Scarlett ~ Wasserspritzpistole
Ich konnte nicht klar sehen, aus dem Chaos des Kampflärms keine einzelnen Geräusche herausfiltern, wusste nicht, in welche Richtung ich mich bewegte. Meine Sinne waren wie ausgesetzt. Aber ich brauchte sie nicht, ich durfte blind und taub sein, weil ich mich auf diejenigen verlassen konnte, die die Eindrücke von außen noch richtig verarbeiten konnten.
Wie eine Einheit waren wir vorgestürmt, wir Watchers, und hatten Nia vom Kampf abgeschirmt. Peggy trug sie auf dem Arm, hielt den Kopf unseres Kükens in ihre Schulter gepresst, um sie in beruhigende Dunkelheit zu hüllen. Mein Bruder direkt vor mir diente zur linken Seite als menschliches Schutzschild, Nate nach rechts und meine Cousinen nach vorn. Als Nachhut hetzte ich ihnen hinterher, und trotz Eiszeit hatte ich Mühe, ihnen hinterherzukommen, weil ich immer wieder Patronen noch in der Luft zum Erstarren bringen musste. Es brachte mich zum Schwitzen, mit purer Luftfeuchtigkeit die Geschosse zum Erstarren zu bringen, obwohl mein Anzug noch immer beim absoluten Nullpunkt vibrierte.
Neben mir stolperte T'Chada, als er eine Schusssalve mit seinem vibraniumbedeckten Rücken abfing, und ich rammte meine Schulter im Rennen unsanft gegen seine Rippen. Mein Cousin keuchte leise auf und presste kurz eine klauenbewehrte Hand in meinen Oberarm, bevor er sich wieder stabilisieren konnte. Er sprang zur Seite, nachdem wir uns durch einen Türrahmen gequetscht hatten, und am dumpfen Knallen hinter uns erkannte ich, dass er die Tür zugeworfen hatte.
Schüsse zerfetzten die Luft, als ein Kugelhagel auf das dicke Holz niederging, das vermutlich nicht lang halten würde. Aber wir hatten auch nicht vor, lang zu bleiben. Ohne unser Tempo zu verlangsamen, rannten wir um die Ecke in den Tunnel, der uns der Freiheit ein Stück näherbringen sollte. Wir liefen alle mit unterschiedlichen Trittweiten, aber irgendwie doch im Gleichschritt, und das Echo im Tunnel hämmerte wie ein drängender Beat auf uns ein.
Und dann wurde unser Sprint in die Freiheit ganz plötzlich gestoppt. Ich wusste im ersten Moment nicht, was passiert war, stieß gegen Hunters Rücken, der einen Ausfallschritt nach vorn machen musste. Ohne sich zu mir umzublicken, trat er zurück und nahm meinen Platz hinter Peggy ein, deren Kopf er problemlos überblicken konnte. Ich griff Queenie, die ganz blass geworden war, an ihrem dürren Handgelenk und zog sie zurück, um Nia selbst nach vorn abschirmen zu können – denn dort lauerte die Gefahr. Ich keuchte auf, mehr aus Wut als Angst, als ich erkannte, wer sich wieder vor uns aufgebaut hatte.
Die Mandarin... und sie war nicht allein. Der dunkelhäutige Australier, Waru, hielt Ashe im Schwitzkasten und presste den Lauf einer Pistole gegen ihre Schläfe. Und die Europäerin, Eva, hatte Sierras Arme auf ihrem Rücken verbogen. An der Schläfe der zitternden Spanierin klebte Blut, das in einem Rinnsal bis in ihre Locken gelaufen war und eine beängstigende Spur hinterließ. Keuchend versuchte ich, meinen Atem wieder einzufangen, hörte mein eigenes Herz von der Anstrengung deutlich hämmern.
„Entweder ihr oder sie", strahlte die Mandarin uns an, die Augen trotz ihrer schmalen Form geweitet. Ihre Miene sprach von völliger Abgedrehtheit, sie war überzeugt von ihrer Göttlichkeit – und das machte sie gefährlich. Aber sie war keine Göttin, hatte genauso wenig besondere Kräfte wie ihre Untergebenen, und es wäre uns ein Leichtes gewesen, alle drei auseinanderzunehmen. Doch wir waren Watchers. Beschützer. Wir ließen keine unschuldigen Leben.
