Scarlett ~ Aufnahme
Wäre es irgendeinem Fremden möglich gewesen, in unsere Basis zu kommen, hätte ihn heute ein interessanter Anblick erwartet.
Man sah nicht alle Tage drei – wortwörtlich – Beobachter, die fasziniert auf einen Bildschirm starrten, wo das veraltete Video flirrte und die Lautsprecher lauter knackten, als ihnen guttat.
15. April 1970, las die weiße Schrift auf dem schwarzen Hintergrund, deren Buchstaben groß genug waren, um sie trotz der schlechten Qualität ohne Probleme lesen zu können. Howard Stark trifft sich mit chinesischem Geschäftspartner Watanabe in New York City. Die Frauen unter Überwachung im Teeraum.
„Vermutlich wegen des zweiten Weltkrieges", warf Morgan eilig murmelnd in ihrer monotonen Analysestimme ein, „Japan, Deutschlands einziger Verbündeter, war bis China vorgedrungen."
Das Bild wechselte nun zu verwaschenen Farben, zeigte einen kleinen Raum von innen – die Wände waren gelblich tapeziert, im Kamin an der rechten Wand flackerte ein kleines Feuer. Die beiden Frauen auf dem grünen Samtsofa vor einem kleinen runden Tisch sahen wir von schräg oben, trotzdem waren sie sofort zu erkennen. Die linke Frau hatte ihre blonden Haare zu einem strengen Knoten gebunden und wirkte in ihrem weißen Kostüm merkwürdig farblos. Ihre Sitznachbarin bildete dazu einen merkwürdigen Kontrast – zwar waren auch ihre schwarzen Haare hochgesteckt, aber einige Strähnen fielen locker auf ihre Schultern, wo sie sich scharf vom schrill bunten Gewand abhoben. Selbst die Lippen der Chinesin waren knallrot angemalt, nur die Teetasse in ihren Händen war steril weiß.
Auch Maria Stark beugte sich nun vor und stellte die Teekanne auf dem Tisch ab, wobei sie zahlreiche Dokumente beiseiteschieben musste. Und, wie die veränderte Position jetzt preisgab, sie war hochschwanger...
Verblüfft warf ich einen Seitenblick zu Nate und Morgan, die sich aber nicht vom Bildschirm abwandten. Mein Cousin stand wieder so gebückt da, dass sein Rücken sicher schmerzen musste, aber er war viel zu fasziniert von den alten Aufnahmen. Auch ich wandte meine gesamte Aufmerksamkeit jetzt wieder dem Bildschirm zu, wo meine Urgroßmutter umständlich an ihrem Tee nippte...
„Verzeihen Sie bitte diese Unordnung." Maria Stark nahm eine der Akten vom Tisch und legte sie auf ihren Knien ab, um ihre Tasse umständlich auf dem frei gewordenen Fleck zu platzieren. „Mein Mann, Sie haben ihn ja kennengelernt..."
Obwohl Maria ihr ein weiches Lächeln zuwarf, reagierte die Chinesin nicht, sondern blieb steif und unbeweglich sitzen. Marias erhobene Mundwinkel verrutschten ein wenig, und nervös tippte sie mit den Fingerspitzen auf die Akte in ihrem Schoß. „Watchers Initiative", las die Beschriftung, bevor Maria wie nebenbei die Akte aufschlug. Die Bilder auf der geöffneten Seite waren zu klein und verschwommen, um sie erkennen zu können, aber die Überschrift verriet, um wen es sich handelte: Ant-Man and the Wasp.
Die Chinesin beugte sich jetzt doch interessiert vor und warf unter ihren fein geschwungenen Augenbrauen einen fragenden Blick auf Maria. Diese lächelte wieder und zuckte die Schultern: „Mein Mann ist besessen von Menschen mit außergewöhnlichen Kräften. Am liebsten hätte er eine Armee von..." Sie sah kurz auf die Akte und zögerte, dann stellte sie wieder Augenkontakt zu ihrer Sitznachbarin her. „Von Superhelden."
Das Lächeln wurde tiefer und erreichte ihre Augen, als sie eine Hand auf ihren runden Bauch legte. „Aber Tony wird sie alle übertreffen. Das spüre ich."
Die chinesische Frau setzte sich, wenn das überhaupt möglich war, noch gerader hin. „Ta-ni?", echote sie mit einem breiten Akzent. Maria, die noch schlechter Chinesisch sprach als ihre Sitznachbarin Englisch, kicherte etwas peinlich. „In Ihrer Sprache ist es vielleicht... Tian? Ich weiß es nicht."
Bevor noch ein Wort fallen konnte, stoppte die Aufnahme.
