Kapitel 9
Die nächsten Monate verwende ich meine ganze Energie für die nachmittäglichen Proteste, die jeden Tag stattfinden. Morgens mache ich meine Ausbildung, nachmittags bin ich auf den Protesten, es hilft mir dabei nicht in meiner Trauer zu versinken, aber natürlich vergesse ich Yaris nicht, immerhin sind veranstalten mein Pa, Alisha und ich diese Proteste nur wegen ihm. Okay, dieser Gedanke hat etwas bitteres und hört sich an, als würde ich meinen Bruder für seinen letzten Wunsch verurteilen, was nicht so ist, sein großer Wunsch ist ja auch mein großer Wunsch.
Die Stimme meines Vaters, die durch ein Megafon über den ganzen Platz getragen reist mich aus meinen Gedanken. Wir stehen auf einem Podest und vor uns ist eine große Menge Menschen, die alle gekommen sind, um mit uns gegen die Ungerechtigkeit gegenüber uns Schwarzen zu protestieren.
„Meine lieben Brüdern und Schwestern, wir sind euch dankbar, dass ihr alle gekommen seid. Auch heute werden wir wieder für Gerechtigkeit und Gleichbehandlung protestieren, wie immer friedlich. Wir erheben unsere Stimmen und lassen uns nicht unterkriegen!", diese kurze Rede wird von meinem Vater gehalten und es folgen laute Jubelrufe, dann setzen wir uns in Bewegung. Während wir loslaufen schließe ich den Reisverschluss meiner Jacke bis zum Kinn, heute ist der erste Oktober und es ist kalt, doch das bremst niemanden, niemand lässt sich von der Kälte unterkriegen oder von der Tatsache, dass man unsere Proteste größtenteils immer noch ignoriert, obgleich seid drei Monaten jeden Nachmittag tausende Menschen durch die Straßen ziehen und erst vor dem Polizeirevier und dann vor dem Ratsgebäude halt machen.
In den Nachrichten wird zwar von uns berichtet, doch von der Regierung, noch von der Gesellschaft gibt es ein Zeichen, wir werden immer noch ungerecht behandelt, keiner will umdenken und einsehen, dass ihre Ansichten falsch sind, dass wir nicht weniger Wert sind. Aber gut, vielleicht erwarte ich auch einfach zu viel, immerhin dauert unsere Aktion erst seid drei Monaten an, damals in Amaizinda dauerte es auch ein ganzes Jahr und es mussten zehn Tausend Menschen und mehr protestieren, bis eine Reaktion von der Regierung kam und diese war auch lediglich, diese Aufstände, wie sie es nannten, zu zerschmettern.
„Heute sind ganze siebentausend Menschen unserem Aufruf gefolgt, das ist doch mal eine krasse Zahl, ich hätte nicht gedacht, dass wir so viele dazu bewegen können, ihre Stimme zu erheben. Bestimmt kommen noch mehr dazu, wenn sie sich trauen", erzählt Alisha mir, während wir an der Spitze laufen und den Protest anführen. Hinter uns laufen mein Vater und die anderen Menschen, eine laute Menge, sodass Alisha mich fast anschreien muss, dass ich sie hören kann. „Ja, dass ist wirklich schön und doch scheinen es zu wenig zu sein, dass mal eine Reaktion kommt", gebe ich missmutig zurück, mir ist kalt und dann werde ich immer schlecht gelaunt.
Vor dem Revier machen wir halt und unsere Rufe mach Gerechtigkeit und Gleichbehandlung füllen die gesamte Luft und auch heute werden wir von der Überwachungskamera aufgenommen. Ich lächle grimmig, also sehen und hören sie uns doch, sie wollen es nur nicht zeigen. Irgendwann gehen wir weiter, auch vor dem Ratsgebäude machen wir halt und dort verliere ich es zum ersten Mal, dass wir auch hier von Überwachungskameras aufgenommen werden. Vielleicht sind unsere Proteste ja doch nicht ohne Erfolg, vielleicht regt sich in der Regierung schon etwas und vielleicht kommt bald eine Reaktion.
