Kapitel 6
Als ich an diesem Morgen aufstehe weiß ich, das heute etwas passieren wird, nur ob es gut oder schlecht ist das weiß ich nicht. Mein Tag verläuft ganz normal und als ich am Abend vor der Haustür von Hodari warte, dass Yaris mich abholt, habe ich das Gefühl bereits wieder vergessen. Seitdem ich auf dem Heimweg bedroht worden bin, besteht mein Bruder darauf, mich abzuholen, damit so etwas nicht noch einmal passiert.
Mein Bruder biegt in die Straße ein und hält mit dem Auto bei mir ein, ich steige ein und umarme ihn. „Danke fürs abholen", meine ich und lächele ihn an. „Kein Ding, ich will ja nicht, dass dir etwas passiert", anfangs lächelte er noch, doch zum Ende hin wurde seine Miene düster und besorgt. Yaris wartet bis ich mich angeschnallt habe, dann fährt er los, die Straße entlang, die von Straßenlaternen erleuchtet wird, um zurück auf die Hauptstraße zu kommen.
„Wir müssen noch Pa abholen", informiert er dich an, als auf der Hauptstraße nach links abbiegt um in den Nordteil der Stadt zu kommen, wo das Krankenhaus ist und damit auch der Standort der Rettungsstelle. Ich nicke und schaue hinaus in die Nacht, es ist komplett dunkel, Sterne sieht man auf Grund der Lichte der Stadt eh selten, doch heute verhängen Wolken den Himmel.
Wir fahren die Hauptstraße entlang, vielleicht etwas zu schnell als erlaubt, als wir das Polizeiauto hinter uns bemerken, automatisch balle ich meine Hände zu Fäusten, ich hatte Autokontrollen schon immer gehasst und auch Mr.Lenais Tod hatte nicht dazu beigetragen, dass ich die Polizei mochte.
Mein Bruder setzte den Blinker und fuhr rechts ran. Dann ließ er das Fenster runter, schaltete die Musik ab und legte die Hände auf das Armaturenbrett, ich tat es ihm nach.
Dies war auch eine der vielen Lektionen, die wir früh gelernt hatten, werdet ihr von der Polizei angehalten, nehmt die Hände dorthin, wo die Polizisten sie sehen können und zeigt, dass ihr unbewaffnet seid. Meckert nicht rum, dass ihr aufgehalten werdet, werdet nicht frech, respektlos oder ungeduldig, befolgt ihre Anweisungen und widersetzt euch nicht. Und wenn ihr im Auto seid und aussteigen müsst, lasst die Hände auf dem Autodach und bewegt euch nicht, greift auf keinen Fall durch das Fenster ins Auto, holt ja nichts raus, der Polizist wird denken, ihr holt ein Waffe und dann wird er euch erschießen.
Dieser Vortrag meines Vater geht mir durch den Kopf, während wir warten, dass einer der Polizisten auftaucht.
„Was meinst du, warum sind wir angehalten worden?", will ich von Yaris wissen und schaue ihn ängstlich an, Autokontrollen riefen in mir eine böse Erinnerung hervor. „Ich weiß es nicht, ich war maximal 10kmh zu schnell, normalerweise kein Grund uns anzuhalten", antwortet mein Bruder, aber als mein Bruder meinen ängstlichen Blick sieht, berührt er kurz meinen Arm und meint dann: „ Uns wird nicht passieren Oryana, wir machen das was die Polizisten sagen und es wird nichts passieren, wie das, was vor sieben Jahren passiert ist." Ich nicke, in der Hoffnung, dass Yaris recht hat.
*** 13.07.2020 - 502 Wörter
Dabei erinnere ich mich daran, was vor sieben Jahren passiert ist. Mein Großvater hatte mich von der Schule abgeholt, ich saß auf der Rückbank und wir fuhren die Hauptstraße entlang, als wir wie jetzt von der Polizei angehalten worden sind. Mein Großvater ließ das Fenster herunter und wir warteten, bis der Polizist kam, währenddessen erzählte ich meinem Opa weiter von meinem Tag, doch musste ich schreien, damit er mich verstand, da er sehr schwerhörig war und mich kaum verstand, wenn ich in normaler Lautstärke sprach, selbst wenn ich direkt neben ihm stand.
