Scarlett ~ Villa

„Warum tue ich mir das hier gleich nochmal an?"

Ich lag bauchlinks auf meinem Bett im Wohnheim, schon fertig für den Abend, während Jenny sich noch verschiedene Röcke an ihr bordeauxrotes Top hielt.
„Du weigerst dich, nach Hause zu fahren und deswegen schleppe ich dich zur Feier mit Jeffs Freunden. Es geht ja nicht an, dass du hier allein versauerst", beantwortete der Lockenkopf die rhetorische Frage.

Stöhnend ließ ich meinen Kopf auf meine Arme fallen, das Gesicht dabei zur Seite gewendet, damit ich Jenny beobachten konnte. „Jetzt nimm einfach den schwarzen und gut ist."
„Trotz high waist?" Skeptisch hielt meine beste Freundin den Rock in die Höhe, um auf mein genervtes Seufzen dann zu einem strafenden Blick zu wechseln. „Du hättest dir ja auch was Hübsches anziehen können."

Als hätte ich da eine Wahl.
Ich trug eine enge schwarze Jeans zu einem bunt gestreiften Strickpullover, der angenehm warm aussah, aber durch die großen Maschen und halblangen Ärmel für meine Verhältnisse angemessen war. Frei nach dem Motto – wann immer du in der Öffentlichkeit bist, verstecke das Frostriesenblut. Damit kein möglicher Feind sich auf uns einstellen konnte... Anonymität. Der riesige Vorteil, den die Watchers gegenüber der Avengers hatten.

„Jetzt schwing deinen süßen Hintern aus dem Bett, Stark, wir wollen ja schließlich heute noch los." Irritiert zog ich in Jennys Richtung die Augenbrauen hoch, dann schüttelte ich ergebend meinen Kopf und folgte noch etwas träge ihrem Befehl. Egal, wie sehr mich der Sommer runterzog, Jennys anderthalb Meter waren vollgepumpt mit Energie.

Einer Energie, von der ich wenige Minuten später aber kaum noch etwas spürte, als Jenny ihren roten Mini durch Queens manövrierte. Sie hatte abgesehen vom Straßengeschehen nur Aufmerksamkeit für Jeff, der in nur halb zugeknöpftem Hemd neben ihr auf dem Beifahrersitz saß und mich mit Patrick auf der Rückbank zurückgelassen hatte. Patrick.
Vom Idiotentrio.

Seufzend fuhr mein Blick nach rechts zu dem muskulösen Schwarzhaarigen. Er war nicht sonderlich groß, und sein Blick ähnelte auf eine merkwürdige Weise dem Gramps – vielleicht hätte ich ihn sogar mögen können, wenn ich ihn nicht besser gekannt hätte.

Erst, als er auf meinen musternden Blick mit einem scheuen Lächeln reagierte, hob ich irritiert die Augenbrauen. Die Stille zwischen uns hatte plötzlich etwas sehr Merkwürdiges, als würde der Teenager neben mir krampfhaft nach etwas suchen, was er zu mir sagen könnte. Aber irgendwie wirkten seine ruhelos umherwandernden Augen, als würde er noch etwas ganz anderes suchen... Aber ich konnte seinen Ausdruck nicht klar lesen, schenkte ihm dazu normalerweise viel zu wenig Beachtung.
„Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst", zuckte Patrick jetzt etwas hilflos die Schultern, „Aber vielleicht solltest du nicht ganz so vorschnell schließen." Er sprach leise, mit rauer Stimme – so, dass die Turteltäubchen vorne ihn über den Klängen von Amor's Love nicht hören konnten.

Bei diesen Worten konnte ich nur innerlich die Augen verdrehen, genau wissend, dass Patrick ohne Jonah und Luca eigentlich erträglich war. Aber ohne diese beiden traf man ihn sehr selten an.
„Ich weiß, dass du von euch dreien noch am vernünftigsten bist", murmelte ich genauso leise zurück, mit dem seltsamen Bedürfnis, mich zu verteidigen. „Diese Ansicht wankt nur dann, wenn ich sehe, was für Wörter Luca und Jonah dir an den Kopf werfen." Ich ließ ihn nicht aus den Augen, beobachtete genau, wie Patrick ergeben seinen Kopf ans Fenster lehnte – wissend, dass ich recht hatte.

Seine Freunde waren allgemein dafür bekannt, mit Beleidigungen um sich zu werfen, aber dass sie sogar vor Patrick mit anzüglichen Kommentaren und groben Schlägen nicht Halt machten, war erschreckend.
Doch mein Klassenkamerad sah mich unter den dichten Augenbrauen forsch an und sagte dann langsam: „Du scherst die beiden ziemlich über einen Kamm. Jonah kann wirklich loyal sein, und er will niemanden verletzen. Er macht nur deutlich, wie die Dinge stehen." Er kaute kurz auf seiner Unterlippe, und ich wartete einfach ab.
Das lag diesmal aber nur teilweise an der Kälte, denn Patrick machte mich nachdenklich.

Meine Mom hatte mal einen Informatikkurs an unserer Schule gegeben, und vom Idiotentrio hatte nur Patrick daran teilgenommen. Sie hatte ihn sympathisch gefunden, und normalerweise hatte sie eine gute Menschenkenntnis...

