Scarlett ~ Köder

In der Kälte jagten die Gedanken wie Blitze durch meinen Kopf.
T'Chada wusste, wo Nia war.
Ausgerechnet er.
Ich wusste nicht, wie, oder warum, oder-

Wir würden Nia retten können.
Das war das einzig Wichtige an der Sache.
„Wann und wo?" Die Worte klangen gepresst, weil ich sie zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervorschob, mich nur mühsam auf einer Stelle halten. Ich wollte aufbrechen, meine Familie retten – und ich wollte es jetzt.
„Morgen bei Sonnenuntergang in der Basis der Geweihten", erklärte T'Chada knapp, dessen Augenbrauen sich beunruhigt zusammengezogen hatten, „Aber wir haben ein Problem."

Ich knurrte nur, mehr brachte ich nicht hervor – er sollte endlich seine Erklärungen anfangen. Mein Cousin verdrehte die Augen und öffnete nebenbei ein Dokument seines Sticks, das zehn ineinander verschlungene Ringe auf rotem Untergrund zeigte. Dieses Zeichen kannte ich genauso gut wie das Hydra-Banner, und mein Blick kehrte misstrauisch zu T'Chada zurück.
„Wir wissen, dass der Mandarin existiert und die größte Terroristenvereinigung der Welt hat. Damit ist die einzige Gefahr für ihn die größte Heldenvereinigung der Welt, und es liegt in seinem Interesse, sie unschädlich zu machen", fasste er knapp das zusammen, was uns bekannt war. Unter meinem direkten Fokus lehnte er sich leicht im Stuhl zurück und schluckte deutlich, bevor er weitermachte: „Zehn Ringe, zehn Anschläge, um die Avengers zu vernichten."
Ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke, als er schon das nächste Bild aufrief – eine Weltkarte diesmal, mit zehn rot markierten Stellen.

„MJ an der Ostküste brauchen wir nicht zu analysieren. Die vier jüngsten sind auch nicht gerade schwierig." Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen, denn die Worte sprudelten so eilig aus meinem Cousin hervor, dass ich kaum hinterherkam. Beinahe, als hätten sie sich so lang angestaut, dass er sie jetzt nicht mehr aufhalten konnte – oder als fürchtete er, ich könnte ihn unterbrechen, wenn er mir die Gelegenheit dazu gab. Ich zog die Augenbrauen hoch, aber T'Chada sah nicht einmal in meine Richtung, sondern deutete auf den Punkt in Australien: „Cassies Mom. Ihr Tod war niemals ein Zufall, auch wenn er die Avengers weniger getroffen hat, als vermutlich erhofft. Dann Sharon damals in Südamerika, ihr letzter Auftrag, bevor sie ihren Beruf an den Nagel gehängt hat... Was auch besser so war, das nächste Attentat wäre vermutlich gelungen." Jetzt warf mein Cousin mir doch einen Blick zu, der so ernst war, dass ich meinen Protest sofort wieder hinunterschluckte. Erst zuhören, dann denken. Das war zwar normalerweise gar nicht meins, aber hier ging es um meine Familie.

„Wanda in Russland und deine Mom in Deutschland, beide misslungen."
Ich räusperte mich kurz, nicht sehr begeistert darüber, dass er das Überleben Moms als Fehlschlag bezeichnete. Aber mir war genauso klar wie T'Chada, dass das gerade nicht wichtig war.

Mein Cousin deutete auf den Punkt irgendwo in Kanada, mir über seine Schulter einen taxierenden Blick zuwerfend: „Jetzt wird's kompliziert. Der hier steht für Peters Mutter, die Umstände über ihren Tod sind immer noch nicht geklärt."
Er schien auf Widersprüche zu warten, aber ich hielt mich zurück – wenn auch etwas krampfhaft. Ich wollte jetzt wissen, was sich sein manchmal vielleicht sogar geniales Hirn zusammengesponnen hatte.

„Und die USA. Hier haben wir Laura, die von Ross entführt wurde... sie wurde nie verletzt, aber... getestet, würde ich sagen." Jetzt runzelte ich doch meine Stirn. Mom hatte nachgewiesen, dass Ross ein Anhänger Hydras gewesen war, aber sollte das jetzt- ... Ja, sollte es: „Und ebenfalls durch Hydra, Maria Stark. Das macht nur Sinn, im zweiten Weltkrieg war Hydra eine Organisation von Deutschland, und deren einziger Verbündeter war Japan... die den Teil Chinas eingenommen haben müssen, wo der Mandarin sitzt." T'Chadas Worte wurden immer schneller, und er gestikulierte mit der linken Hand – die Rechte blieb auf der Maus des Laptops liegen. Er hatte das Verlangen, sich erklären zu müssen, wollte vermutlich wirklich, dass ich ihn anhörte.
„Es macht alles Sinn, Scarlett! Sie haben sich die Frauen herausgesucht, diejenigen, die die Avengers beschützen wollen. Und dadurch, dass sich kein auffälliges Muster hinter den Anschlägen befindet, lässt sich der Feind nicht erkennen, der dahintersteckt. Die Rächer zerbrechen daran, dass sie keine Rache üben können."

