Anspannung
»Idiot«, grummelte Harry über mir und warf sich meinen Arm über die Schultern. »Wenn ich dir schon anbiete, dir zu helfen, nimm es einfach mal an, klar? Ich spiele nicht immer Retter in der Not, wenn du fällst.«
Er brachte mich zum Bad, wo er die Tür öffnete und mit mir vor der Toilette stehen blieb. Abwartend sah ich ihn an.
»Was?«
»Ab hier schaffe ich das alleine, danke. Mir war eben nur etwas schwummrig vor den Augen, aber ich brauche niemanden, der mir beim Pinkeln zusieht«, erklärte ich mein Anliegen.
Harrys mürrisch verzogene Mundwinkel zuckten kurz nach oben. »Ich würde dir schon nichts abgucken. Oder schämst du dich etwa, hm?«
»Nein«, sagte ich mit etwas zu hoher Stimme. Ich wollte mich ganz einfach nicht vor ihm entblößen. Was war so schwer daran?
»Ist ja nicht so, als-«
»Jetzt halt die Klappe und lass mich allein, verdammt«, fuhr ich ihn lauter an, als ich eigentlich wollte. Aber dieser Kerl ging mir gehörig auf die Nerven. Himmel, wie sollte ich bloß die nächsten Tage mit ihm hier aushalten? Allein?
Ich hatte schon längst meinen Arm von seinen Schultern genommen und stand, eine Hand gegen die Wand gestützt, im Raum. Harrys Arm lag jedoch nach wie vor um meine Taille, als ich ihn sauer und abwartend ansah.
»Ist ja gut«, gab er nach und knallte die Tür hinter sich zu.
»Hat deine Mutter dir nicht beigebracht, dass man nicht mit Türen knallt?«, rief ich ihm hinterher, während ich die Jogginghose in die Knie zog und mich setzte.
»Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, es einfach mal sein zu lassen?«, kam es zurück.
Wartete er ernsthaft hinter der Tür?
Schnaubend schüttelte ich den Kopf, spülte und wusch mir die Hände, als ich fertig war. Für einen kurzen Moment genoss ich noch die Ruhe und das Gefühl von Privatsphäre in diesem Raum, bevor ich die Klinke herunterdrückte und tatsächlich einen wartenden Harry an der Wand neben der Tür lehnen sah. »Hast du nicht irgendwas zu tun?«
»Nope«, sagte er betont langsam und stieß sich von der Wand ab, als ich zum Sofa herüberging.
»Und dann hältst du es für die beste Beschäftigung, mir auf Schritt und Tritt zu folgen? Wie du siehst, kann ich sehr gut alleine auf Klo gehen«, warf ich über meine Schulter und kuschelte mich zurück in die vielen Decken auf dem Sofa.
»Hey«, machte Harry protestierend, als ich mein Kissen aufschüttelte. »Wer hat gesagt, dass du auf dem Sofa schlafen darfst?« Er deutete auf die aufblasbare Luftmatratze, die vor dem Sofa auf dem Boden lag. »Die hab ich extra für dich geholt.«
Ein wenig perplex sah ich ihn an. »Ernsthaft? Ich bin derjenige, der eine Gehirnerschütterung hat.«
»Und genau deshalb müssen wir ja auch aufpassen, dass der arme, kleine Louis nicht nochmal irgendwo runterfällt. Daher der Platz dicht an der Erde«, grinste er amüsiert.
»Du bist so ein Arschloch«, brummte ich verständnislos. »Wenn du unbedingt auf dem Sofa schlafen willst, komm doch.« Ich blickte ihn herausfordernd an. »Ich gehe nicht.«
Er hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit der Zunge drückte er von innen gegen seine Wange. »Ich soll mit dir zusammen auf dem Sofa schlafen? Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Voller Ernst«, sagte ich schulterzuckend, ohne eine Miene zu verziehen. »Deine Entscheidung. Ich bleibe hier.«
»Du kannst mich mal.« Er drehte sich von mir weg und verschwand im Bad.
Etwas verwirrt über mich selbst legte ich mich hin und machte es mir bequem. Hatte ich ihm eben wirklich angeboten, mit mir auf dem Sofa zu schlafen? Klar, es war ein Spaß gewesen. Ich hatte ihn aufziehen wollen, aber etwas in mir sagte, dass ich es durchgezogen hätte, selbst wenn er wirklich mit auf dem Sofa hätte schlafen wollen.
Scheiße, ich musste wirklich mehr auf den Kopf gefallen sein, als ich gedacht hatte.
~
Der Sturm ließ nicht nach. Immer wieder erwachte ich in der Nacht, weil Donner laut grollte oder Äste gegen das Dach der Hütte schlugen. Auch mein unfreiwilliger Mitbewohner war häufig wach und sah nach Lilly, die in einem kleinen Stall untergebracht war.
