Scarlett ~ Dolch

Mit heftig pochendem Herzen beobachtete ich, wie T'Chada einen Schritt zur Seite trat, um seine Position zu verändern. Wie ein Spiegel folgte ich seiner Bewegung, und wir beide setzten unsere Füße so geschmeidig und sicher, dass dem anderen kein Angriffspunkt geboten wurde.

„Du weißt, dass ich kein Verräter bin", sagte er mit einer Stimme, die ruhiger und tiefer war als sonst. Und ehrlicher.
Jeder andere hätte ihm an meiner Stelle eine reingehauen und wäre verschwunden. Und es hätte ihm niemand Glauben geschenkt, weil er sich verdächtiger verhielt als Nate am ersten April. Aber, verdammt noch mal, ich wusste, dass er die Wahrheit sagte.

„Wir sind in einer Pattsituation." Auch meine Stimme war recht tief, aber längst nicht so ruhig wie seine. Meine Augenbrauen hatte ich zusammengezogen, T'Chada im ständigen Fokus. „Ich gebe dir den Stick nicht. Du lässt mich hier mit Stick nicht weg. Du hast kein Problem damit, ihn mir mit Gewalt abzunehmen und ich habe kein Problem damit, bis zum Ende zu kämpfen, weil es hier um meinen Bruder geht. Den Kampf würdest du gewinnen, aber nur, wenn du mich ernsthaft verletzt."
Ich legte meinen Kopf leicht schief, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten, und sah meinen Cousin offen an. Was würde er für seinen Plan opfern?
Er schien sich dieselbe Frage zu stellen.

„Morgan darf nichts davon erfahren", erklärte er knapp, aber obwohl er seine Worte auf das Minimum an kühlen Informationen beschränkte, bemerkte ich den verzweifelten Unterton. Ich atmete tief ein, obwohl die Luft hier zu dick schien, um mich wirklich erfrischen zu können. Zwar sperrten die hellgrünen Blätter einen Großteil der Sonnenstrahlen aus, aber dadurch schaffte es auch keine Brise hier durch – die Luft stand förmlich.
Und zwischen mir und T'Chada war sie so angespannt, dass man meinen könnte, sie mit einem Dolch durchschneiden zu vermögen.

„Morgan will den allgemeinen Schaden begrenzen, Peggy jeden einzelnen retten", brachte mein Cousin unter etwas schwererem Atem das heraus, was in unserer gesamten Familie bekannt war. „Nate würde immer zu Morgan halten und Agnes ist zu sensibel für das, was ich geplant habe."
Meine Augenbrauen wanderten in die Höhe, nur ein winziges Stück. T'Chada verstand die Frage und erklärte endlich, mit wieder fester werdendem Ton, wovon er überhaupt redete: „Unsere Familie zu retten. Nur uns, und zwar..." Er schluckte kurz, dann blitzte etwas in seinen Augen auf und ich griff meinen Dolch unwillkürlich fester.
„Whatever it takes."

Es waren nur drei Gedanken übrig, die einander in meinem Kopf jagten, immer wieder, wie ein Mantra.
Das klang genau nach der Art riskanter Unternehmung, die sonst ich fabrizierte.
T'Chada war unser bester Taktiker.
Ich vertraute ihm nicht.

Wir standen voreinander, mit mehreren Metern Abstand, zwischen uns nur Zweige und Laub. In seinem Rücken breitete die riesige Buche ihre Äste aus, hinter mir drängten sich kleinere Bäumchen. Mal wieder waren unsere Haltungen so ähnlich, dass ich mich auch vor einen Spiegel hätte stellen können – die Füße in Schrittstellung, die Köpfe hocherhoben und die Hände bereit zur Verteidigung. In meinem Fall mit einem Dolch, in seinem klauenbewehrt...
„Wie hoch ist die Erfolgswahrscheinlichkeit?"
Zahlen waren immer gut. Sie beruhigten. Meine Mom hatte mir schon in der Wiege Quadratzahlen aufgezählt, wenn ich nicht hatte schlafen können.