An diese Hoffnung klammere ich mich jeden Tag, jeden Tag wenn wir mit unseren Verbündeten vor dem Ratsgebäude stehen, hoffe ich, dass man uns empfängt und es eine Reaktion gibt.
22.07.2020 - 585 Wörter
Das ganze läuft gerade völlig falsch, das ist gar nicht gut, nein gar nicht gut, aufhören, sind meine Gedanken und ich überlege panisch, was ich machen kann. „Aufhören, das ist nicht, was wir zeigen wollen, wir wollen friedlich für unsere Gerechtigkeit die Stimme erheben, nicht so", schreie ich so laut ich kann und wiederhole dies auch noch einmal, als ich von meinem Pa das Megaphon gereicht bekomme. Die Stimmung ist übergekocht, einige haben angefangen das Ratsgebäude mit Steinen zu bewerfen und immer mehr Leute haben sich mitreißen lassen, sie alle wollen endlich eine Änderung erreichen, sie wollen das man es endlich einsieht, dass wir eine Gleichberechtigung verdienen. Zusätzlich zu diesem Verlangen schüttet es heute und es ist kalt, sodass die Stimmung sehr schnell frustriert und wütend geworden ist.
Von meinem Ausruf lassen sich die Randalierer nicht beeinflussen und so geht es weiter, bis man die Sirenen von Polizeiautos hört und schon ist Schluss mit dem zerstören, doch wir wissen alle, dass wir nun ein riesiges Problem. Schon schallt aus einem Megaphon folgende Anweisung über den Platz:„ Diese Versammlung wird sofort aufgelöst. Verlassen sie den Platz oder wir werden sie mit Gewalt vertreiben." Dies muss nicht zwei mal gesagt werden, jeder nimmt die Beine in die Hand und sieht zu, dass er den Platz verlässt.
Zurück zu Hause und endlich in trockenen Klamotten lasse ich mich neben Alisha auf einen der Stühle am Esstisch fallen. „Das war nicht so, wie wir das geplant haben", meine ich leise. „Nein, ganz und gar nicht", stimmt Alisha eben so deprimiert zu. „So kann das nicht weiter gehen, wir brauchen Hilfe", murmelte mein Vater und verlässt den Raum. „Was will er tun, wer soll uns helfen?", frage ich Alisha, doch diese zuckt nur mit den Schultern. „Mädels, kommt mal her!", ruft meine Mutter da aus dem Wohnzimmer und wir gehen hinüber. Der Fernseher läuft und man sieht die Randaliere auf dem Ratsplatz und wie einige Leute festgenommen werden.
„Heute Nachmittag kam es zu Vandalismus auf dem Ratsplatz", berichtet die Nachrichtensprecherin,„ einige der Protestteilnehmer haben das Ratsgebäude mit Steinen beworfen und dabei die Fassade, sowie viele der Fenster zerstört. Desweiteren legten sich einige von ihnen mit der Polizei an, als diese dafür sorgt, dass der Protest aufgelöst wird, es wurden mehrer Menschen festgenommen." Ich schlage mir entsetzt die Hand vor den Mund, ich habe nicht an die anderen gedacht, ich bin einfach weggelaufen und habe nicht darauf geachtet, dass alle gehen, auch wegen mir sind diese Menschen festgenommen worden.
Mein Vater hat den Raum ebenfalls betreten und das Ende mit den Festnahmen mitbekommen. „Afeni Schatz, packe bitte deine und Kyanos Sachen, Oryana du auch. Fragen könnt ihr später stellen, macht einfach", sagt er. Mein Mutter nickt und macht sich eilig auf den Weg. „Alisha, könnten wir uns kurz unterhalten", bittet er diese dann.
„Natürlich", sagt Alisha und nickt. „Oryana, bitte geh und pack deine Sachen ",wiederholt meine Vater seine Bitter erneut und ich folge ihr diesmal, doch frage ich mich, was los ist und warum ich meine Sachen packen muss.
