Kapitel 21

Seit dieser Erkenntnis, dass wir nicht auf Dauer hier bleiben können und unsere Zeit hier begrenzt ist, ist es, wie wenn wir alle ausgewechselt wären. Alle paar Abende versuchen die Anführer eine Art Fest, ein Zusammenkommen vor dem Feuer zu organisieren, bei dem wir uns immer alle unterhalten und gut verstehen. Sie machen es, damit alle denken, dass wir hier in einer heilen Welt leben, in der man sich um nichts Sorgen machen muss, doch ich habe das Gefühl, dass das alles nach hinten losgeht. Jeder weiß, dass etwas im Busch ist, dass wir nur nicht gesagt bekommen, was es ist und sie wissen, dass es einige wissen. Doch jeder wahrt den Schein, dass sie glücklich sind, die Treffen sind wohl die einzigen Stunden, in denen wir wirklich unbeschwert glücklich sein können. Wir erfahren in diesen Stunden, was es heißt, befreundet zu sein und sich gegenseitig Geheimnisse anvertrauen. Gerade sitzen wir wieder zusammen und spielen das Spiel, das uns allen gefällt und durch das wir auch mal vom Alltag abschalten können. Dieses Spiel nennt sich Wahrheit oder Pflicht. Ich sitze auf einem Baumstamm, der neben vielen anderen um das knisternde Lagerfeuer gestellt ist neben Newt und Sonya. Wir erzählen uns gerade von unserem Tag, was eigentlich nichts anderes als sonst ist. Doch keiner von uns traut sich, zu schweigen und an die Zukunft zu denken. Egal, was für sinnloses Zeug wir uns erzählen, jeder will einfach nur mit seinen Gedanken an etwas anderes als das Unvermeidbare denken. „Gally, Wahrheit oder Pflicht?", höre ich Chuck sagen. Der kleine pummelige Junge sitzt ein paar Meter neben mir und blickt nun freudig in die Runde. Er ist unser kleiner Sonnenschein, der Kleine sieht eigentlich in allem etwas Gutes und er weiß eigentlich immer, wann jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um uns alle aufzumuntern. Manchmal müsste er nur noch lernen, wann es Zeit ist, die Klappe zu halten, doch er ist noch jung und lernt dazu. Gally bekommt rote Flecken im Gesicht, als er erst uns alle flehend ansieht und als wir alle nicht reagieren, Chuck ansieht, der ihn mit seinen Pausbäckchen anlächelt. „Wahrheit, sage ich mal", grummelt er und fängt an, mit seinem Bein nervös auf dem Boden auf und ab zu wippen. Er ist wirklich nicht für dieses Spiel gemacht, doch sein momentanes Verhalten bringt uns die nötige Ablenkung, die wir momentan alle brauchen. „Auf welches Mädchen stehst du?", fragt Chuck und fängt schon in der nächsten Sekunde an, zu lachen wie ein Verrückter und sich auf den Oberschenkel zu klopfen. Er ist wirklich ein kleiner Scherzkeks. Doch ich finde diese Frage wirklich passend, das würde mich wirklich interessieren. Ich bin nur froh, dass ich das nicht gefragt wurde, denn ich könnte niemals öffentlich zugegeben, dass ich auf Newt stehe und außerdem weiß das wahrscheinlich sowieso jeder hier, so wie ich mich ihm gegenüber verhalte. Gerade jetzt wieder kann ich nur daran denken, wie perfekt er aussieht, wie er sich mit den anderen amüsiert, sich diese Grübchen bilden und seine Augen, dieses perfekte Braun glitzern und er sich durch die Haare fährt. Wie gerne würde ich jetzt einfach meine Hand ausstrecken und durch seine Haare fahren. Und noch viel mehr, das ich mir einfach nur so sehnlich wünsche. Er ist einfach die Perfektion eines Menschen, das kann ich gar nicht in Worte fassen, wie perfekt er ist, das ist einfach unbeschreiblich. Gally ist nun wohl dabei, seine Antwort zu geben, denn er ist von seinem Platz aufgestanden und hat sich neben das Feuer gestellt. Das ist so Tradition, dass man, wenn man an der Reihe ist, aufsteht und sich den anderen zuwendet. „Ähmm, also ich stehe jetzt nicht wirklich so richtig auf einen von euch hier, aber ich denke, dass ich trotzdem eine Antwort geben muss, wen ich hier am süßesten oder so etwas in der Art finde. Also, bitte verurteilt mich jetzt nicht, wenn ich den Namen nenne." „Jetzt sag es doch einfach, spuck es aus, du Neppdepp!", ruft Minho. Gally sieht ihn böse an. „Maria." Alles ist still, wie wenn man verkündet hätte, dass irgendjemand gestorben wäre. Ich habe mich doch gerade verhört oder? Das kann doch nicht wahr sein, dass Gally, die Augenbraue, auf mich steht. Und ich habe nichts davon gewusst. Das einzige, was ich manchmal bemerkt habe, war, dass er mir böse Blicke zugeworfen hatte, wenn ich mit Newt alleine war. Das ist wohl alles einfach nur Eifersucht gewesen, es tut mir jetzt schrecklich leid, dass ich keine Gefühle für ihn habe, denn eigentlich ist er ein guter Mensch. Er ist immer lieb zu mir und hat noch nie etwas getan, um mir zu schaden. „Maria, Wahrheit oder Pflicht?", wendet sich Thomas nun an mich. Will er Gally helfen und so ablenken? „Pflicht." Ich kann nicht riskieren, dass ich preisgeben muss, dass ich auf Newt stehe. „Küss Gally", lacht Thomas und kommt in der nächsten Sekunde zu mir, um mich auf die Beine zu ziehen und auf den noch stehenden Gally zuzuschieben. Spinnt er völlig? Ich kann doch Gally nicht küssen! Er will das vielleicht, aber ich garantiert nicht. Aber wenn ich mich weigere, dann wird eine Bestrafung auf mich warten, die sich alle aussuchen dürften und davor habe ich ehrlich gesagt noch mehr Angst als davor, Gally zu küssen. Was denkt Newt nur? Wird er denken, dass ich froh bin, dass sich so eine Gelegenheit bietet, da er auf mich steht und ich heimlich auf ihn auch oder wie? Ich will mich einfach nur davor drücken, doch ich weiß, dass ich keine Wahl habe und ihn nun küssen muss. Schnell kneife ich meine Augen zusammen und beuge mich vor, um es hinter mich zu bringen. Ich habe das Gefühl, dass mir mein Abendessen gleich wieder hochkommt, als sich seins Lippen auf meine legen. Er scheint es wirklich zu genießen, doch ich stehe einfach nur stocksteif da und bewege mich keinen Zentimeter, während ich Gott anflehe, dass es zu Ende ist. Als ich es nicht mehr aushalte, ziehe ich mich zurück und fange an, zu rennen. Mitten in den Wald hinein, hauptsache weg von allen anderen. Ich muss meinen Mund im See ausspülen und hoffen, dass ich mich nicht übergeben muss. Ich hasse dieses Spiel!

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