Scarlett ~ Kältesystem
Schon als Dad und ich den Gemeinschaftsraum betreten hatten, war mir klar geworden, dass das folgende Gespräch alles andere als lustig werden würde. Nate und Gramps hatten sich mit bedeutungsvollen Blicken an uns vorbeigedrängt, und Dad hatte ihnen zweifelnd hinterhergesehen, als sie sich in Richtung Lager aufgemacht hatten. Tja, dann blieb es wohl an ihm, Puffer zu spielen... Es war nicht so, dass ich dauernd mit Mom aneinandergeriet, aber ihr Kontrollzwang vertrug sich nicht immer mit meinem Freiheitsdrang.
Sie saß auf dem Sofa, das auf die Tür ausgerichtet war, Seymour auf dem Schoß. Der Schwanz des Katers peitschte träge über ihren türkisblauen Hoodie, als sie ihn abwesend streichelte, in ein Gespräch mit Morgan vertieft. Meine Cousine saß mit dem Rücken zu uns, gegenüber von Mom, und ließ mir so nur das Sofa an der Stirnseite – eingekesselt von den beiden Genies.
Ich zog die Augenbrauen zusammen, eine nicht ganz gute Miene zu einem nicht ganz bösen Spiel machend, und ließ mich brav auf die leere Couch fallen. Das schwarze Leder knarzte leise und federte kurz nach, dann wurde es still – Dad stand noch unschlüssig vor dem Glastisch, der ihm kaum bis an die Knie reichte, und die anderen beiden musterten mich schweigend.
Mit vorsichtigen, aber selbstbewussten Schritten schlängelte sich Dad jetzt doch zwischen Tisch und Sofas entlang, links neben Mom platznehmend – so, dass sie noch Sichtkontakt zu mir hatte, er aber im Notfall an uns beide herankam. Ich schürzte leicht meine Lippen, wütend darüber, dass sie alle eine Eskalation zu erwarten schienen... Aber ich blieb stumm, genau wie meine Familienmitglieder. Nur Seymour ließ ein leises Maunzen hören und sprang Dad auf die Schulter, seine Schwanzspitze dabei Mom durchs Gesicht wischend.
„Sey...", murmelte sie leise, aber ihre Aufmerksamkeit kehrte sofort zu mir zurück. Mein Blick schweifte nur kurz zu Morgan, die etwas verkrampft mit ineinander verschränkten Fingern dasaß, ihre rote Fleecejacke bis zum Hals zugezogen, und auf die Worte ihrer großen Schwester zu warten schien. Diese ließen nicht lang auf sich warten: „Du hast mit Hunter Kontakt, Scar?"
Ihre Stimme war sanft, aber der Unterton genauso kühl, wie sie ihre Analysefakten immer herunterspulte. Ich nickte nur knapp, unruhig an den Schnallen meiner Handschuhe herumnestelnd. Ich spürte einige Schweißtropen an meiner Stirn und aktivierte kurzerhand die Nanotechnologie, mich in die Kälte flüchtend. Eine Vorsichtsmaßnahme... Niemand schien überrascht, als sich das dünne schwarze Material über meinen Körper ausbreitete, und aus dem Augenwinkel sah ich, dass Dad sich etwas zurücklehnte.
Tief durchatmend genoss ich es, dass meine Gedanken sofort klarer wurden, und sah Mom direkt an. „Ich will, dass du ein Kältesystem entwickelst, das ich unter jeder Kleidung unsichtbar tragen kann. Ich will vollkommene Entscheidungsfreiheit, was meinen Einfluss bei den Kontakten der Geweihten und meine Treffen mit Hunter angeht."
Eine ruckartige Bewegung links von mir lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich, Morgan sah ungläubig von mir zu Mom. Der Blickwechsel zwischen den beiden Frauen entging mir nicht, aber bevor ich etwas dazu sagen konnte, übernahm meine Mutter das Wort. „Bist du sicher, dass du deine Entscheidungen objektiv und situationsabhängig treffen kannst? So, dass der Schaden minimiert wird?" Sie sah mich offen an, und ich wusste, dass sie mir ohne zu zögern das verbesserte Kältesystem geben würde, wenn ich jetzt ehrlich mit „ja" antwortete. Tat ich aber nicht.
„Unsere Emotionen unterscheiden uns von ihnen, hast du gesagt." Ich sah sie fest an, in der Hoffnung, dass sie Hunter genauso sehr wie ich wieder unter uns wissen wollte. Denn ich würde alles tun, um ihn da rauszuholen.
„Ich weiß, wie stark ihr zusammen seid." Ich atmete unwillkürlich auf, als der gezwungen sanfte Ton Moms verschwunden war, und sie stattdessen ehrliche Kühle an den Tag legte. Sie wusste genau, dass ich damit besser umgehen konnte. „Aber ich weiß auch, dass ihr alle zusammen noch um ein Vielfaches stärker seid." Sie nickte zu Morgan herüber, und ich fing den ernsten Blick meiner Cousine auf.
