Apfelsaft

»Lass mich los, du verdammter Wichser!«, rief ich und stemmte mich gegen seinen Griff, gab aber nach, als er seine Fingernägel in meine Haut grub. »Du tust mir weh!«

Ich stolperte hinter ihm die Stufen zum Heuboden hinauf. Im hinteren Teil, gut vierzig Meter von uns entfernt, sah ich die Dachdecker, die neue Schieferplatten auf den Holzbalken befestigten.

»Aua, sag mal, hast du einen Pain-Kink oder warum tust du mir im-«

»Halt doch endlich mal deine vorlaute Klappe«, unterbrach er mich und schupste mich von sich, als hätte er sich verbrannt.

So langsam hatte ich keine Lust mehr, als sein persönlicher Aggressions-Flummi zu fungieren.

»Hör doch mal auf damit!«, fuhr ich ihn an und war froh, mir nicht den Kopf an einem der niedrigen Holzbalken gestoßen zu haben. »Was willst du überhaupt? Ich war doch weg von der Box, also tu, was du tun wolltest und lass mich einfach in Ruhe!«

»Immer bist du mir im Weg«, fing er an. Seine Stimme zitterte leicht. »Ständig tauchst du da auf, wo ich bin. Wenn ich einmal meine Ruhe haben will, finde ich dich an der Box meines Pferdes. Scheiße, hast du keine anderen Hobbys, außer mich zu nerven? Du strapazierst meinen Geduldsfaden so verdammt sehr. Ich will dich einfach nur-« Er stoppte sich selbst und zerrte an seinen Haaren, die daraufhin wild in sein Gesicht fielen.

Die Arme vor der Brust verschränkt blickte ich ihn auffordernd an. »Was willst du mit mir tun, hm? Sag es. Willst du mich schlagen? Mir wehtun?«

Sein Blick flackerte, als er schnellen Schrittes auf mich zu ging. Ich wich zurück, stieß aber recht schnell mit dem Rücken gegen eine Wand, wurde wieder von ihm in die Ecke gedrängt. Mein Herz raste, als ich den Geruch seines Shampoos wahrnahm. Seine rechte Hand landete lautstark neben meinem Kopf an der Wand und er kesselte mich mit beiden Armen ein. Ich hatte keine Chance, ihm zu entfliehen.

»Ich will dir diese Scheißhose von den Hüften reißen und dich so lange in den Arsch ficken, bis du deinen eigenen Namen vergisst. Bis du völlig von mir anhängig bist«, knurrte er und seine Lippen berührten mein Ohr.

Mein Mund öffnete sich zu einem lautlosen Keuchen, als die Stimmung zwischen uns so plötzlich von wütend zu wütend und erregt schwenkte. Ich spürte, wie sich in meinem Schritt etwas regte, und Harry scheinbar auch, denn er löste eine Hand von der Wand und griff mir fest in den Schritt.

Er grinste. »Sag mir, dass du es nicht auch willst.«

Ich schüttelte den Kopf, machte aber keinerlei Anstalten, mich gegen seine Hände zu wehren. Scheiße, jetzt gerade könnte er wahrscheinlich alles mit mir machen und ich würde nichts dagegen machen können.

»Worte, Tomlinson«, triezte er mich und biss in mein Ohrläppchen. »Sag es mir. Komm schon.«

Unterbewusst krallte ich mich in seiner dünnen Weste fest. Meine Knie waren weich und das Blut aus meinem Kopf wanderte an ganz andere Stellen. Mein Blick huschte zu den Arbeitern. Sie müssten sich nur ganz leicht um die Ecke bewegen, dann würden sie uns sofort sehen. Ein Prickeln lief auf meiner Haut entlang und ließ sich die kleinen Härchen auf meinen Armen aufstellen.

»I-ich.« Meine Kehle war plötzlich staubtrocken.

»Sag es mir«, befahl er nun fordernder.

Ein lautes Knarzen gab mir alle meine Sinne zurück. Ich schüttelte den Kopf und blickte Harry an, der mich ebenfalls ansah. Dann riss ich mein Knie hoch. Ich wusste, wie sehr ein Tritt in die Weichteile schmerzte, doch ich sah es als einzige Möglichkeit, die mich aus dieser Situation hinausbefördern könnte.

Erstickt keuchend krümmte Harry sich, die Hände in den Schritt gedrückt taumelte er zurück. Ich nutzte die Chance und rannte zur Treppe. Beinahe rannte ich auf dem Weg nach unten einen schwitzenden Niall um.

»Sorry«, murmelte ich und ließ ihn mit einem verwirrten Gesichtsausdruck stehen. Ich rannte aus dem Stall und meine Füße suchten ihren Weg zwischen den Reitplätzen hindurch in Richtung der Weiden.

Mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich Harry. Er stand an der geöffneten Klappe im Giebel des Heubodens und blickte mich starr an. Ich riss meinen Blick wieder von ihm los und kletterte über einen Zaun auf eine der Weiden. Es dauerte, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte, doch erst dann fühlte ich mich wieder sicher.

