich warte am Stall auf dich.«
Perplex sah ich ihm hinterher, wie er die Hütte mit eiligen Schritten verließ. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was er gesagt hatte, ehe ich aufsprang. Kurz wurde mir schwindelig, weshalb ich mich pauschal wieder hinsetzte und tief durchatmete.
Im Sitzen zog ich mir die anderen Klamotten an und fragte mich kurz, ob meine eigene Kleidung noch nicht wieder trocken war. Nach einem kurzen Besuch im Bad griff ich nach meinem Reithelm und meinen Stiefeln, die am Eingang lagen, und zog sie mir an. Dass etwas Blut am Helm klebte, beachtete ich nicht weiter.
Als meine Hand auf dem Türknauf lag, warf ich noch einen Blick zurück in die Hütte. Alles sah genauso aus, wie zu dem Zeitpunkt, als wir hier angekommen waren. Ich wusste nicht, wie viele Tage das her war, aber ich konnte mit Sicherheit sagen, dass es mir mehr gefallen hatte, als überall noch Decken und Kissen herumlagen und der Kamin behagliche Wärme ausstrahlte.
Jetzt lag nur noch Asche auf dem kalten Stein.
Ich öffnete die Tür und trat hinaus. Es war lange nicht mehr so windig und auch der Regen hatte nachgelassen. Es nieselte nur noch leicht, doch der Himmel war nach wie vor düster. Auf dem Weg zu Harry, der mit Lilly vor dem Stall stand, setzte ich mir meinen Helm auf.
»Was ist mit meinen Klamotten?«, fragte ich, als ich die beiden erreichte. Der Helm drückte gegen die Wunde, doch ich traute mich nicht, ohne ihn auf das Pferd zu steigen.
»Sind noch nicht ganz trocken. Wenn du sie anziehst, bist du sofort krank, das kann ich dir versprechen. Hier, zieh das über«, sagte er und hielt mir einen schwarzen Mantel hin, den ich entgegennahm.
»Und was ist mit dir?« Ich deutete auf seine Kleidung. Eine Reithose und ein blaues Hemd, das noch feuchte Stellen aufwies.
»Ich schaffe das schon«, brummte er und warf die Zügel über Lillys Kopf.
Die Stute stand brav da und schüttelte nur einmal den Kopf. Harry hielt seine Hände zu einer Räuberleiter hin und nickte mir zu. »Du zuerst.«
Ich nickte und schwang mich mit seiner Hilfe auf den hohen Rücken. Er kam mir direkt hinterher und rutschte eng an mich heran. Sein Körper presste sich gegen meinen Rücken, als er um mich herumgriff, um die Zügel aufzunehmen.
»Festhalten«, murmelte er und schnalzte.
Als Lilly sich in Bewegung setzte, hielt ich mich rasch an ihrer Mähne fest und schlang meine Beine um ihren Bauch. Ihr Körper unter mir spendete angenehme Wärme und ich spürte ihre Atemzüge, als die in einen schnellen Trab fiel.
Wir verschwanden im dunklen Wald und ich hatte Schwierigkeiten, in der Dunkelheit etwas zu sehen, doch das hielt Harry nicht davon ab, zielstrebig zwischen den Bäumen hindurch zu reiten.
Ich konnte nicht einschätzen, wie lange wir durch die Dunkelheit ritten, doch ich war froh, als ich irgendwann durch die dichten Bäume eine Lichtung erahnen konnte. Wir erreichten sie nach einigen Minuten und ich stellte fest, dass es eine der großen Weiden war, die zum Grundstück von Harrys Eltern gehörte.
Erleichterung machte sich in mir breit. Mein Hintern schmerzte bereits. Wir waren schon eine halbe Ewigkeit durch den Wald geritten. Mal im Schritt, mal im Trab. Ich fühlte mich mehr als durchgeschüttelt und Muskeln in meinem Körper schmerzten, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existierten.
Für einen Moment vergaß ich, mich festzuhalten, was sich jedoch als Fehler herausstellte. Harry schnalzte im nächsten Moment und Lilly galoppierte an. Ein kleiner Schrei entwich meiner Kehle, als sie einen großen Sprung nach vorn machte und ich eng gegen den Körper hinter mir gepresst wurde. Schnell krallte ich mich wieder in ihre Mähne und lehnte gab dem Druck an meinem Rücken, mich etwas nach vorn zu lehnen, nach.
