Scarlett ~ Computer

T'Chada war mir noch nie so sympathisch gewesen.
Der Wechsel hatte ohne Probleme funktioniert, die Illusion meines Bruders war makellos – und der Kern meines Cousins plötzlich so gütig und beschützend... Was natürlich nur für einige Stunden anhalten würde, da Peggy die Illusion dann wieder ablegen sollte. Das würde allerdings auch heißen, dass wir Nia wieder bei uns hatten, also konnte ich nicht allzu traurig darüber sein.

Ich war tief in Gedanken versunken, während wir die ersten Schritte über das Grundstück der Geweihten gingen. Die einstudierte Unterhaltung mit Peggy über die willkommenen Unterschiede des Mafiaclans zu den Avengers hatte ich wie automatisiert abgespult, genauso, wie sie die Aufnahmen von T'Chadas Stimme hatte ablaufen lassen. Ich musste nicht aufmerksam sein, brauchte die Wege und die Umgebung nicht abzuspeichern – wir hatten bereits genug Informationen gesammelt, jetzt galt es, sie umzusetzen.

„Tja, meine lieben Freunde, ich würde sagen, wir sehen uns."
Ich sah nur kurz auf, als die Stimme meines Cousins ertönte, mit Worten, die wir vor Stunden schon aufgenommen hatten. Peggy wartete nicht ab, ob jemand von uns noch reagierte, obwohl das Walross an der Spitze unserer Trupps schon den Mund aufgesperrt hatte. Als die Gestalt des Black Lions sich von uns entfernte, schürzte ich kurz skeptisch die Lippen – Peggy bewegte sich zackiger als unser Cousin, nicht mit der üblichen raubtierhaften Eleganz. Aber das würde vermutlich niemandem der Geweihten auffallen.
Der fremde Teenager schnaubte jetzt und strich sich mit der fleischigen Hand über den Kopf. Seine Haare waren viel zu raspelkurz, um hindurchzufahren, weshalb die Geste hilfloser aussah, als er wohl beabsichtigt hatten. „Peter, du sorgst dafür, dass die Kleine nicht muckt", wandte er sich kurz angebunden an meinen Bruder, weshalb meine Mundwinkel zuckten. Das war gar nicht mal so dumm, im Ernstfall war Hunter tatsächlich der Einzige, der mich zurückhalten konnte.
Wenn er wollte.

Mein Bruder warf mir einen warnenden Seitenblick zu, den ich mit einem Funkeln erwiderte, bevor ich mich zusammenriss. Ich brannte mit eisiger Flamme auf den bevorstehenden Kampf, drängte danach, diesen Menschen, die mir meine Familie genommen hatten, auf ihren rechtmäßigen Platz zu verweisen. Ein Platz, der ganz sicher nicht im Geweihten Land lag.
Erstmal folgte ich jedoch Mort über den knirschenden Kies in die entgegengesetzte Richtung, zu einem der kleineren Nebengebäude, in der die jungen Rekruten wohnten. Unser eigentliches Ziel, das Jolly Rogers jetzt schon ansteuerte, waren die Bahnhofshallen. Das Haupthaus würde gleich von Wise Girl, Black Sparrow und Queenie auseinandergenommen werden, also war unser einziger Job hier, das Technikzentrum auszuschalten. T'Chada war auf der Suche nach den Anführern, die er anscheinend ganz gut unter Kontrolle hatte – eigentlich konnte nichts schiefgehen.

Der Boden unter meinen Füßen war steinig, aber von Erde und Tannennadeln durchsetzt, sodass unsere Schritte kaum ein Geräusch verursachten. Der leichte Wind strich sanft über meine Schläfen, und ich genoss die angenehme Kühle auf meiner Haut. Sie besänftigte die leichten Schmerzen, die sich durch meinen geflochtenen Zopf anbahnten – ich war es einfach nicht gewöhnt, dass meine Strähnen ständig an der Kopfhaut zogen.
Sobald wir die Technik aus dem Weg geräumt hatten und in den Kampfmodus übergingen, würde ich meinen Eiswürfel schlucken, das war ja sonst nicht auszuhalten.

Ein leises Knarren zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und mein Blick fiel auf Mort, der im ehemaligen Lagergebäude eine schmale Seitentür abgezogen hatte. Ohne zu zögern betrat er das dreistöckige Haus, dicht gefolgt von meinem Bruder, doch ich warf noch einen Blick zurück. Die Sonne berührte bereits den Horizont und warf einen unwirklichen, goldenen Schimmer über das feindliche Territorium – ein Anblick, der mich wieder einmal an T'Chadas Haut im Licht erinnerte. Mit einem lauten Warnschrei stieg aus einer Tanne kaum zwanzig Meter von mir entfernt ein Eichelhäher auf, als wöllte er seine Brüder und Schwestern alarmieren, dass es hier gleich zum Kampf kommen würde.
Da hatte er nicht Unrecht.