Ich unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, sondern hörte zu – unruhig zwar, aber aufmerksam. Mein Cousin warf mir einen raschen Seitenblick zu und holte tief Luft, bevor er weitersprach.
„Nummer Neun ist Pepper. Und ich weiß, dass Slattery nicht der Mandarin ist, aber warum, verdammt noch Mal, kannte Killian dann das Logo und den Titel des wahren Mandarins?" Verdammt. Das war völlig irre. Die Anschläge zogen sich über vier Generationen und die ganze Welt.
Und ich glaubte ihm.

Die ganze Welt abgesehen von-...
Nein, auch in Afrika war ein Punkt. Mitten in Wakanda.

T'Chada war meinem Blick gefolgt, und als er weitersprach, war seine Stimme leiser, als ich sie je gehört hatte. „Ich habe mich schon vor zwei Jahren im Ring in Afrika eingeschlichen, natürlich ohne zu wissen, dass es ein Ring ist. Und trotzdem..." Er schluckte wieder, hatte sichtlich Mühe, weiterzusprechen. „Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass sie meine Mom entführen. Als ich gedroht habe, die von innen auseinanderzunehmen, hat mein Vater mich hierher abgeschoben."

Jetzt war ich es, die große Augen bekam und scharf die Luft einsog. Seine Mom war ihm mindestens genauso wichtig wie mein Dad mir... Es begann plötzlich alles, irgendwie Sinn zu machen. Bis auf das große Ganze, natürlich: „Aber wer ist der Mandarin? Wer steckt dahinter?"
Meine eigene Stimme klang seltsam in meinen Ohren. Irgendwie hohl und zittrig, ungläubig... aber gleichzeitig zu allem entschlossen. Erschöpft fuhr sich T'Chada mit den Händen über sein Gesicht, und er klang furchtbar müde: „Ich weiß es nicht. Keine Ahnung. Ich hab' den gesamten Stammbaum des Chinesen im Watchers-Video verfolgt, du weißt schon, mit Howard Stark... aber nichts." Sein Unterkiefer schob sich leicht vor, ließ ihn trotzig wirken, obwohl ich wusste, dass er sich gerade über sich selbst am meisten ärgerte. „Dieser Mann ist wie Schall und Rauch."

Ich nickte langsam, ließ ihn nicht aus den Augen. „Aber warum... warum genau diese zehn Frauen?"
Ich stellte nur diese eine Frage, durfte meinen Cousin nicht überfordern, und schob deshalb noch hinterher: „Ich meine, dass sie weiblich sind, macht noch irgendwo Sinn – sie werden als schwächer angesehen, als Angriffspunkt. Aber warum dann nicht Nat? Cassie oder Lila? Hope, Valkyrie, Carol?"

Noch bevor die letzten Worte meinen Mund verlassen hatte, sagte mir der Ausdruck in T'Chadas Augen, dass er eine Antwort dazu hatte. „Sie haben Kinder. Alle von ihnen haben Kinder, mit denen sie gezwungen werden könnten, sich zu opfern, als Plan B sozusagen, wenn der Anschlag schiefläuft. Wie bei MJ. Nur hat auch der Plan B bei einigen wie deiner Mom nicht geklappt." Seine Stimme wurde zögerlicher und seine dichten Augenbrauen zogen sich zusammen, als er sich jetzt endgültig mir zuwandte. „Das einzige Problem... Pepper hat Morgan erst später bekommen." Seine Miene verzog sich, sein Blick flehte mich förmlich an – dass ich eines der Puzzleteile den wirren Informationen hinzufügen möge.
Konnte ich auch.

„Ich habe einen Zeitungsartikel gefunden, vom Dezember 2012...", formulierte ich langsam, „Da gab es Gerüchte, Pepper sei schwanger..." Ich wartete gar nicht erst auf den Kommentar meines Cousins, sondern sah ihn fest an – und er erstarrte, völlig auf mich fokussiert. „Warum dann Nia?", fragte ich hart, „Ihre Mutter ist bereits tot."

Mein Cousin setzte sich auch aufrecht hin, und ich sah förmlich die Mauern, die hinter seinen Augen hochfuhren. „Weil wir – jeder einzelne von uns, Avengers, Watchers, ganz egal – alles für sie tun würden. Sie ist der Schlüssel. Wenn alle von uns zusammenkommen, um sie zu retten, werden auch alle Ringe zusammenkommen, um dem entgegenzutreten." Seine Worte waren heftig, aber sein Ton fast völlig emotionslos... und mir lief ein Schauer den Rücken hinunter, als seine Augen blitzten. „Und ich habe keine Lust, dass sie die misslungenen Anschläge wiederholen, so lange, bis alle Mütter tot sind. Meine und deine Mom inklusive."
Moment, er? Was bitte- ...

„Ich habe Nia als Köder ausgelegt."

***

Das hier ist das erste von drei "Plan-Erklärungs-Kapiteln", die im Verlauf der Geschichte vorkommen. Ich habe es dreimal umgeschrieben und hoffe, dass jetzt alles halbwegs verständlich ist... Wenn nicht, fragt gerne nach, wenn ich es zu verworren erklärt habe. Dass einige Fragen noch offen sind, ist natürlich beabsichtigt - vor allem die größte von ihnen: Wer ist der Mandarin?😉

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