Hunter ~ Versammlungssaal
Keuchend stürmte ich durch den Gang, den sich Chad fünf Minuten zuvor hinuntergestürzt hatte. Mein Cousin hatte zwar mit seinem Vibraniumanzug die schlimmsten Auswirkungen der Explosion von mir ferngehalten, aber ich hatte doch eine Weile gebraucht, mich aus den Trümmern zu wühlen – ständig den Gedanken vor Augen, dass ausgerechnet T'Chada Udaku mein Leben gerettet hatte. Es war ein Anblick für sich gewesen, als mein Cousin – natürlich wie immer ganz in Schwarz – mein gesamtes Blickfeld eingenommen hatte...
Aber solang ich lebte, war mir das auch relativ egal.
Der kleine Raum, in dem der Gang endete, zeugte von einem heftigen Kampf – zwei blutüberströmte und eindeutig tote Geweihte lagen am gegenüberliegenden Ausgang, auf den ich ohne zu zögern zusteuerte. Vielleicht würde ich mich für Chads Rettung revanchieren können...
Doch in der Halle, in die mich meine hastigen Schritte jetzt lenkten, waren alle Geweihten bereits tot. Und die eindeutig Schuldige stand in der hinteren linken Ecke – viel zu dicht vor Chad...
„Hey!"
Beide fuhren zu mir herum, und Scarlett stieß einen Schrei aus, der mein Blut beinahe ebenso gefrieren ließ wie das der Geweihten, über die ich in meinem Sprint mehrfach stolperte.
„Hey, hey..."
Nur Sekunden später zog ich meine Schwester an mich, die am ganzen Körper zitterte und sich wie eine Ertrinkende an mir festklammerte.
„Alles wird gut, Kleines." Meine Stimme war ruhig, obwohl in meinem Inneren Sorge und Verwirrung einander pausenlos nachjagten. Was war hier geschehen?
Scarlett schluchzte auf, unzusammenhängende Wörter murmelnd. „Hunter. Einer von uns."
„Shhh.." Zärtlich strich ich ihr über den Rücken, ihr einen Kuss auf die Haare drückend. Ein Herzschlag wummerte deutlich und viel zu schnell gegen meine Brust, doch ich konnte nicht sagen, ob es meiner oder ihrer war. „Mein Zwilling... ich..." Das Wimmern, das über ihre Lippen perlte und fast von meinem Hoodie erstickt wurde, ging mir durch Mark und Bein.
Über ihren Kopf hinweg schoss ich T'Chada einen vor Wut bebenden Blick zu. Dass mein Cousin mit ruhig verschränkten Armen neben uns stand, war mehr als verdächtig. „Was hast du mit ihr gemacht?"
Ich stockte, als mein Fokus an seinen aufgeplatzten Lippen hängen blieb. Er hatte doch nicht-
„Hast du sie geküsst?!"
Chad murmelte etwas Unverständliches, aber meine Aufmerksamkeit kehrte sofort auf das zitternde Bündel in meinen Armen zurück, als Scarlett tief Luft holte. „Du warst tot."
Meine Augen verengten sich verwirrt, und ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Meine Hände strichen einfach immer wieder über ihren Rücken, aber ich spürte, dass noch immer kurz davor war, hier und jetzt zusammenzubrechen. Und ich wusste nicht, wie ich ihr helfen sollte... Auch ich spürte jetzt Tränen in mir hochkochen, denn Scar schien seltsam abgeschnitten von der Außenwelt, als würde sie nur ihre eigenen gefährlichen Gedanken hören. Als wäre ich der einzige Anker, der sie hier hielt.
„Er hat gesagt, du bist- ... tot." Ihre Stimme brach, und mein Herz übersprang einen Schlag. Mein entsetzter Blick traf den meinen Cousins, der plötzlich seltsam betreten aussah. „Sie wollte, dass ich sie umbringe", murmelte er leise, nur für mich hörbar, „Also... sei besser vorsichtig mit ihr."
Meine Schwester behutsam kraulend fuhren meine Finger durch ihre Haare, doch mein Fokus lag auf Chad.
„Und? Hättest du?" Kaum ein Ton kam über meine Lippen, doch mein Cousin hatte verstanden.
In seinen Augen blitzte etwas auf, und seine Hände verkrampften sich sichtbar, bevor sie in die Hoodietaschen wanderten.
Dann nickte er langsam.
Meine Lippen verformten sich zu einem kaum hörbaren „Danke".
Tief luftholend legte ich mein Kinn auf dem Kopf meiner Schwester ab.
„Ich bin hier, Scarlett. Bei dir. Born together..."
„Best friends forever." Ihre Stimme war kaum mehr als ein kehliges Flüstern. Dann hob sie ihren Kopf an und sah mir wieder in die Augen, und ein ganzes Gebirge fiel von meinem Herzen, als ihr Blick wieder klar war.
„Mir war kalt." Sie verzog keine Miene, als sie diese erschreckenden Worte sagte. „Und dann war mir warm, weil der da", ihre unerbittlichen Augen wanderten kurz zu unserem Cousin, „mich geküsst hat."
Meine Augen verengten sich.
Ich tat nur einen einzigen, winzigen Schritt von meiner Schwester weg – dann landete meine geballte Faust auf T'Chadas Nase.
„Du bist so ein Idiot!"
„Dein Ernst, Mann?!" Mein Cousin zuckte zurück, doch er blutete nicht einmal – sehr konzentriert war mein Schlag nicht gewesen.
„Ich habe euch beiden das Leben gerettet, nur mal so." Probehalber schniefte er einmal, rieb sich über das Gesicht und sah mich dann fest an. „Wie, denkst du, wären wir an zwanzig entsicherten Pistolen vorbeigekommen, wenn sie nicht explodiert wäre?"
Ich warf einen kurzen Blick zu Scarlett und nahm ihre Hand, die langsam wieder stabil wurde. „Sie ist implodiert, das ist das Problem."
Ich runzelte meine Stirn, als ich die Schweißtropfen auf der Handfläche meines Zwillings spürte, und aktivierte dann ihren Anzug.
„Außerdem war der Schlag für den Kuss."
„Ja, irgendwie musste ich mich ja vor dem Kältetod abhalten", protestierte T'Chada ungefragt, „Ich war drauf und dran, zu erfrieren, trotz Vibranium. