Scarlett ~ Kater
Am Samstag wachte ich nur vor der Mittagszeit auf, weil irgendwer mich an der Schulter rüttelte.
Blinzelnd öffnete ich die Augen und war von der Helligkeit irritiert, wusste kurz nicht, wo ich war. Das Sonnenlicht flutete den quadratischen, weißgestrichenen Raum durch die bodentiefen Fenster, die in Richtung meiner Füße einen Panoramablick auf das Laubwäldchen unter dem Hügel boten. Ich hatte auf der einzigen Couch an der Rückwand des Zimmers gelegen, die auf den Flachbildfernseher ausgerichtet war – wie Amy angekündigt hatte, war mir von Adrian ein eigenes Zimmer zugeteilt worden.
Zögernd setzte ich mich auf, erstaunt, keine Gliederschmerzen zu haben – das Sofa war erstaunlich bequem gewesen.
„Guten Morgen, Schlafmütze", erklang eine männliche Stimme, und träge blinzelnd wandte ich meinen Kopf. Es dauerte einen Moment, bis ich Patrick erkannte, der sich in den Türrahmen links von mir zurückgezogen hatte. Seine schwarzen Haare waren zwar endlos verwuschelt und er trug die Cargohose und den dunklen Hoodie von gestern, aber auf seinen Lippen lag ein Lächeln.
„Müsstest du nicht in irgendeiner Ecke liegen, weil du Schlafmangel und einen Kater hast?", murrte ich kraftlos – und das lag nicht nur daran, dass es nicht einmal um elf war. Sondern vor allem an dieser verdammten Wärme...
„Ich bin Morgenmensch", erklärte Patrick schulterzuckend, „Und einen Kater hatte ich noch nie."
„Ist das nicht verboten oder so?", grummelte ich, erhob mich aber mit einem leichten Ächzen. Der Schwarzhaarige lachte nur und stieß die Tür für mich auf. „Na komm, du hast hier am längsten von allen geschlafen. Jenny und die Zwillinge sind schon heim, Amy im Schlepptau – die müssen ja alle nach South Huntington."
Ich nickte im Laufen einfach nur, war viel zu müde, um mir einen Kopf zu machen, wie ich heimkommen würde.
Das erledigte sich glücklicherweise auch von selbst, da Patrick es anscheinend für selbstverständlich ansah, mich persönlich zu fahren. Oder vielleicht auch als notwendig, da wir zwar Jonahs Auto nehmen konnte, der Blondschopf selbst aber halb tot auf einem Küchenstuhl hing. Patrick schüttelte beim Anblick seines verkaterten besten Freundes nur den Kopf und ging Addy suchen, um uns abzumelden.
Ich stand oben an der Eingangstreppe und sah ihm kurz träge hinterher, dann glitt mein Blick an den Kronleuchtern vorbei nach unten, wo in der sonst leeren Halle das Whiteboard hing.
Der einzige Grund, dass ich mich morgens in der Hitze aufraffte, war meine Familie.
Trotzdem musste ich mich zwingen, die breiten Stufen möglichst lautlos und schnell herunterzuhuschen, und ohne mich in irgendeiner Form zu verraten, nahm ich den schwarzen Folienstift von der Kreideablage des Whiteboards. Der Schriftzug unten links am Rand verriet, dass es von Stobok war, wie die Tafeln in unserer Schule. Unwillkürlich fragte ich mich, ob die Jungs es von dort geklaut hatten... zutrauen würde ich es ihnen.
Nicht weiter darüber nachdenkend setzte ich über die gedruckten Buchstaben möglichst klein und unauffällig in Feanorischen Schriftzeichen: Bin Montag um zwei wieder hier – KC.
Hoffentlich würde das mein Bruder so schnell wie möglich lesen... Trotz aller gedanklicher Trägheit war ich innerlich ständig beim ihm. Wie auch nicht? Mein gesamtes Leben war auf ihn ausgerichtet.
*
Von Patrick hatte ich mich im Wald irgendwo östlich von New York aussetzen lassen, obwohl mein Zuhause viel weiter im Norden lag. So weit reichten meine Überlegungen zumindest noch, keinem Kontaktmann der Geweihten die Lage der Avengersbasis zu offenbaren...
Nachdem mich ein leerer Quinjet abgeholt hatte, war ich in der Kältekammer meine Ersatzhandschuhe holen gegangen. Jetzt ungefähr viermal so wach wie noch vor fünf Minuten zog ich die schwere Sicherheitstür mit dem brennend kalten Metallgriff auf und sprang die paar Stufen zum Flur hoch.
