Scarlett ~ Spielfeld
T'Chada machte es mir einfach, ihn zu hassen.
Vermutlich, weil er sich selbst nicht ausstehen konnte und nicht gemocht werden wollte. Tja, und da es meine Aufgabe war, genau das Gegenteil seines Willens zu machen, vertraute ich ihm diesmal blind. Er hatte unsere oberste Regel verletzt und Nia der Gefahr ausgesetzt, die ihr ihre Mutter genommen hatte. Doch sein Ziel war es, unsere Familie zu schützen, und dafür war er bereit, alles aufs Spiel zu setzen.
Damit würde er bei den restlichen Watchers nur auf Unverständnis stoßen, vielleicht sogar auf den gesuchten Hass. T'Chada hatte keine Skrupel, würde über Leichen gehen für die, denen gegenüber er loyal war.
Und ich würde jeden dahergelaufenen Unschuldigen opfern, wenn ich dadurch die Möglichkeit hätte, Hunter zu schützen.
Wir waren keine Helden, T'Chada und ich. Er kannte keine Grenzen, ich keine Kontrolle. Irgendwie waren wir gleich, obwohl wir uns natürlich trotzdem – oder gerade deswegen – am liebsten gegenseitig an die Kehle gehen würden. Und, um das jetzt noch einmal ganz klarzustellen, er war und blieb ein Vollidiot.
Deswegen zauberte es mir auch ein Lächeln aufs Gesicht, als mein Cousin zu Fuß irgendwie zur Tribüne kommen musste, während ich bei Jonah hatte mitfahren müssen. Der tummelte sich gerade auch mit Luca und den restlichen zehn Jungs ihrer Mannschaft in der Turnhalle, Bälle um aufgestellte Kegel dribbelnd, während ich mit Patrick auf der Tribüne wartete. Ich bekam nicht viel vom bunten Treiben auf dem Feld mit, sondern war völlig in Gedanken an unseren Plan versunken.
Natürlich hatten wir Morgan informiert, aber T'Chada hatte das Videomaterial davor bearbeitet, einige Szenen herausgeschnitten und ein Worddokument an Notizen hinzugefügt, die weitere Erklärungen lieferten. Nach dem ersten Schockmoment über die Kurzfristigkeit war unser Wise Girl auf Hochtouren aufgelaufen, hatte binnen weniger Minuten Instruktionen an alle fünf übrigen Watchers gegeben und mehrere Handlungsverläufe des heutigen Tages ausgearbeitet.
Sie würde mit Nate und Agnes sozusagen an die Fronttür der Geweihten klopfen und eine Ablenkung starten, sobald T'Chada, Hunter und ich drin waren. Peggy hatte ihr Auto schon in Position gebracht und würde zu uns stoßen, damit mein Bruder eine Illusion von T'Chadas Körper über sie legen konnte. Ihre Aufgabe war es, gemeinsam Nia ausfindig zu machen und in Sicherheit zu bringen, während der wahre Black Lion sich aus dem Hintergrund mitten ins Getümmel stürzen würde. Sechs Watchers in Kombination würden hoffentlich so lang im Kampf durchhalten, bis unsere kleine Cousine gerettet war... tja, und dann würde es um unsere eigene Rettung kümmern. Irgendwie würden wir schon wieder rauskommen.
Morgans Plan war schwammig, sobald es nicht mehr um Nias Wohlbefinden ging. Wieder einmal war mehr als deutlich klar, wo unsere Prioritäten lagen – aber darüber würde sich niemand je beschweren. Nia war unser Engel, den sie viel zu früh versucht hatten, vom Himmel zu holen... Und wir waren die Luft unter ihren Flügeln, die dafür sorgten, dass sie trotzdem fliegen konnte.
Ein hohes Pfeifen holte mich aus meinen Gedanken, und ich schreckte hoch – die Hand schon an meinem Gürtel. Der saß aber gerade unter einer High-Waist Boyfriend-Jeans, die die Kampfmontur meiner Beine völlig verschwinden ließ. Nur meine Schuhe waren zu sehen, aber ich trug unauffällige Turnschuhe in Türkis – ich hatte Peggys Mahnungen, Boots anzuziehen, immer gekonnt überhört.
Patrick sah mich von der Seite verwirrt an, als ich so elektrisiert dasaß, denn das plötzliche Geräusch war von Jonah gekommen, der seine Jungs jetzt zu einer Besprechung zusammentrommelte. Sie waren ein bunter Haufen in der Halle mit den noch bunteren Linien auf dem Boden. Die ganze Mannschaft trug zwar schwarze Sportshorts, aber ihre Shirts waren alle knallig und reichten von Neongelb bis Tiefrot. Die orangenen Kegel und farbenfrohen Bälle zwischen ihnen taten ihr Übriges, dass ich schon nach den ersten fünf Minuten den Überblick verloren hatte.