Mit entschlossen blitzendem Blick huschte ich meinem Bruder hinterher in die Höhle der Löwen.
Meine Augen mussten sich erst an das Zwielicht im Inneren des niedrigen Flures gewöhnen, bevor ich die nur grob verputzten Wände und den staubigen Boden erkannte. Der Kontrast zum blitzsauberen Avengershauptquartier war immens, aber zumindest hatten sie eine Gemeinsamkeit – beide waren kühl. Wobei das hier sicher nicht an der hervorragenden Klimaanlage lag.

Rechterhand führte eine schmale Treppe nach oben, aber Mort und Hunter vor mir schenkten ihr keinen zweiten Blick, weshalb ich ihnen ebenfalls ohne zu zögern durch einen leeren Türrahmen in einen breiteren Gang folgte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, die Sehnen bis zum Äußersten gespannt, um meine Unruhe zu kompensieren. Mein Bruder war jetzt an die Seite des Geweihten getreten, und so langsam hatte ich genug davon, ihnen wie ein Schoßhündchen hinterherzulaufen. Wir mussten die Tarnung nur noch für ein paar Minuten wahren... Nicht mehr lang, und wir könnten mit aller Kraft zuschlagen.

Tief luftholend versuchte ich, meinen beschleunigten Herzschlag zu beruhigen, und die kühle Luft klärte meinen Kopf ein wenig. Sie war zwar etwas stickig zwischen den mächtigen Steinwänden, aber sie erfüllte zumindest ihr Soll.
„Ich bring sie am besten zu Akuji, damit die nach Peilsendern oder so suchen kann, nur zur Sicherheit." Auf diese Worte hin verschränkte ich nur die Arme und verdrehte die Augen, aber Mort nickte meinem Bruder zu. „Ich informiere Inqe."

Mein Atem ging genauso schnell wie seine Schritte, als der Geweihte sich entfernte und mich mit meinem Bruder alleinließ. Hunter ließ keinen Augenkontakt zu, obwohl mich sein Blick meist beruhigen konnte, und klopfte stattdessen kurz an eine schwarze Kunststofftür in der rechten Wand. Ich trat einen Schritt in seine Richtung, aber er blieb für einige Momente wie erstarrt stehen, bevor er ohne ein Zeichen des Willkommens in den Raum trat.
Etwas irritiert schob ich mich ihm hinterher, dann weiteten sich meine Augen.

Zwar war das Zimmer, das sogar noch dunkler war als der Flur zuvor, menschenleer, aber sonst total vollgestopft. Im Zwielicht erkannte ich nur die ganzen Computer, die sich auf den Tischen drängten und allesamt im Stand-by-Modus waren. Hunter drückte im Vorbeigehen auf vier Tastaturen, weshalb jetzt kaltes Desktop-Licht den Raum erleuchtete und mir seinen ernsten Ausdruck offenbarte. „Akuji wird im Hauptgebäude sein, wenn es da einen Alarm gab", sagte er in einem so unpersönlichen Ton, dass sogar ich ihm fast geglaubt hätte, „Aber wenn sie die Bedrohung erkennen, dauert es nicht lang, bis sie von hier aus die Züge der Geweihten steuert."

„Also ganz schnell kaputtmachen", übersetzte ich das Grinsen, mit einer derartig hämischen Stimme, dass sogar völlig Fremde meine Absicht erkannt hätten. Das Zucken von Hunters Mundwinkeln war die einzige Bestätigung, die ich brauchte, um meinen rechten Daumen gegen den unteren Rücken eines Laptops zu pressen. Mit der anderen Hand zog ich den kleinen Reisverschluss an der Innenseite meines Gürtels auf und fischte den Eiswürfel aus seinem winzigen Kühlfach. Damit er mir nicht durch die Finger flutschte, musste ich ihn auf der Handfläche halten, wo er beinahe sofort zu schmelzen begann.
Noch bevor er sich weiter aufläsen konnte, hatte ich meine Hand eilig zu meinen Lippen geführt, wo die Eiseskälte in meinem Inneren sofort einen Adrenalinrausch durch meine Adern sandte.

Am Ende meiner scheinbar völlig unschuldigen, bunten Pulloverärmel offenbarte sich meine bloße Haut, die sich jetzt allmählich erst weißlich, dann immer blauer verfärbte. Von meinen Fingerspitzen übertrug sich tödlicher Frost auf den Laptop, dessen kreiselndes Stand-by-Symbol fast sofort erstarb.

***

Es geht los! Mensch, da werde ich auch gleich euphorisch. Ich kann es kaum erwarten, die Watchers von ihren Leinen zu lassen...😉

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