23.07.2020 - 504 Wörter
Die Antwort bekomme ich eindrucksvoll gezeigt, als ich mit meinen Sachen wieder ins Wohnzimmer komme, mein Vater kann gerade noch schreien:„Runter!", als der erste Schuss eine Fensterscheibe zerschlägt. Mein Vater robbt an mir vorbei, in den Flur und als er wieder kommt haben noch mehr Kugeln ihren Weg in unser Haus gefunden. Ich liege regungslos auf dem Boden, doch innerlich sterbe ich vor Angst, mein Herz rast wie verrückt und meine Handflächen sind schweißnass. Mein Vater geht langsam und geduckt zur Wand neben dem Fenster, erst jetzt sehe ich, dass er eine Pistole in der Hand hält. Er späht hinaus, zielt und drückt den Abzug, dann geht er wieder an der Wand in Deckung.
Ich weiß nicht, ob er getroffen hat, immerhin ist es draußen schon dunkel, doch die auch diese Frage wird mir beantwortet, bevor ich sie laut gestellt habe, eine weiter Kugel fliegt durch das Fenster und landet nur wenige Zentimeter von mir auf dem Boden.
Ich kann einen panischen Aufschrei noch gerade so unterdrücken, doch jetzt zittere ich am ganzen Körper. Mein Vater hat mittlerweile erneut geschossen und ein Aufschrei zeigte, dass die Kugel unseren Angreifer wohl getroffen hat. Während ich immer noch auf dem Boden liege und mich langsam rühren kann, ist mein Vater schon zur Tür und in den Vorgarten gelaufen. Ich stehe mit wackligen Beinen auf und folge ihm aus der Haustür, der Gedanke, dass unser Angreifer immer noch schießen könnte, kommt mir gar nicht. Da sehe ich die beiden, mein Vater hat dem Angreifer ein Knie auf den Rücken gelegt und ihm beide Arme im Polizeigriff nach oben gedreht. „Oryana wärst du so nett, den Erste-Hilfe-Kasten zu holen und ihm einen Druckverband anlegen, er muss mir noch Informationen liefern und dazu darf er mir nicht verbluten und ich brauche noch ein festes Seil." Ich nicke und gehe schnellen Schrittes rein, rennen traue ich mich nicht, dazu sind meine Beine noch zu wacklig. Mit dem benötigten Utensilien kehre ich in den Vorgarten zurück und lege dem weißen Mann einen Druckverband an seinem rechten Oberarm an.
Mein Vater betrachtet meine Arbeit und nickt anerkennend, dann fesselt er die Hände des Mannes und hilft ihm dann auf die Füße, doch seine Pistole liegt dabei im Rücken des Mannes. Ich schüttle mich kurz, das ist echt krass und gruselig, immerhin hat mein Vater gerade einfach jemanden angeschossen und ihn jetzt gefesselt. „Hol bitte deine Mutter und Kyano, damit wir endlich los können", sagt mein Vater dann und ich eile erneut los. „Moma, Kyano?", rufe ich fragend, nachdem ich meine Tasche aus dem Wohnzimmer geholt habt. „Wo seid ihr?", setzte ich etwas panischer dazu. Was, wenn sie gekidnappt wurden und die Schüsse nur zur Ablenkung dienten? Doch dann sah ich die Schlafzimmertür meiner Eltern aufgehen und Kyano und meine Moma kamen heraus. „Oh, Oryana geht es dir und deinem Vater gut?", will meine Moma wissen, während sie mich in die Arme schließt. „Ja, mir und Pa geht es gut, aber Pa will unbedingt los, keine Ahnung wo hin", antworte ich und die beiden folgen mir mit ihren Sachen hinaus, als ich mich in Bewegung setze. Als Moma und Kyano Pa und den angeschossenen Mann sehen, ziehen beide scharf die Luft ein. „Berhane, was ist passiert?", will meine Mutter wissen, doch mein Vater erwidert nur knapp:„ erkläre ich später." Dann geht er mit schnellen Schrittes los und bugsiert den Mann vor sich her und Moma, Kyano und ich beeilen uns, im hinter her zu kommen.
****24.07.2020 - 579 Wörter
Insgesamt: 1668 Wörter
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