»Alles okay bei ihr?«, fragte ich. Ich stand in der Küchennische und erhitzte auf dem kleinen Gasherd einen Topf mit Wasser, um mir einen Tee zu machen. Vorhin, während Harry draußen war, hatte ich eine kleine Auswahl an Sorten im Schrank entdeckt.
Harry nickte und stemmte sich gegen die Tür, um sie schließen zu können. Der Wind hatte in der letzten halben Stunde nochmals weiter angezogen. »Ja, sie ist ziemlich entspannt, was Stürme angeht.« Er legte die Decke, die er als Schutz vor dem Regen genommen hatte, auf dem kleinen Tisch ab, welcher an der Stirnseite der Hütte stand.
»Gut«, sagte ich leise und teilte das Wasser in zwei Tassen auf. In jede legte ich einen Teebeutel. »Tee?«
»Gerne.« Er seufzte, als ich ihm die Tasse überreichte. Gemeinsam ließen wir uns auf dem Sofa nieder. Er auf der einen Seite, ich ganz an der anderen. »Du hättest sitzen bleiben sollen.«
»Woher kennst du diese Hütte?«, fragte ich irgendwann, als Harry gerade Holz nachlegte, damit das Feuer nicht erlosch.
»Mein Großvater hat sie mit seinen Freunden in den Fünfzigern gebaut. Bis auf Mom weiß keiner hiervon. Ein kleines Familiengeheimnis sozusagen. Sie bedeutet mir ziemlich viel. Ich war früher oft mit ihm hier draußen.« Schatten spielten auf seinem Gesicht, während er erzählte.
»Und trotzdem hast du mich mit hergenommen?«
Er zuckte die Schultern. »Ich hatte keine andere Wahl. In dem Sturm wäre der Weg zum Hof zurück zu weit und zu gefährlich gewesen. Hierher waren es nur wenige Minuten. Sonst hätte ich dich im Leben nicht hergebracht, glaub mir.«
»Danke auch«, schnaubte ich und trank von meinem Tee.
Die Zeit verging. Tatsächlich schlief Harry nochmals ein, auf das Sofa in seine Ecke gekauert. Ich betrachtete ihn eine ganze Weile. Seine Gesichtszüge wirkten so ruhig und entspannt, während er schlief. Ganz anders als sonst.
Als mir auffiel, wie creepy es war, jemanden beim Schlafen zu betrachten, wandte ich den Blick ab und seufzte leise. Ich wusste nicht, wie spät es war. Ein Handy hatte ich beim Ausritt nicht dabei gehabt. Ob Harry eins hatte, wusste ich nicht. Und wenn, müsste es sicher bald den Geist aufgeben, denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass er ein Ladekabel dabei hatte.
Müde stand ich auf, wickelte eine Decke um meinen Körper und stellte mich an eines der Fenster.
Der Himmel war düster und ich konnte nicht erkennen, ob die Sonne bereits aufgegangen war. Der Wind pfiff zwischen den Bäumen her und drückte sie unnachgiebig zur Seite, während der Regen große Pfützen bildete. Tropfen rannen an der Scheibe hinab, als würden sie ein Wettrennen veranstalten. Das hatte ich mir früher als Kind gerne vorgestellt. Und es half mir nach wie vor damit, meine Angst vor Unwettern in den Griff zu bekommen.
Trotzdem konnten die kleinen Rennautos mich heute nicht genug ablenken. Meine Aufmerksamkeit lag auf den sich wiegenden Bäumen und dem Himmel, der von Blitzen im Sekundentakt erhellt wurde.
Meine Kehle schnürte sich zu und ich schlang meine Arme mit der Decke enger um meinen Körper. Gänsehaut breitete sich auf meinen Gliedern aus, bis ich schauderte. Es gab einen guten Grund, weshalb ich Unwetter hasste, doch ich versuchte, so gut es ging, nicht daran zu denken. Einen mentalen Zusammenbruch konnte ich gerade nicht auch noch gebrauchen.
»Was machst du da?«, durchbrach eine raue Stimme die von den Geräuschen des Sturms erfüllte Stille. »Du hast eine Gehirnerschütterung. Setz dich gefälligst hin.«
Ich hörte ihn nur wie durch Wasser, reagierte nicht auf seine Worte, sondern starrte wie gebannt nach draußen.
»Louis.« Erst, als ich an den Schultern herumgedreht wurde, schaffte ich es, den Blick von dem Schauspiel draußen zu lösen. »Du bist blass. Ist dir schlecht?« Von dem entspannten Gesicht war kaum noch etwas zu sehen.
Kopfschüttelnd wandte ich mich aus seinem Griff und brachte etwas Abstand zwischen uns, die Decke eng um meine Schultern geschlungen, als wäre sie das Einzige, was mich beschützen könnte.
»Was interessiert es dich überhaupt?«, ging ich in meinen Verteidigungsmodus über, was immer geschah, wenn mir jemand zu nah kam. Körperlich oder emotional.
Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine Furche. »Ich hab einfach keinen Bock, deine Kotze vom Boden aufwischen zu müssen, klar?«, gab er scharf zurück.
»Gibt es hier etwas zu essen? Ich habe Hunger.«
»Der Bedienstete ist leider im Urlaub, Eure Hoheit.« Der sarkastische Tonfall entging mir nicht, weshalb ich Harry wütend anfunkelte.
»Ich habe auch nicht nach einem Bediensteten gefragt. Ich kann mir mein Essen allein machen, aber wenn du das unbedingt übernehmen willst-« Ich kam gar nicht dazu, den Satz zu beenden, als zwei Hände mich an den Schultern packten und gegen die nächste Wand drückten. Ich spürte das Holz an den Fasern der Decke zupfen.
Harrys Gesicht schwebte dicht vor mir, die Augen in einem kühlen Grün. »Du weißt wirklich nicht, wann genug ist, oder?«
»Ich bin nicht der, der provoziert«, zischte ich zurück.
»Ich denke, da nehmen wir uns nichts«, erwiderte er.
Wütend kniff ich meine Augen zusammen. »Lass mich los«, forderte ich und wehrte mich gegen seinen Griff.
»Nein.«
»Lass mich los, verdammt! Ich zeige dich an, wenn du nicht gleich deine Finger von mir nimmst!«, brüllte ich ihm ins Gesicht.
Seine Miene verhärtete sich noch mehr, was ich fast nicht für möglich gehalten hatte. Eine seiner Hände wanderte über meine Schulter an meinen Hals, wo er seine Finger drum schloss. Nicht zu fest, aber ich spürte es nur zu deutlich. Ich krallte meine Finger in seine Oberarme, versuchte ihn irgendwie dazu zu bringen, mich loszulassen.
»Du verdammtest Schwein!«, krächzte ich. Das Blut rauschte vor Wut in meinen Ohren und mein Schädel begann erneut zu pochen. Scheiße, ich wollte mich einfach nur hinlegen und schlafen. »Bist du wirklich so pervers oder tust du nur so. Stehst du etwa darauf, anderen Menschen ihrer Freiheit zu berauben, hm?«
In seinen Augen blitzte etwas gefährlich auf. Ob es ein Blitz war, der sich von draußen in ihnen gespiegelt hatte oder es doch nur Einbildung war, wusste ich nicht. Doch er lehnte sich noch ein Stück zu mir heran, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berührten. Sein Atem traf auf meine Lippen. Ich fuhr mir mit der Zunge darüber und sah, wie sein Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu meinem Mund huschte, bevor er wieder meine Augen fixierte.
»Sei doch endlich mal ein wenig dankbar. Du wärst sicher tot, wenn ich dich nicht gefunden hätte! Aber so, wie du dich verhältst… So verdammt undankbar und frech, habe ich das Gefühl, ich hätte dich doch lieber liegenlassen und den Tieren zum Fraß vorwerfen sollen!«, schrie er mir ins Gesicht. Seine Züge waren von einer wutverzerrten Maske entstellt. »Wäre ich nicht da, hätte deine Mutter ein Kind weniger!«
In mir platzte etwas. Sämtliche Emotionen brachen aus mir heraus. Tränen sammelten sich in meinen Augen, als ich mein Knie mit voller Kraft nach oben zog und in seinen Schritt rammte. Styles stolperte sich krümmend einige Schritte zurück und gab mich so endlich frei.
»Vielleicht hättest du das tun sollen!«, schrie ich zurück. Mit zitternden Fingern knüllte ich die Decke zusammen und warf sie ihm an den Kopf. In einem kleinen Haufen landete sie auf dem Boden. »Ich wollte nett zu dir sein! Verdammt, ich dachte sogar, wenn wir das überwunden haben, was auch immer zwischen uns steht, dass wir vielleicht Freunde hätten werden können, aber scheiße. Wenn ich mir dich so ansehe, dann will ich gar nicht mit dir befreundet sein! Du bringst mich zur Weißglut! Du hättest mich liegenlassen sollen! Dann wäre ich dich los und du hättest ein Scheißproblem weniger!«
Beim letzten Satz brachen bei mir alle Dämme. Tränen strömten mir über die Wange und die winzig kleine Hoffnung, die ich noch in mir getragen hatte, zerbrach in tausende kleine Scherben. Sie kullerten zusammen mit den Tränen über meine Wangen und hinterließen brennende Spuren, als ich mich umdrehte und die Tür aufriss.
//Hallöchen:)
Sorry, dass gestern kein Kapitel kam, aber ihr kennt es ja sicher auch: An Feiertagen ist die Hölle los. Wir hatte die Familie da und es war das reinste Chaos, ich sags euch.
Dafür heute. Bin gespannt, wie ihr es findet. Lasst es mich gern in den Kommentaren wissen! Ich bin sehr neugierig :')
Bis dann!
Lea
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