„Morgan und Peggy haben die letztendliche Entscheidungsgewalt", sagte Mom fest, und ich presste unwillkürlich meine Handgelenke zusammen – da, wo die Nanotechnologie aktiviert wurde. Wenn Mom den beiden das Ruder in die Hand gab, hieß das, dass sie in das neue System einen Abschalter einbauen würde. Ich hatte mir angewöhnt, zwischen den Zeilen meiner Mutter zu lesen – sie wollte, dass im Notfall meine Cousinen die Kontrolle über mich hatten.
„Sie haben keine Ahnung von dem, was zwischen mir und Hunter ist", brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, an Mom gerichtet, obwohl ich Morgan noch im Fokus hatte. Die saß nach wie vor still, fühlte sich sichtlich unwohl.
„Ich weiß, Scar. Niemand hat das." Die Stimme meiner Mutter wurde wieder weicher, und ich atmete tief durch. „Nur, dass das klar ist", formulierte ich gezwungen ruhig, „Du willst, dass ich von außen in die... kühle Phase gebracht werde, und wieder zurück?"
„Ich will, dass du die Hauptlast der Entscheidung trägst, aber im Notfall Morgan und Peggy einschreiten können."
Ruckartig fuhr mein Kopf zu ihr herum, und ich musste alle Selbstkontrolle aufbringen, um nicht kalt zu werden. „Und den beiden traust du zu, das entscheiden zu können, was ich nicht kann? Ich bin-"
„Gracie", unterbrach mich eine Stimme, die ich nicht erwartet hatte, zu hören. Dad hatte eingegriffen, in einem Ton, dessen Sanftheit die Wut nicht unterdrücken konnte. „Meine Tochter ist nicht der Hulk. Sie ist keine Gewalt, die man loslassen und einfangen kann. Sie muss nicht kontrolliert werden."
Mein Atem stockte, doch er hatte mir seinen Rücken leicht zugewandt, sah nur seine Frau an. Mit einem Mal erkannte ich, dass Mom ebenfalls begonnen hatte, schneller zu atmen, und ihre Locken wirkten zerzauster als sonst. Ich wusste nicht, was ich denken sollte, als sie etwas hilflos Dads Blick zu suchen schien – jedenfalls war ich erleichtert, als sie nach kurzem Augenkontakt wieder ruhiger wurde.
Sie nickte knapp und richtete sich wieder etwas auf. „Natürlich. Es tut mir leid, Scar."
Ich zog nur eine Augenbraue hoch, aber Dad setzte sich wieder gerader hin.
„Lasst uns... Lasst uns wie erwachsene Menschen auf einer Höhe darüber reden, ja?", formulierte sie etwas mühsam. Ich zuckte mit einer Schulter, insgeheim wissend, dass ich mit ihrem Superhirn niemals auf Augenhöhe sein konnte.
„Morgan wird sich immer für das Wohl der Allgemeinheit entscheiden." Die Stark-Schwestern nickten sich kurz zu, und Mom statuierte weiter: „Peggy dagegen würde immer versuchen, jeden Einzelnen zu retten. In Kombination ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihren Entscheidungen der geringste Schaden entsteht, also sehr hoch." Ich zweifelte daran, dass man Schaden so messen konnte, aber Morgan machte eine bestätigende Handbewegung.
„Im Extremfall wird Scar sich immer für Hunter entscheiden, egal, was es kostet." Moms Augen ruhten ehrlich auf mir, und ich blinzelte kurz – wir wussten alle, dass dies ein feststehender Fakt war.
Nach einem kurzen Moment der Stille erhob ich meine Stimme, die ungewollt rau klang: „Und ist das so schlimm? Ist es dir dein Sohn wert, dass ich... dass ich Unschuldige ohne mit der Wimper zu zucken für ihn opfern würde, dass ich ihn um jeden Preis zurückbringen würde?" Ich beobachtete Mom genau, wie sie ihre Unterlippe zwischen die Zähne zog und Dad nach ihrer Hand griff.
„Ich würde ihn nicht nur mir zurückbringen, Mom", sagte ich fest.
Als Moms Augen sich mit einem Mal weiteten, versteifte ich mich unwillkürlich. Sie sprang auf, Dads Hand noch fest in ihrer, und obwohl sie mich weiterhin ansah, lag ihre Aufmerksamkeit ganz woanders. In ihrem Inneren, wo sich die Rädchen schneller drehten als Gramps in seinem Anzug.
„Ich habe einen Plan", sagte sie, nicht einmal versuchend, das Beben aus ihrer Stimme herauszuhalten.
„Was?", fragten Morgan und ich unison, genauso atemlos wie meine Mutter, die ihren Fokus jedoch nur auf Dad gerichtet hatte. „Einen Plan B", verbesserte sie sich.
Er lächelte, und seine grünen Augen blitzten. „Das ist mein Mädchen."
***
Auf diese Interaktion habe ich mich lange gefreut. Aber nächstes Kapitel wird auch interessant... Eigentlich wird jedes folgende Kapitel jetzt interessant, weil wir offiziell in der zweiten Hälfte der insgesamt 74 Kapitel sind.😉
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