Die Landschaft raste an uns vorbei und dicke Regentropfen klatschten mir ins Gesicht, was mir einen Großteil meiner Sicht nahm. In diesem Moment musste ich einfach Harry und seinem Pferd vertrauen, obwohl es mir alles andere als leicht fiel. Wind peitschte mir um die Nase und ich hörte Donnergrollen über unseren Köpfen.
Meine durchnässte Hose klebte kalt an meinen Beinen und ich hatte das Gefühl, meine Hände nicht mehr richtig spüren zu können. Die Wunde an meinem Kopf hämmerte und pochte. Mir war etwas übel, doch ich versuchte ruhig zu atmen, um dagegen anzukämpfen. Kleine schwarze Punkte tanzten am Rande meines Sichtfeldes.
Harrys Arme, die fest um mich lagen und vor mir die Zügel hielten, waren das Einzige, das mich noch aufrecht auf dem Pferd hielt. Benommen blinzelte ich. In der Ferne sah ich verschwommen das Anwesen auf uns zu kommen.
Am Rande nahm ich wahr, wie sich die Geschwindigkeit, mit der wir unterwegs waren, verlangsamte. Hinter mir bewegte sich etwas. Die Stütze an meinem Rücken verschwand und ich rutschte, wurde aber von Armen aufgefangen. Entfernt hörte ich Stimmen, die meinen Namen riefen, dann wurde alles schwarz.
~
Ein trockenes Gefühl in meinem Rachen ließ mich husten. Stöhnend hob ich eine Hand an meinen Kopf. Es schmerzte und ich zischte auf, als ich meine Stirn berührte.
»Nicht anfassen«, sagte eine bekannte Stimme.
Ein wenig verwirrt blinzelte ich und öffnete die Augen. Ich befand mich in meinem Zimmer auf dem Anwesen der Styles‘. Es war dämmrig, nur wenig Lichtstrahlen drangen durch die vorgezogenen Vorhänge in das Zimmer.
Ich drehte meinen Kopf in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte. Als ich das vertraute Gesicht sah, breitete sich eine Wärme um mein Herz aus. »Mom«, krächzte ich und hustete erneut.
Ein wehleidiges Lächeln stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie meine Hand losließ und sie stattdessen an meine Wange legte. »Wie geht es dir, mein Schatz?«
»Etwas müde, aber sonst geht es. Hast du etwas Wasser hier? Mein Hals fühlt sich an wie eine Wüste.« Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Grinsen.
»Natürlich«, meinte sie und reichte mir ein Glas, aus dem ich gleich einen Schluck nahm.
»Was machst du hier?«, fragte ich, nachdem ich mich einige Male räuspern musste.
»Ich bleibe doch nicht Zuhause sitzen, wenn ich höre, dass eines meiner Kinder sich ernsthaft verletzt hat«, meinte sie fast etwas eingeschnappt.
»H-habe ich lange geschlafen? Ich fühle mich so gerädert.«
Sie schüttelte mit dem Kopf und eine Strähne ihres braunen Haares löste sich aus ihrem Zopf. »Nein, nicht lange. Du und Harry seid gestern Nachmittag hier angekommen. Jetzt ist es vierzehn Uhr. Während du geschlafen hast, war ein Arzt hier und hat sich dich angeschaut. Er meinte, das wird wieder. Du sollst dich die nächsten Tage nur nicht zu sehr anstrengen.«
»Okay«, murmelte ich und spürte, wie die Müdigkeit meine Augenlider herunterzwang. »Wo ist Harry? Geht es ihm gut?«
Ich hörte Mom schmunzeln. »Ihm geht es gut. Er ist nur… nicht hier.«
»Was?«
»Er ist gestern Abend noch losgefahren. Wir wissen alle nicht wohin oder wann er wiederkommt«, erklärte sie und stand auf. »Schlaf noch etwas. Wenn du aufwachst, bin ich noch hier.«
Ich nickte nur noch, als ich merkte, wie ich langsam wieder ins Traumland abdriftete.
// Na, was mit Harry wohl los ist...?
Tut mir leid, dass das Kapitel erst heute und nicht Donnerstag kommt. Ich hatte die letzte Woche so viel mit Bewerbungen zutun, dass ich nicht dazu kam.
Ich würde mich sehr über eure Gedanken freuen :)
Bis dann,
Lea
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