Scarlett ~ Klimaanlage

Mit den Nerven völlig am Ende warf ich meinen Rucksack auf die Hintersitze des grauen Audis.
Stumm ließ ich mich auf den Beifahrerplatz fallen und zog die Autotür mit einem vehementen Knallen zu.

„Ich freue mich auch wahnsinnig, dich zu sehen."
Ich warf einen Todesblick auf die Fahrerin, die einen Ellenbogen lässig auf dem geöffneten Fenster abgestützt hatte. Mit blonden Haaren und blauen Augen war sie die Perfektion in Person, und auch ihr Charakter war so aufrichtig, wie man es von einer gerade Achtzehnjährigen eben erwarten konnte.
„Weißt du, ich muss nicht immer Taxi spielen."

Ich bedachte das nicht einmal mit einem Seitenblick.
Wir wussten beide, dass es mit ihrem Gewissen nicht vereinbar wäre, mich hier auf dem Trockenen sitzen zu lassen.
Peggy seufzte ergeben. „Der einzige Grund, weshalb ich mich auf meinen Abschluss gefreut habe. Ich hätte nicht länger Babysitter spielen müssen."
Tja, selbst schuld.
Der vermutlich einzige Makel an meiner Cousine: Ihre Noten könnten ihr nicht egaler sein, und in Bio und Mathe war ihr das dieses Jahr auf die Füße gefallen. Sie musste wiederholen – aber ich war nicht traurig darum.
Weder ich noch mein Bruder hatten uns bisher aufraffen können, einen Führerschein zu machen. Gab ja auch genug Verwandte, die uns fahren konnten.

Kleinste Anstrengung, größter Erfolg.
Ein Prinzip, das dafür sorgte, dass auch meine Noten nicht optimal waren – besser als die meiner meisten Kurskameraden, aber nicht zufriedenstellend für meine Familie.
Mom sagte natürlich nie etwas dazu.
Aber sie war in meinem Alter bereits mit dem College fertig gewesen, und entsprechend hoch war der Leistungsdruck.
Nun, besser eine ist-mir-egal-Einstellung als wiederkehrende Enttäuschungen über meine eigenen Leistungen.

„Unsere Konversation läuft ziemlich einseitig", bemühte Peggy sich nun um einen letzten Gesprächsversuch.
Vergeblich.
Es war August, verdammt nochmal!

Meine Cousine sagte nichts, aber ihre Erleichterung war spürbar, als sich die Hintertür des Autos abermals öffnete.
Hunter, mein Zwillingbruder, konnte wie nahezu immer nur den undankbaren Platz auf der Rückbank ergattern, aber selbst schuld.

Peggy startete nun endlich das Auto und parkte vorsichtig aus.
„Warum so spät?", fragte sie der Höflichkeit halber.
Träge hob ich meinen Kopf etwas an, um Hunters Grinsen durch den Rückspiegel aufzufangen.
„Ich habe noch Autogramme gegeben."
Keine Ahnung, ob das jetzt ein Witz war oder nicht. Ich war nicht in der Verfassung, nachzudenken.

Kommentarlos drehte ich die Klimaanlage auf volle Kraft und setzte die Temperatur im Auto so tief wie nur möglich.
Peggy warf mir einen warnenden Blick zu und fuhr das Fenster hoch, weil sie jetzt, außerhalb des Schulgeländes, beschleunigte.
„Übertreib's nicht, Scarlett."

„Ach was, so geht's doch schon besser."
Ich richtete alle Luftschlitze, an die ich herankam, direkt auf meinen Kopf und atmete dann tief durch.
„Hmm, diese Frische des Kohlenstoffdioxids...", grinste Hunter dazu nur.
Ich drehte mich halb um, sodass ich ihn ansehen konnte: „Ich weiß echt nicht, wie du so zum Schulschwarm werden konntest, du Nerd."
„Bitte", seine blendend weißen Zähne blitzten mir entgegen, „Könntest du dem hier wiederstehen?" Er machte eine große Geste an seinem Körper herab und zwinkerte mir zu.

„Ich weiß Dinge über dich, vor denen würden deine Chicas schreiend wegrennen", beantwortete ich die rhetorische Frage.
Hunter öffnete den Mund schon zu einer Antwort, da funkte Peggy dazwischen: „Leute, keine Diskussion in meinem Auto." Und als wir schon protestieren wollten, verbesserte sie sich selbst: „Okay, dann eben nicht Diskussion. Zwillinggespräch. Aber das bitte auch nicht."

Gut erkannt: Zwillinge stritten nicht.
Wir einigten uns nur völlig genervt voneinander auf eine Meinung, um dann wieder schweigend die Gegenwart des anderen zu akzeptieren. Wir lebten miteinander, und zwar in dieselbe Richtung – auch wenn wir uns über die manchmal erst einig werden mussten.
Schwierig zu erklären.

„Fahren wir eigentlich am Wochenende ins HQ?", erkundigte Hunter sich nach ein paar Meilen auf dem Highway, „Oder lohnt sich das nicht? Nur mal so, ich hätte nichts dagegen, in der Stadt zu bleiben..."
„War ja klar", verdrehte ich die Augen, „Und drei Abende Party? Nicht die geringsten Ambitionen. Ich will heim. Da haben wir wenigstens eine ordentliche Belüftung."
„Ich möchte", korrigierte mich Peggy, ohne von der Straße aufzusehen, „Und wenn ihr rüber wollt, müsst ihr euch ein anderes Taxi suchen. Ich bleibe das Wochenende bei Dad."
Ich zog kurz die Augenbrauen hoch, hatte aber nicht die Energie, nachzuhaken.
Hunter übernahm das für mich: „Ich dachte, du wolltest vermeiden, mit deinen Eltern allein zu sein?"
„Seit er erfahren hat, dass ich noch ein Jahr bleibe, ist Dad erträglicher geworden", zuckte Peggy mit den Schultern.