„Ich habe keine Ahnung." Auch wenn mein Cousin nicht hochintelligent war, er blieb zumindest ehrlich. Seine dunklen Augen funkelten unergründlich, als er vorsichtig formulierte: „Es geht etwas... Großes vor. Ich habe nur Teile, die sich noch zu einem Bild zusammensetzen müssen. Aber mein Plan bedenkt jedes einzelne Puzzlestück. Und er funktioniert."
Meine Mundwinkel hoben sich zu einem freudlosen Lächeln, und T'Chadas Nasenflügel weiteten sich. „Zu welchen Preis?", stellte ich die Frage, die er nicht würde beantworten können.

Eine Antwort gab er natürlich trotzdem: „Zu einem, der es wert ist."
Aber als ich meinen Kopf um Millimeter schief legte und ein „Ist er das?" hervorbrachte, schwieg der Black Lion.

„Nia muss heil da rauskommen", setzte ich fest, „Und ich werde nicht länger von Hunter getrennt sein."
„Für beides werde ich garantieren." Er hob sein Kinn noch ein Stückchen an, und der Ausdruck in seinen Augen war vermutlich der aufrichtigste, den ich jemals bei ihm gesehen hatte.

Wir waren übereingekommen.
Ich behielt den Stick und er seinen Plan... vorerst.
Aber keiner von uns bewegte sich.

Beinahe unison schnaubten wir auf, ironisch und freudlos. Wenn ich mich jetzt umwandte und ging, müsste ich ihm vertrauen, dass er mich nicht von hinten angriff und den Stick gewaltsam an sich riss – und wenn er mir den Rücken zukehrte, könnte ich ihn genauso überwältigen und Morgan alarmieren.
„Du bist ein doppelzüngiger Idiot ohne ein Quäntchen Vertrauen oder Wärme in dir", zischte ich ihm zu, aber noch bevor ich den Satz beendet hatte, hatte sich das altbekannte Grinsen auf seine Lippen gelegt. „Und du bist eine eiskalte Furie, die sich für niemanden interessiert, der sich außerhalb ihres Familienkreises bewegt."

Ich verengte meine Augen, als mir klar wurde, dass mein Vorwurf – die mangelnde Wärme in T'Chadas Inneren – eigentlich genau das war, was ich brauchte. Aber mein Herz, das irritiert einen Schlag ausgesetzt hatte, schlug sofort wieder kräftiger, als auch in seinem Ausdruck Entsetzen stand. Denn meinem Cousin war in derselben Sekunde klargeworden, dass er sehr wohl zu meinem Familienkreis zählte.

„Dumme Gans."
„Dämlicher Idiot."

Synchron wandten wir uns zur Seite, setzten noch immer geschmeidig und unter völliger Kontrolle einen Fuß vor den nächsten. Meine Augen waren genauso fest auf seine Haltung gerichtet, wie sein intensiver Blick mich nicht verließ. Mir war nur zu bewusst, dass er seine Krallen noch ausgefahren hatte, und auch mein Dolch lag fest und deutlich in meiner Hand.

Beinahe hätte ich gelächelt. Manchmal war es wirklich einfach mit T'Chada. Obwohl, das war der falsche Begriff, Fetzen würden zwischen uns vermutlich immer fliegen... aber er war eine Konstante. Er war eben immer ein Ekel und beleidigte mich immer grundlos, hielt sich für stets etwas Besseres und würde vermutlich nie realisieren, was Opferbereitschaft zwischen Freunden bedeutete. Tja, und Ähnliches könnte er vermutlich von mir behaupten... Wenn ich Druck abbauen musste, war mein Cousin da, ein nicht nur mentaler Boxsack, der zurückschlug.

„Ich hasse dich...", sagte er leise, aber diesmal wusste ich, dass er es nicht hundertpro ernst meinte.
„Ich dich auch", entgegnete ich im selben Ton.

***

Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Interaktion zwischen den beiden gut beschrieben habe, oder ob sie zu merkwürdig wirkt. Auf jeden Fall hat sie sehr viel Spaß gemacht... und hier ist eins meiner Lieblingszitate aus der gesamten Geschichte dabei.😉

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