Irgendwann ließ ich mich schwer atmend ins Gras fallen. Mein Brustkorb hob und senkte sich hektisch, als ich mit geschlossenen Augen versuchte, meinen Herzschlag wieder zu regulieren. Das Blut rauschte in meinen Ohren.

»Scheiße«, keuchte ich und bedeckte mein Gesicht mit den Händen.

~

»Louis, was ist denn mit dir passiert?«, hörte ich Anne fragen. Sie kam gerade aus der Küche, als ich durch die große Haustür in den Eingangsflur des Hauses trat. Irritiert blickte ich an mir herunter und sah die Grasflecken an meiner Jeans. Wahrscheinlich war mein Shirt auch nicht davon verschont geblieben.

Mittlerweile war es später Nachmittag und ich hatte einige Stunden im Gras gelegen. Während ich die Wolken beobachtet hatte, wie sie über den Himmel gezogen waren, kamen irgendwann einige Pferde zu mir. Als ich ihre Hufe durch die Erde gemerkt hatte, hatte ich mich aufgesetzt.

Ich war ein wenig überrascht gewesen, als Ellie auf mich zugekommen war und ihren Kopf an meine Schulter gedrückt hatte. Fast so, als wollte sie sich entschuldigen.

Bei dem Gedanken an diese Begegnung, musste ich unweigerlich schmunzeln. »Alles gut, ich war auf der Weide. Musste mal den Kopf freikriegen.«

Anne lächelte und strich mir über die Schulter. »Dann ist ja gut. Kommst du gleich zum Abendessen?«

Ich nickte und deutete auf die Treppe. »Ich gehe nur eben vorher duschen. So schön es auch war, es kribbelt gefühlt überall.«

»Mach das«, lachte Anne und ging ins Wohnzimmer herüber.

Ich hingegen ging die Treppe hinauf und hoffte inständig, dass eine gewisse Person nicht oben ihr Unwesen trieb. Meine Gebete wurden erhört. Ich war allein im Dachgeschoss. Aus meinem Zimmer holte ich mir Wechselkleidung und nahm meine Kulturtasche mit ins Bad.

Vorsorglich verschloss ich die Tür hinter mir und atmete tief ein und aus. Meine getragenen Klamotten legte ich zu einem Haufen zusammen auf den Boden. Im Spiegel betrachtete ich die Wunde auf meiner Stirn. Es hatte sich bereits Schorf gebildet und ich war mir sicher, dass man in zwei Wochen nicht mehr als eine rote Stelle sehen würde.

Ich konnte mir schon fast denken, was Liam und Zayn sagen würden, wenn ich ihnen die Geschichte ausführlich erzählen würde. Mit dem Gedanken stieg ich unter die Dusche und gönnte mir das gesamte Rundumpaket.

Frisch rasiert trat ich aus dem Badezimmer hinaus auf den Flur. Ich hatte mich für eine bequeme Stoffhose und ein lockeres Bandshirt entschieden. Das würde für den Abend reichen.

Es fühlte sich im ersten Moment immer seltsam an, wenn ich mir den Bart rasierte. Normalerweise stutzte ich ihn alle paar Tage, doch heute war mir danach gewesen, ihn vollständig abzurasieren. Immer wieder fuhr ich mir über die glatte Haut. Ohne Bart sah ich gleich sechs Jahre jünger aus.

Das Abendessen verlief ruhig. Daisy und Phoebe waren platt von ihrer Gruppenreitstunde, Niall war ausnahmsweise mal nicht dabei und Patrick sprach eh nie wirklich viel. Anne und Robin waren die einzigen, die sich aktiv unterhielten. Da ich etwas verspätet angekommen war, hatte ich mich wohl oder übel auf den letzten freien Platz setzen müssen.

Neben Mr Arschloch.

Aus Prinzip würdigte ich ihn die gesamte Zeit keines Blickes. Wenn ich etwas brauchte, fragte ich Anne oder einen der anderen. Es war kindisch, das wusste ich, aber ich hatte keine Lust, heute auch nur noch ein Wort mit ihm zu wechseln.

Tatsächlich schaffte ich es auch ganz gut, ihn zu ignorieren. Jedenfalls bis er sich streckte und einen Arm auf die Lehne meines Stuhls legte. Augenblicklich spannte ich mich an, als ich einen Finger in meinem Nacken spürte. Leicht kratzte er über meine Haut. Da wir allein auf dieser Seite des Tisches saßen, sollte es den anderen nicht sonderlich auffallen. Dafür fiel es mir allerdings ziemlich genau auf.

»Lass das«, zischte ich ihn leise an, als gerade niemand auf uns achtete.

»Warum sollte ich?«, gab er zurück und hustete gekünstelt.