Der Polizist kam zu uns ans Auto, doch stand er so, dass mein Großvater sich halb verrenken muss, um ihn ansehen zu können, so wollen die Polizei ihre Dominanz zeigen. Da mein Opa sich aber nicht mehr so gut drehen konnte, schnallt er sich ab und dreht sich dann um, um den Polizist zu verstehen, doch dieser dachte, mein Großvater wolle ihn angreifen und schrie ihn an, holte seine Waffe hervor und richtete sie auf meinen Großvater. Da der Polizist so geschrien hatte, verstand mein Opa ihn und sagte darauf hin, er müsse ihn ja wohl anschauen wenn er rede und deswegen hätte er sich umgedreht. An die Reaktion des Polizisten drauf, an diese erinnere ich mich nicht mehr, aber egal, weiter im Text, der Polizist forderte dann Fahrzeugpapiere und Opas Führerschein, doch da er wieder in einer normalen Lautstärke sprach, verstand er der den Polizisten nicht und musste erstmal überlegen, was dieser wohl gesagt hatte und da es dem Polizisten zu lange dauerte und er wohl vermutete, dass mein Opa irgendetwas versteckte und nun einen Plan ausheckte, um zu fliehen, öffnete er die Tür, zog meinen Großvater heraus und brachte ihn gewaltsam zu Boden.
Ich hatte die ganze Zeit stumm auf der Rückbank gesessen, da ich Angst hatte etwas zu sagen, doch das erschreckte mich so sehr und ich wollte meinem Opa helfen, weshalb ich aus dem Auto sprang und mit den Händen hinter dem Kopf, damit jeder sah, dass ich unbewaffnet war und schrie: „Er ist schwerhörig, er hat sie nicht verstanden, bitte, lassen sie ihn in Ruhe! Opa er möchte die Fahrzeugpapiere und deinen Führerschein sehen!" Der Polizist verarbeitet gedanklich noch meine Aussage, doch mein Großvater stand schon auf, um ihm die gewünschten Sachen zu geben. Ich weiß bis heute nicht, ob das nur ein Reflex des Polizisten war oder eine Bestrafung, oder sonst irgendwas, doch er als mein Opa aufstand, trat er ihm gegen die Brust, so fest, dass man etwas Knacksen hörte.
„Opa, nein!", schrie ich. Mein Großvater ächzte schwer und ich wollte zu ihm rennen, doch er streckte die Hand aus und bedeutete mir, an Ort und Stelle zu bleiben und sagte dann röchelnd: „Hol dem Polizisten die Fahrzeugpapiere und meinen Führerschein und ruf dann die Sanitäter, bitte Schatz." Ich nickte nur und tat das, worum er mich gebeten hatte, ich stand unter Schock. Der Polizist kontrollierte die Papiere und den Führerschein und anstatt mit uns auf den Krankenwagen zu warten, fuhr er einfach weg und ließ mich mit meinen Großvater allein auf der Straße zurück.
Mein Großvater überlebte dieses Ereignis nicht.
Seien Rippen waren durch den Tritt gebrochen worden und es wurde zu spät bemerkt, dass eine der Rippen seine Lunge perforiert hatte, er starb an dem daraus entstehenden Spannungspneumothorax und bis heute gebe ich mir die Schuld daran, da ich niemandem erzählt habe, was passiert ist, ich schwieg einfach und mein Großvater war ohnmächtig, als die Notfallsanitäter eintrafen.
*** 14.07.2020 - 581 Wörter
Ich schließe die Augen und atmete tief durch, um die Bilder aus meinem Kopf zu bekommen, doch mein Herz rast immer noch und meine Hände zittern vor Angst. Ich balle meine Hände fester zusammen, damit das Zittern aufhört.
Mittlerweile steht ein Polizist am Fenster und mein Bruder reicht ihm gerade die Fahrzeugpapiere und den Führerschein, nach welchen er verlangt hatte.