„Du bist keine Göttin", sagte Morgan ruhig, die als einzige von uns nur Hoodie und Jeans trug und gänzlich ungeschützt war. Sie dachte nicht einmal daran, ihren Platz neben mir, in erster Reihe, aufzugeben. „Du versteckst dich hinter Geiseln, weil du sehr wohl weißt, dass du keine Chance hast gegen uns. Du bist machtlos." Als die Mandarin plötzlich ihre Arme hochriss, bewegte sich keiner von uns um Millimeter. Wise Girl war im Recht.
„Mein Sohn hat die Macht!", schnarrte sie, den irren Blick gegen die Decke gerichtet, „Der nächste Tian wird geboren werden, nicht von eurer Seite, aber von meiner!" Ich hob meine rechte Hand, nur im wenige Zentimeter, aber Morgan stoppte mich sofort. Ihre Finger lagen ruhig auf meinem Unterarm, und ich warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, doch ihr Fokus verließ die Mandarin nicht. Wir waren alle bereit zum Kampf, und die Verrückte würde uns in ihrem Wahn vermutlich nicht einmal aufhalten können, also warum-
„Wenn du die Geiseln loshaben willst, bitte", sagte die Mandarin, deren Fokus blitzartig wieder ins Hier und Jetzt zurückgekehrt war. Ich hob meine Augenbrauen um Millimeter, überrascht, dass ihre dunklen Augen verschlagen funkelten. Ihre Stimmungen schwankten so unvorhersehbar, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob sie im Drogenrausch war. Die Chinesin deutete jetzt mit wohlwollend gesenktem Kopf auf Ashe, ein leichtes Lächeln auf den schmalen Lippen. „Sie hat nichts dagegen, zu sterben. Wenn niemand zwischen euch und mir stehen soll, dann bitte, erfüllt ihr ihren Wunsch." Ein kaum wahrnehmbares Geräusch drang an mein Ohr, und ich spürte, wie Queenie hinter mir unruhig ihr Gewicht verlagerte. „Sie will leben", flüsterte sie rau.
„Wenn du kein Feigling bist, lass sie frei", verlangte Morgen, und so langsam zweifelte ich ihre Sätze an. Wir drehten uns hier im Kreis, so kamen wir doch nicht weiter... Doch als meine Cousine ihre Arme verschränkte und ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden tippte, funkelten meine Augen wieder. Natürlich, sie hatte einen Vorwand gesucht – für das Signal. Lang, kurz, lang, kurz, klopfte ihr Turnschuh auf den Steinboden. Es war Zeit für Plan C...
Plötzlich sprangen Peggy und Nate zur Seite, stießen gegen Agnes und mich, als Hunter sich nach vorn drängte. „Sierra!", rief er, die Panik deutlich in seiner Stimme, und er stürmte auf seine Freundin zu. Eva trat einen erschrockenen Schritt zurück, zog ihre Geisel mit sich, aber mein Bruder kam trotzdem nicht weit – Waru hatte seine Pistole erhoben, drücke ab und zerfetzte den Körper noch im Sprung.
Noch bevor der Australier realisieren konnte, dass keine Leiche am Boden lag, stand er selbst unter Beschuss – Nate hatte ihn im Visier, und er traf. Keiner von uns trug eine Pistole bei sich, wir waren Beobachter, keine Schlächter. Black Sparrow hatte keine Schusswaffe verwendet, sondern eine Wasserspritzpistole.
Verblüfft schrie Waru auf, aber nicht aus Schmerz – Wasser würde ihn nicht lang aufhalten. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich einen Schritt vortrat und eine Welle aus Adrenalin durch meine Adern flutete. Erneut entkam ein entsetzter Ruf der Kehle des Australiers, und diesmal waren sehr wohl Verzweiflung und Frust die Ursache. Ashe konnte sich problemlos aus seinem Griff herauswinden, nachdem ich seinen Waffenarm am Körper festgefroren hatte.
***
Nun, die Watchers kämpfen ein wenig anders als die Avengers. Aber sie haben durchaus ihre eigene Effektivität - und kreativ sind sie allemal.😉
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