„Irgendwer da von meinen Leuten? Oscar, FRIDAY?" Meine Stimme hallte im leeren Korridor nach. In der gesamten Basis gab es kein Zeichen von Leben, aber sie war viel zu groß, als dass ich sie vollständig hätte überblicken können.
Tatsächlich antwortete mir die weibliche KI: „Nathaniel und Morgan befinden sich im Gemeinschaftsraum, Miss. Darf dir vorschlagen, sie nicht zu stören? Sie wälzen sich seit dreiundzwanzig Minuten durch alte Akten."
„Darfst du nicht." Mit einem genervten Blick zur Kamera über mir an der Decke lenkte ich meine Schritte den Gang hinunter. Ich war kein Fan von FRIDAY – ihre neunmalkluge Art war bei leicht reizbaren Personen nicht allzu zuträglich. Nicht, dass ich leicht reizbar war oder so...
„Sind Mom und Dad noch in Wakanda? Wo ist Gramps?"
„Sind sie. Der Boss hat Mrs. Stark gestern Abend ausgeführt. Seitdem sind sie nicht zurückgekehrt, aber ich habe keinen Warnruf erhalten."
Ohne weiter auf sie einzugehen, trat ich durch die Schiebetür – und wurde prompt angesprungen.
Ich taumelte rückwärts, wo ich ohne Widerstand gefallen wäre – der Eingang war noch offen –, konnte mich aber noch abfangen. Erst im nächsten Moment realisierte ich, wer sich da in meine Schulter krallte.
„Seymour!"
Der Kater hatte die Ohren eng angelegt und die grünen Augen zu Schlitzen verengt. Sein Schwanz peitschte immer wieder gegen meinen Hinterkopf, als er wütend fauchte. „Du hier?", fragte ich ihn überrascht, und schüttelte im nächsten Moment über mich selbst den Kopf, weil er mir sicher keine Antwort geben würde. Normalerweise war er von Mom nicht lang zu trennen, und obwohl sie schon letzte Woche nach Wakanda aufgebrochen war, hatte ich eigentlich erwartet, sie würde Seymour zu sich holen, wenn sie länger wegblieb.
Auf meiner Schulter sträubte der Kater sein Fell, offensichtlich nicht sehr erfreut über Moms Ausbleiben. „Ist ja gut, ich kann doch auch nichts dafür", murmelte ich, wegen des Gewichts auf meiner Schulter vorsichtig weitergehend, „Übrigens, dein Fell steht zu Berge. Nicht sehr würdevoll, wenn du mich fragst."
Das war die einzig effektive Taktik, den Kater zu beruhigen, und auch wenn seine Krallen prompt tiefer in meinen nackten Oberarm eindrangen, setzte er sich ruhig nieder.
Der Gemeinschaftsraum war auf den ersten Blick wie ausgestorben, weshalb ich die einzige Ecke ansteuerte, die von der Tür aus nicht zu sehen war.
Tatsächlich fielen meine Augen nach ein paar Schritten auf Morgan, die im Drehstuhl vor dem Computer saß und konzentriert irgendetwas eintippte. Nate hatte sich über sie gelehnt und mit der linken Hand auf dem hölzernen Schreibtisch abgestützt, sah aber auf, als ich mich räusperte.
„Hey, Kleine!" Ein ehrlich erfreutes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Kann ja nicht jeder 1,90 sein", murmelte ich, hatte aber überhaupt nichts gegen seine Größe, als mein Cousin mich in seine kräftigen Arme zog. Umarmungen von Nate waren die besten, definitiv – eine Meinung, die Seymour nicht teilte, denn er sprang empört miauend von meiner Schulter.
„Wie geht's dir?" Nate löste sich von mir und ließ seine grünbraunen Augen fürsorglich über mich wandern. Seine dunkelblonden Haare waren wieder länger geworden und würden ihm bald in die Stirn fallen, und an seinen Schläfen zeichnete sich ein deutlicher Bartwuchs ab. Seine Nacht schien ähnlich lang gewesen zu sein wie meine... „Ganz gut", beantwortete ich schulterzuckend seine Frage, „Aber was-"
„Shh!", unterbrach Morgan mich, und mein Blick fuhr sofort zu meiner Cousine. Seymour hatte sie als neuen Thron auserkoren, aber ich bezweifelte, dass sie das überhaupt mitbekommen hatte. Ihre Augen waren fest auf den Bildschirm gerichtet, wo eine Videodatei lud – die den kryptischen Namen Watchers Initiative – AM/W.CA_3+n trug...
***
Ich brauche gar nichts zum Kapitel zu sagen, hier wird sowieso nur eines auffallen. Oder eher, einer. Er ist der König...
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