Der Polizist nimmt die Fahrzeugpapiere und dann den Führerschein, er schaut drauf und dann schaut er Yaris mit einem undefinierbaren Blick an, doch ich glaube, es sieht wie Freude aus. „Aussteigen", schnarrt er. Mein Bruder schnallt sich ab und folgt er Anweisung ohne zu murren, doch ich frage mich, was mit Yaris Führerschein sein soll, er wurde schon einmal kontrolliert, als er mit Pa unterwegs war, hatte er mir erzählt.
„Woher habt ihr das Auto, du bist erst neunzehn Jahre alt, so ein Auto kannst du dir unmöglich leisten", will der Polizist harsch wissen, während mein Bruder seine Hände aufs Autodach legt. „Der Wagen gehört meinem Vater, Berhane Maragolys", antwortet Yaris ruhig und ich bewundere ihn für seine Ruhe, ich muss innerlich sehr damit kämpfen nicht in totale Panik zu verfallen, weil ich immer wieder daran denken muss, wie mein Großvater nach draußen gezehrt wurde und jetzt Yaris auch da draußen.
Der Polizist schweigt, er nimmt die Papiere und den Führerschein mit zu dem Polizeiauto, was ca. 25 m entfernt.
Ich atme mittlerweile tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Yaris bemerkt dies und ich kann gerade noch flüstern: „Tu das nicht", als er schon seine Hand zu mir ins Auto streckt, meine nimmt und sie drückt. „Oryana, mir und dir passiert nichts, es ist alles gut, der Polizist sieht gleich, dass das Auto nicht geklaut ist und dann fahren wir Pa abholen", meint er und drückt meine Hand noch einmal.
Wie falsch er doch liegt, den just in diesem Moment ruft er der Polizist: „Hand zurück aufs Dach oder ich schieße!" Seine Waffer hat er bereits herausgeholt. Yaris lässt meine Hand los und nimmt seine Hand aus dem Auto, doch bleibt er dabei am Auto hängen und der kaputte Verschluss seiner Armbanduhr geht auf, diese gleitet herum, sodass das Zifferblatt herunter blickt und das Licht wird an diesem reflektiert und es gibt ein Blitzen, als ob Yaris eine Waffe in der Hand hielt. Bis ich das realisiert habe und ich irgendetwas tun kann, hat der Polizist bereits abgedrückt.
Ich sehe wie Yaris zu Boden sinkt, eine Kugel hat ihn in die Burst getroffen und ich drehe durch, reiße die Tür auf und will aussteigen, doch meine Beine knicken ein, solche Panik habe ich. Über den Boden robbend gelange ich zu Yaris, den Polizisten ignorierend, dass ich mich nicht bewegen soll, weil er sonst auch auf mich schießen würde. Das einzige was ich tun kann, ist neben meinem Bruder zu sitzen und seine Hand zu halten. Der Polizist kommt heran und als er sieht, dass mein Bruder gar keine Waffe in der Hand hält, schlägt die Hände vor Gesicht, doch dann besinnt er sich und ruft die Sanitäter, zumindest hoffe ich das, als er sein Funkgerät herausholt.
Yaris neben mir stöhnt vor Schmerzen und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder zu ihm. „Yaris, hör mir zu, du musst durchhalten, Hilfe ist unterwegs, du musst durchhalten, du darfst mich nicht allein lassen", flehe ich ihn an und Tränen rinnen über mein Gesicht. „Ory... Oryana..., tu etwas ge...gegen diesen Rassismus....", flüstert er röchelnd, die nächsten Worte konnte ich nicht verstehen, die letzten zwei waren, „ Sonne aufgehen" Dann schloss mein Bruder die Augen und zwei Sekunden später sackte sein Kopf zur Seite. „Nein!", ist das einzige was ich schreien kann, dann breche ich über dem Körper meines Bruders zusammen und mein ganzer Körper fühlt sich an, als er würde er in Flammen stehen, es fühlt sich an, als würde er durch den Schmerz, den ich fühlte verbrennen.
*** 15.07.2020 - 645 Wörter
Die Hälfte des Monates ist vorbei, bisher habe ich 9.362 Wörter geschrieben.
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