Ich blinzelte kurz und richtete mich wieder auf. Der Monitor war schwarz geworden, aber mein Blick klebte noch immer darauf – nach Filmen, so kurz sie auch waren, hatte ich immer etwas Mühe, in die Realität zurückzukehren. Morgan aber teilte diese Schwierigkeiten nicht: „Da haben wir's!" Ich zuckte leicht zusammen, als sie entschieden in die Hände klatschte: „Sowohl die Avengers- als auch die Watchersidee stammt von Mr. Stark Senior. Auch wenn wir davon ausgehen können, dass das Akronym trotzdem von meinem Dad stammt."
An der Innenseite meines Handgelenks stellte ich meinen Anzug ein paar Grad kühler, und mit dem Kälteschub wurde ich prompt wieder wacher. „Was hilft uns dieses Wissen jetzt?"
„Gar nicht." Nate streckte sich kurz, wobei seine Wirbelsäule knackte, dann lächelte er mir trotz seiner Verspannung zu. „Nimm es einfach als interessanten Fakt an... Morgan war genauso begeistert, als sie herausgefunden hat, dass Peters Mutter eine Cousine zweiten Grades von Maria war. Die letzte Verwandte von ihr, übrigens – alle anderen sind noch vor ihr gestorben."
„Okay?", ich zog meine Augenbrauen hoch und lehnte mich gegen die Schreibtischkante, Seymour abwesend streichelnd. Der Kater bewegte sich kaum, war jetzt wohl im altbekannten Königsmodus, aber ich spürte, wie er die Berührungen genoss. Sein seidiges Fell unter meinen Fingerspitzen war beruhigend, sodass ich die neuen Informationen einfach mit einem Schulterzucken abtat. „Naja, jedenfalls habe ich auch Neuigkeiten. Ein paar meiner Kurskameraden stehen mit den Geweihten in Kontakt, und da ich auf dem besten Weg bin, in ihre kleine Gruppe aufgenommen zu werden, ich jetzt auch."
Damit hatte ich Morgans Aufmerksamkeit, die auf ihrem Drehstuhl herumfuhr und mich intensiv musterte. Weil das ganze Stehen langsam viel wurde, zog ich mich kurzerhand auf den Schreibtisch, was Nate mit einem Grinsen quittierte. Er nickte mir kurz zu und verabschiedete sich dann in die Küche zum Kakaokochen – verständlich, er hatte noch länger herumgestanden als ich.
Morgan sah ihm kurz hinterher, dann richtete sich ihr Fokus wieder auf mich. „Daten?"
Seufzend zückte ich mein Starkphone und suchte nach dem Jahrgangs-Chat, den ich wohlweißlich stumm geschalten hatte. Die Konversationen waren üblicherweise nicht sehr geistreich, aber zu meinem Glück waren die letzten Nachrichten prompt von den gesuchten Personen. Patrick hatte den Vertretungsplan für Montag reingeschickt, was Luca mit einem ‚Danke, Schatz😘' quittiert hatte.
Kurzerhand leitete ich die Kontakte zusammen mit Jonahs an Morgan weiter und legte mein Handy dann wieder weg.
„Ich weiß, dass das deine Pläne ein wenig durcheinanderwirft...", ich warf meiner Cousine ein schiefes Grinsen zu, „aber ich bin eine vorzügliche Informantin, wenn ich das will." Zufrieden registrierte ich, wie der skeptische Ausdruck in Morgans Augen verschwand und sie mein Lächeln erwiderte. „Na dann, Informantin, sag mir doch mal, wo du Chad gelassen hast – ich brauche eine Grafikanalyse vom Video."
Sie hätte keine bessere Möglichkeit finden können, meine Mundwinkel wieder abzusenken. „Alles hättest du fragen können, aber doch nicht nach diesem Idioten!", stöhnte ich augenverdrehend. „Der bleibt dieses Wochenende im Internat."
„So viel zu vorzügliche Informantin", grinste Morgan, „Aber dann kann er ja wenigstens Peggys Auto in die Werkstatt bringen, das fährt nämlich immer noch nicht richtig. Sie selbst hat keine Zeit, ich habe sie auf Patrouille geschickt." Betont gleichmütig schwang ich meine Beine, aber die scharfen Augen meiner Cousine konnte ich nicht täuschen. „Was ist da eigentlich passiert?"
Ich schnaubte bei der Erinnerung an diesen Tag. „T'Chada ist ein Idiot, das ist passiert."
***
Vielleicht ahnt ihr es schon, aber natürlich hat diese Aufnahme noch etwas mehr Bedeutung. Nun, eigentlich hat jedes Detail mittlerweile eine Bedeutung...😉
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