Onkel Steve kam nicht so ganz damit klar, dass seine Tochter erwachsen wurde.
Nachdem er sie mit einer ihrer Affären im Bett erwischt hatte, wurde jeder Junge, der sich Peggy auch nur auf zwei Meter näherte, mit einem Todesblick verjagt.
Und der Todesblick von Captain America schlug auch die hartgesottensten Typen in die Flucht.

Ich war einfach nur froh, dass mein Dad cool war.
Und zwar wortwörtlich.

Aus meiner regelrechten Lethargie erwachte ich nur kurz, als Peggy über einen Lamborghinifahrer schimpfte, der uns mit röhrendem Motor überholte und dicht vor uns wieder in die Spur wechselte.
Sie stellte vorsichtig den Sicherheitsabstand wieder her und schüttelte den Kopf über Hunter, der eilig den Sportwagen fotografiert hatte. War ja nicht so, als stünden nicht fünf davon in der Garage im Hauptquartier.

Ich musste mich letztendlich doch bewegen, als mein Starkphone Mk. 7 in meiner hinteren Hosentasche vibrierte.
Augenverdrehend nahm ich den Ruf an.
„Hi, Mom."

„Na, Kleine?", erklang die vertraute Stimme klar aus den hochentwickelten Lautsprechern.
Ich seufzte. „Ich bin größer als du."
„Erinnere mich nicht." Ich konnte ihr Grinsen förmlich vor dem inneren Auge sehen und zog den rechten Mundwinkel ein wenig hoch.
„Wie war die Schule?"

„Ich dachte, du willst kein stereotyper Elternteil sein? Warum stellst du dann die Frage?"
Ich würde jede Wette eingehen, dass Mom jetzt die Augen verdrehte: „Aus reiner Höflichkeit, deine Kursleiterin hat mir bereits eine nette Zusammenfassung gegeben."
Ich stöhnte. „Lehrerfreundschaften sind grausam."
„Lehrer sind auch nur Menschen", kommentierte sie sorglos, doch da musste ich ihr definitiv widersprechen: „Du kannst sagen, was du willst, das glaube ich dir nicht."
Klar, Ms. Wright war freundlich und gut aufgelegt und machte im Allgemeinen ihren Job einfach gern, aber – eben dieser war immer noch zweifelhaft.
Lehrer. Die und ihre Weltvorstellung...

„Deshalb rufe ich auch an, Scar. Letitia meinte, du wärst nicht gut drauf gewesen in letzter Zeit... Das wundert mich nur, weil du letzte Woche noch so aktiv warst."
War ja klar. Mom wunderte sich... Da musste sie natürlich gleich einen Kontrollanruf starten.
Ihr gutes Gedächtnis mochte dafür sorgen, dass sie sich sehr wohl an ihre Jugendzeit erinnerte und uns daher auch viele Freiheiten ließ, aber Bescheid wissen wollte sie dennoch über alles.

„Ich weiß ja nicht, wie es bei euch im Wald aussieht, aber wir haben hier über fünfundzwanzig Grad. Fünfunzwanzig, Mom! Das Tief ist vorbei, und ich will einfach nur, dass wieder Winter ist."
In einer Hinsicht kam ich ganz klar nach meiner Mutter: Ich war Papakind, und meine körperlichen Eigenschaften hatte ich hauptsächlich von ihm geerbt – bis auf die Größe, natürlich. Auch Mom hatte Hitze nie gemocht, aber ich wurde regelrecht kraftlos, wenn die Temperaturen sommerlich wurden.
Im Winter stieg meine körperliche Kraft dann auf ein übermenschliches Level – ein Ergebnis des Frostriesenbluts in meinen Adern.

„Noch da, Scar?", riss Mom mich sanft aus meinen müden Gedanken.
„Mmh", brummte ich nur, „Sag mal, kannst du Hun und mich bei Steve abholen?"
„Ich dachte, ihr würdet das Wochenende dort bleiben?", hakte sie verwundert nach.
Diesmal war ich es, die die Augen verdrehte - das lag in der Familie. „Der Kühlschrank im HQ ist der einzige, der für mich groß genug ist."

Mom lachte leise, dann zuckte ich die Schultern: „Ernsthaft, ich will einfach nur nachhause."
„Und zu Dad, hm?"
Diesmal lächelte ich ehrlich. „Danke, Mom. Wir sehen uns später!"
„Bis dahin!"

Ich legte auf, und Peggy schenkte mir einen raschen Seitenblick. „Also keine Party heute Abend?"
Hunter beugte sich zwischen unseren Sitzen vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange, worauf sie ihn unwirsch beiseiteschob – Peggy mochte es nicht, beim Autofahren gestört zu werden.
„Sorry, Cousinchen, nächstes Mal. Jetzt müssen wir meinem Zwilling erstmal einen Ventilator besorgen."

***

Soo... nun sind uns fast alle Avengers-Kinder begegnet. Einer fehlt noch, und wer zufälligerweise aufmerksam die Oneshots gelesen hat, weiß auch, wer. Nur mal so: Der Fehlende ist meine Lieblingsschachfigur.

Allerdings ist uns in diesem Kapitel Momma Stark begegnet. Ja huch, was ist denn jetzt los? Hat jemand Verschwörungstheorien?😉

Aber ich will hier auch gar nicht unnötig reden, denn in diesem Kapitel war Scarlett am wichtigsten... Man hat sie zwar noch nicht im "akiven" (ich nenne sie "coole Phase") Zustand gesehen, aber das kommt noch. Was haltet ihr von Gracies Tochter?

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