Mit zusammengebissenen Zähnen lehnte ich mich vor und griff nach dem Krug mit dem Apfelsaft. Doch im selben Moment schoss eine zweite Hand vor. Der Ring an seinem Mittelfinger funkelte im Sonnenlicht, als sich unsere Finger berührten und ich meine Hand rasch zurückzog. Zornig funkelte ich Harry an, der sich Apfelsaft einschenkte.

Dann lehnte er sich über mich, um auch in mein Glas etwas zu füllen. Dabei ließ er seine Hand unauffällig unter den Tisch gleiten und strich ganz leicht über meinen Schritt. Scharf sog ich die Luft ein und umklammerte sein Handgelenk, um ihn von mir zu ziehen.

»Untersteh dich«, hauchte ich und starrte ihm in die Augen, die mich verschmitzt ansahen.

Himmel, der Kerl hatte aber auch Stimmungsschwankungen.

Der Rest des Abendessens verlief glücklicherweise ziemlich ruhig. Nachdem ich beim Abräumen geholfen hatte, brachte ich die Zwillinge auf ihr Zimmer.

»Lou?«, fragte Daisy, als ich sie zudeckte und mich noch kurz zu den Beiden auf die Bettkante setzte.

»Ja, was ist?«

»Was hat Harry unterm Tisch mit seiner Hand gemacht?« Ehrliche Neugierde lag in ihrem Blick, während Phoebe schon halb schlief. Augenblicklich schoss mir die Röte in die Wangen und ich räusperte mich.

»Nichts.«

»Aber du hast so komisch geguckt«, erwiderte sie, eindeutig nicht zufrieden mit meiner Antwort.

Ich seufzte. »Hör mal, Harry und ich ärgern uns gerne mal.«

»Also hat er dich geärgert?«

»Ja, so kann man das auch sagen.« Nickend wünschte ich mir gerade ein Loch im Boden herbei, in das ich springen könnte.

»Aber dann musst du ihm sagen, dass du das nicht magst«, sagte Daisy. »Uns sagst du auch immer, dass wir dann „Stopp“ sagen sollen.«

»Das…« Ich stockte. »Du hast recht, das habe ich vergessen. Gut, dass du mich daran erinnerst. Das nächste Mal sage ich ihm, dass er aufhören soll.«

»Okay. Sonst rede ich mal mit ihm. Keiner außer uns ärgert unseren großen Bruder«, murmelte Daisy und kuschelte sich in ihr Kissen. Phoebe neben ihr schnarchte schon leise vor sich hin, ihr Stofftier fest im Arm.

»Gute Nacht, kleine Nervensäge«, sagte ich und strich ihr über die Haare, bevor ich aufstand und die Nachttischlampe ausschaltete. Auf leisen Sohlen verließ ich das Zimmer und ging die Treppe ein weiteres Stockwerk hinauf.

Im Flur brannte Licht und die Tür neben der zu meinem Zimmer stand ein Stück offen. Als ich ein Geräusch hörte, wurde ich stutzig. Ich pirschte mich an und luscherte in den Raum hinein. Es war dunkel und ich konnte nicht sehen, ob sich wer im Zimmer befand.

Eine plötzliche Berührung an meiner Schulter ließ mich zusammenfahren. Harsch wurde ich von der Tür weggeschoben. »Wenn du noch einmal herumspionierst, steche ich dir eigenhändig die Augen aus, klar?«

»Spiel dich mal nicht so auf. Da war ein Geräusch. Ich wollte nur sehen, ob da vielleicht jemand ist.«

»Erstens, wer soll da sein? Wir befinden uns im zweiten Stock. Und zweitens, was geht es dich an?« Harry schnaubte und knallte mir die Tür vor der Nase zu. Ich hörte sogar, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.

Ich schüttelte den Kopf. »Spinner«, murmelte ich und verschwand in mein eigenes Zimmer. Dort zog ich mich aus und legte mich ins Bett, nachdem ich die Vorhänge zugezogen hatte. Es fehlte mir noch, dass mein Nachbar auf dem Balkon stand und in mein Bett schauen konnte.

Liam, 21:12 Hey, alles klar bei dir?

Ich, 21:22 Hi, lange nichts von dir gehört. Ja, hier ist alles gut. Bis auf Mr Arschloch. Der ist genauso nervtötend wie immer.

Liam, 21:22 Was hat er gemacht? Müssen Z und ich ein Grab schaufeln?

Ich, 21:22 Haha, nein, lieber nicht. Aber er lässt mich einfach nicht in Ruhe, obwohl ich ihm das schon mindestens tausend mal gesagt habe. So langsam glaube ich, der ist taub oder so…

Liam, 21:23 Erzähl, was hat er gemacht?

Statt eine Nachricht zu schreiben, drückte ich prompt auf den Anrufbutton.

// Statt Donnerstag kommt das Kapitel heute schon :)
Was sagt ihr? Meint ihr, Harrys Verhalten wird sich noch bessern? Momentan ist er ja wirklich...
Ich bin gespannt auf eure Meinungen ;)
Bis dann,
Lea

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