Scarlett ~ Quinjet

„Moment mal."

Mit einem Mal war die Temperatur im Raum um ein paar Grad gefallen und mein Atem bildete kaum wahrnehmbare Wolken, als ich heftig luftholend aufstand.
Hunter sah schuldbewusst von unten her zu mir hoch, und die Hand Moms griff nach meinem Arm, doch ich trat hastig ein paar Schritte zur Seite.
„Das kann nicht euer Ernst sein."
Ich schoss wütende Blicke zu meinen engsten Familienmitgliedern, sodass sogar Morgan ihre Augen niederschlug. Nur T'Chada lehnte sich mit abschätzendem Blick zurück. Ein Knurren stieg aus meiner Kehle hoch, doch gerade war dieser Kleinkrieg die unwichtigste Sache überhaupt.

„Der Plan ist gut, Scar", sagte mein Bruder fest, jetzt auch aufstehend, und ein Stich fuhr durch meine Brust. Seine dunkelblonden Haare waren verwuschelter als sonst, er hatte seine Finger mehrfach darin vergraben – genauso entschlossen wie verzweifelt.
„Ist er nicht", beharrte ich, mir schwer atmend eine Strähne hinters Ohr streichend, „Du kannst nicht- ... Hunter, du-"
Kopfschüttelnd brach ich ab, wandte mich ein paar Schritte zur Seite, zwischen Tisch und Sofa heraus – nur, um ihn dann wieder anzusehen: „Ich brauche dich."
Es gab nur noch uns beide im Raum. Nur noch uns, weil sich meine Welt um ihn drehte.
Ich sah kurz Schmerz in seinen grünen Augen aufblitzen, dann zwang er sich zu einem herausfordernden Blick: „Und Nia braucht mich nicht?"

Plötzlich stand ich da wie erstarrt, mein Brustkorb jetzt physisch schmerzend.
Er hatte mich zu einer Entscheidung gezwungen, er oder Nia – die wir alle geschworen hatten, zu beschützen, als diese Sadisten sie vor sieben Jahren in ihren Klauen hatten.
Und ich fühlte mich hilflos.
Das erste Mal in meinem Anzug war ich völlig verloren, konnte keinen Ausweg finden – weil es keinen gab.

Ruckartig wandte ich mich zu Mom um, die sich gezwungen ruhig verhielt – doch ich konnte den Schmerz in ihrem Blick sehen.
Darum konnte ich mich aber jetzt nicht kümmern.
„Weiß Dad davon?", zischte ich sie an, mit zitternden Fingern. Obwohl ich die Antwort nicht wissen wollte, schien sie in diesem Moment das Wichtigste zu sein – meine letzte Möglichkeit, wie immer.
Mom schloss kurz die Augen, dann sah sie mich offen – ehrlich – an und nickte leicht.

Im nächsten Herzschlag, der durch mein heftig pumpendes Myokard viel zu schnell kam, herrschte im Raum klirrende Kälte. Meine Haut war eisig blau, und ich wusste, dass ich mit bloßen Händen nun töten könnte.

Meine gesamte Familie war aufgesprungen, Hunter machte einen Schritt auf mich zu, doch es war Gramps, der das Wort erhob: „Scarlett, als ich dieses Team ins Leben gerufen habe, hatte ich eigentlich nicht vor, einen Selbstzerstörungs-Knopf einzubauen." Mein Kiefer schmerzte vor Anspannung und mein gesamter Körper zitterte, doch für den Moment blieb ich stehen.
„Gott, ich fühle mich wie Fury. Hatte ich auch nie vor", er warf meiner Mom einen kurzen Blick zu, und meine Finger zuckten, doch Tonys Fokus lag sofort wieder auf mir. „Ihr seid zusammen stark, alle sieben. Du bist nicht allein, und Hunter genauso wenig. Und haltet verdammt nochmal zusammen, verstanden? United we stand."
Jetzt fuhr ich doch herum, zischte zwischen meinen zusammengepressten Zähnen hervor: „Ihr seid im Begriff, uns zu trennen!"
Damit stürmte ich aus dem Raum, warf nur noch über die Schulter zurück: „Und wir sind nicht die Avengers!", dann war ich draußen.
Noch bevor ich die Tür zugeknallt hatte, erklang etwas wie „Deswegen habe ich noch Hoffnung für euch!", doch meine Rationalität war völlig verschwunden.

Ich musste hier weg, weg von den Avengers – meinen Verwandten, die mich so sehr verraten hatten –, und den Watchers, die nichts dagegen getan hatten.
Weg von meinem Bruder, bevor sie mich zwangen, ihn zu verlassen.

Den Blick stur auf den Boden gerichtet eilte ich durch die langen Flure, nur einen winzigen Moment vor der Kältekammer zögernd. Ja, was jetzt, eigentlich?
Ich brauchte die Kälte, aber ich brauchte genauso viel Abstand. Am besten also nach Alaska.
Zum ersten Mal bereute ich, keinen Führerschein zu haben.

Mit einem wütenden Kopfrucken lief ich weiter, sah mein eigenes Spiegelbild im dunkelgrau gefliesten Boden – verschwommen, hastig vorbeieilend, nur das vorübergehende Aufblitzen einer leeren Hülle.
Mein Ziel war der Hangar, wo drei startbereite Quinjets warteten. Die Notversorgung.
Der Autopilot würde mich hoffentlich sicher an einen eisigen Ort bringen...
Mit sicheren Schritten stieg ich die Rampe herauf, wegen des spärlichen Lichts im Inneren kurz blinzelnd. „Stealth Mode, Autopilot, Jet starten", befahl ich harsch und nickte knapp, als die erwarteten Lichter aufblinkten, „Ziel: Errr..." Kurzerhand öffnete ich Google Maps und gab dann binnen Sekunden entschlossen weiter: „Shoup Bay State Mount- nein, Marine Park. Flugzeit eine Stunde."

Nachdem die Maschinen mit einem sanften, stetigen Brummen zum Leben erwacht waren, platzierte ich mich im Pilotensessel, den Gurt ignorierend – auf nackter Haut scheuerte er so unangenehm, und mein Anzug in No-Combat-Mode war ärmellos.
Mich zu stoischer Ruhe zwingend, sowohl äußerlich als auch im Inneren, starrte ich aus der Windschutzscheibe nach vorn. Sehen konnte ich nicht viel, wir flogen innerhalb der grauen Wolkendecke, doch meine Konzentration war sowieso auf meinen regelmäßigen Atem gerichtet. Und auf meine Finger, die sich langsam immer wieder zu Fäusten ballten.
Trotz des bequemen Sessels war meine Haltung steif, ein Rücken durchgestreckt und mein Kinn erhoben. Beide Füße hatte ich fest auf dem Boden platziert, obwohl ich dafür bis auf die äußerste Kante der Sitzfläche rutschen musste.

Als mein Handy in der dafür vorgesehen Halterung rechts von mir am Cockpit klingelte, zuckte ich zusammen. Es genügte ein einziger Blick auf den Kontakt – Dad –, um den Anruf entschieden abzulehnen. Gerade konnte ich das einfach nicht. Warum konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wir wussten alle, dass ich wiederkommen würde.

Doch meine Familie war an meiner Ruhe nicht interessiert, denn beim nächsten Anruf blinkte zusätzlich die Warnmeldung „Programm überschrieben" auf: Es knackte kurz, dann war die Verbindung aufgebaut.
„Hey, Scarlett", ertönte Wandas Stimme.

Ich musste streng darauf achten, keine Miene zu verziehen – eigentlich hätte ich es mir denken können.
„Wer hört alles zu?", hakte ich harsch nach.
„Niemand", antwortete meine Tante ohne zu zögern, „Wir sind allein."
Jetzt verdrehte ich doch die Augen, aber mich konnte ja sowieso niemand sehen. „Dann hast du also in den letzten Minuten Hackerfähigkeiten entwickelt, ja?"
„Gracie hat mich nur durchgestellt", stellte sie klar, „Ich soll – und will – dich allein sprechen. Sie sind nicht dumm."
„Natürlich nicht", schnappte ich.

Kurz schwiegen wir uns nur an, und ich wartete nicht gerade sehnsüchtig auf das „dein Vater macht sich Sorgen um dich" und „meine Zeit mit meinem Zwilling war viel zu begrenzt".
„Nun sag's schon", murmelte ich dennoch.

Wanda seufzte. „Pietros Tod hätte mich beinahe umgebracht. Hat er aber nicht – stattdessen war es Ultron, der dadurch starb. Und irgendwann habe ich begriffen, dass es in Ordnung war, wie er gestorben ist. Weil er nicht umgebracht wurde, sondern in Frieden gegangen ist, freiwillig, für diesen Jungen. Und, noch viel wichtiger, in Freiheit.
Unser Leben lang sind wir von irgendetwas eingesperrt gewesen, Hydra, Ultron, unseren eigenen Gefühlen. Aber im Moment seines Todes war er frei, weil er selbst die Entscheidung getroffen hat. Und dieser Gedanke... lässt mich lächeln."

Mein Brustmuskel zog sich schmerzhaft zusammen. Eigentlich hatte ich etwas Genervtes erwidern wollen, aber dafür waren ihre Worte zu ehrlich. Und zu ausschlaggebend.
Von Zwilling zu Zwilling.

„Was willst du jetzt von mir?", fragte ich hart, aber ebenso ehrlich, „Soll ich den Jet rumdrehen und zurückkommen? Als könnte meine Mom das nicht auch."
„Du bist frei, Scarlett", sagte Wanda einfach, „Genau wie dein Bruder, genau wie deine Familie. Verschwendet das nicht."

Wieder breitete sich eine minutenlange Stille aus, dann atmete ich entschlossen aus. „Nicht vor heute Abend."
Damit wischte ich den Anruf beiseite, zog meine Knie an die Brust und sah gedankenverloren in den grauen Schleier vor mir.

***

Aus irgendeinem Grund mag ich dieses Kapitel total. Vor allem, da ich in einer derartigen Situation vermutich ähnlich reagieren würde... Nun ja, sagt mir gern, was ihr davon haltet!😉

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