Ansonsten allerdings fühlte ich mich hier in der Turnhalle sehr wohl. Durch ihre Größe war sie recht kühl, in der Decke waren große Fenster eingelassen, die genug Licht hereinließen und die hohen, mit Holz verkleideten Wände wirkten hell und freundlich. Das einzig Dunkle hier war Patrick neben mir, ganz in schwarz gekleidet und mit etwas trübem Blick. Er saß auf einer der grauen Stufen der Tribünen, die Füße eine Ebene unter ihm, und hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Sein Kopf ruhte in seinen Händen, und als ich seinen Augen folgte, erkannte ich, dass sie fest auf Luca gerichtet waren.
Der Schwarzhaarige bemerkte nicht einmal, wie ich ihn von der Seite mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Natürlich war von Luca selbst vorhin ein Kommentar über Patricks Hintern in der Sporthose gekommen, doch dass mein Nebenmann nun selbst wie gebannt schien...
Aber ich hatte nicht wirklich Zeit, mir über die Konflikte der Jungs Gedanken zu machen. Einige der Spieler hatten sich bereits verabschiedet, während Jonah noch wild gestikulierte, das Training schien fast zu Ende zu sein. Und damit auch die Ruhe vor dem Sturm...
Mit unhörbarem Seufzen wandte ich mein Blick wieder dem Spielfeld zu, und scheinbar gedankenverloren fragte ich: „Glaubst du eigentlich, dass Luca nur mit Amy zusammen ist, um zu überdecken, dass er schwul ist?" Ich lachte leise, ignorierend, dass Patrick neben mir ähnlich zusammengezuckt war wie ich bei Jonahs Pfiff. „Ich weiß nämlich wirklich nicht, warum jemand sonst mit Amy zusammen sein sollte."
Ein paar Sekunden schwieg der Schwarzhaarige, und ich musste mich zusammenreißen, nicht zu ihm zu schauen. Sonderlich unauffällig war ich vermutlich trotzdem nicht: „Du bist viel zu durchtrieben, Stark." Seine Stimme war rau und wirkte belegt, aber ehrlich. Und ich hatte nicht einmal den Anstand, rot anzulaufen.
Jetzt sah ich ihn doch wieder an, mit bohrendem Blick. Patrick hatte seine Augen jetzt krampfhaft auf seine verflochtenen Finger gerichtet, seinen Kopf hielt er gesenkt. „Luca ist nicht schwul."
Ich überlegte nicht einmal, wie weit ich gehen durfte, sondern meinte unverblümt: „Genauso wenig wie du, hm?" Natürlich wusste ich nichts darüber, auf wen Patrick stand und auf wen nicht, und es ging mich auch überhaupt nichts an. Aber mit anderen Freunden als den beiden Jungs sah man ihn nie, und ich hatte nicht das Gefühl, dass er mit den beiden darüber reden konnte... Es blieb bei ihm, ob er sich mir anvertrauen wollte.
Seine Körperhaltung änderte sich nicht im Geringsten, als er die nächsten Worte sprach: „Ich war nicht immer Patrick." Auch ich erstarrte jetzt, wagte fast nicht zu atmen, um ihn nicht zu verschrecken. Der Schwarzhaarige neben mir sah nicht zu mir auf, aber er wusste vermutlich genau, dass ich ihn nicht aus den Augen ließ.
„Früher war ich Patricia. Und als ich mich dann als Patrick geoutet habe, waren Jonah und Luca die einzigen, die mich genauso behandelt haben wie vorher. Für die beiden war ich immer nur Patty. Und von Luca kommen eben immer noch dieselben anzüglichen Kommentare wie vorher."
Patrick bewegte sich während seiner Sätze nicht um Zentimeter, und auch jetzt wagte er nicht, Sichtkontakt zu mir aufzubauen. Ich kannte ihn zu wenig, um die richtigen Worte für so einen Moment zu finden, aber ich hob langsam meine Hand und legte sie ihm auf die Schulter.
Um Patricks Mundwinkel zuckte ein winziges Lächeln, doch ich hatte das starke Gefühl, dass es nicht mir galt.
***
So, hiermit hat die Vorstufe des Höhepunkts begonnen - und vorerst geht das normale Highschool-Leben weiter. Dass sich das bald ändert, ist vermutlich wenig überraschend...😉
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