„Luca jedenfalls hat seine Gründe, grob zu sein. Aber das geht dich nichts an."
Ich hob überrascht meinen Kopf, aus den abschweifenden Gedanken gerissen. Ich hatte nicht erwartet, noch etwas von Patrick zu hören zu bekommen, aber jetzt zuckte er entschuldigend mit dem Mundwinkel und wandte dann seinen Blick von mir ab. Er schien tatsächlich einer der Typen zu sein, die nur nett waren, wenn niemand ihrer Freunde zuhörte. Nachdenklich schürzte meine Lippen – ich war nicht der Meinung, dass er das nötig hatte.

Vielleicht kannte ich Patrick und seine Truppe doch nur halb so gut, wie ich geahnt hatte, doch als Jenny neben Jonahs BMW parkte, war der Schwarzhaarige wie ausgewechselt und nahm ohne Umschweife das erste Bier entgegen.
Oder vielleicht auch nicht ganz das erste – so offen, wie er im Auto gerade gewesen war, hatte vermutlich der Alkohol seine Zunge gelockert.

Meine Aufmerksamkeit zog jedoch nun das Haus auf sich, vor dem wir ausgestiegen waren. Oder vielmehr, die Villa – das riesige weiße Gebäude war mit Säulen geschmückt, war durchzogen von großen Fenstern und strahlte puren Reichtum aus. Aber auf eine altehrwürdige Art und Weise, wie sie hier auf dem Hügelkamm thronte... als stünde sie schon immer hier.

Urplötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als etwas durch den Rand meines Blickfelds flog. Irritiert zog ich die Augenbrauen hoch, als ich die hellblaue Schlummerrolle erkannte, die Patrick nur knapp gefangen hatte.
„Hier, Kurzer, dein Kuschelkissen", grinste Luca provokant, der anscheinend der Werfer gewesen war. Der hochgewachsene Teenager stemmte einen Arm in die schlaksige Hüfte und zerknitterte dabei das furchtbar grün-violett-karierte Hemd, das er sich über die breiten Schultern geworfen hatte, und setzte ein übertrieben mitleidiges Gesicht auf: „Unser Kurzer hier kann nämlich ohne sein flauschiges Schätzchen nicht schlafen."

Zwischen den Jungs brach prompt eine Kabbelei aus, aber ich starrte entsetzt zu Jenny herüber: „Schlafen? Wir übernachten hier?"
Jenny umschlang ihre nackten Arme, in der Abendluft fröstelnd, und ihr Blick wurde zerknirscht. „Hätte ich dir das vorher gesagt, wärst du nicht mitgekommen... Aber keine Sorge, Wechselklamotten hätten eh nichts gebracht, die Partys hier dauern lang."

Augenverdrehend ließ ich meinen Kopf in den Nacken sinken, doch wirklich protestieren konnte ich nicht. Zum einen hatte Jenny recht, zum anderen war die kühle Brise gerade sehr angenehm. Ausnahmsweise beschloss ich, alles positiv zu sehen, und gab nur aus Prinzip leichte Widerworte: „Dann hoffe ich für dich, dass, wer auch immer Inhaber dieses... Bauwerks ist, noch ein Bett für mich frei hat."
Hinter mir kicherte es, und nach einem knappen Blick erkannte ich Amy, die wohl mit Luca gekommen war und sich die blonde Mähne kokett über die Schulter strich. „Hast du dir das Bauwerk mal genau angesehen? Addie hat sogar ein ganzes Zimmer für dich frei."

Addie.
Aha.
Zumindest kannte ich jetzt den Namen des Typen, mit dem wir den Abend verbringen würden – und ein paar Momente später, als wir die Villa betraten, auch den vollen: Adrian Fisher, laut Klingelschild.

Und, ich weiß, eigentlich soll man keine Menschen nach ihrem Aussehen beurteilen.
Aber als Adrian Fisher mit Nerdbrille und hochgegelten schwarzen Haaren vor uns stand, mit großer Geste auf das Buffet weisend... Den freundlichsten Vergleich, den ich zu ihm treffend konnte, war der mit Brainy Smurf.

***

Ich hoffe, die Kapitel aus Scarletts Sicht werden nicht zu langweilig, da bei ihr das mehr oder weniger normale Highschool-Leben weitergeht, während Hunter auf Mission ist. Also, wenn ich irgendetwas verbessern kann, dann sagt es mir gern!😉

Außerdem arbeite ich nebenbei gerade an einem Projekt, das ich zwar gar nicht geplant hatte, das aber vielleicht eine interessante Herausforderung für mich darstellt. Ich habe vor, am "Open Novella Contest 2021" teilzunehmen, schaut euch das doch einmal an, wenn ihr gerade Lust zum Schreiben habt! Ich werde sehen, dass ich heute oder morgen das erste Kapitel dazu hochlade und würde mich freuen, wenn ihr auch in etwas abseits von Fanfiction von mir reinschauen wollt. We are the Children wird natürlich trotzdem weiter wie gewohnt hochgeladen, jeden Dienstag/Mittwoch und Freitag/Samstag.

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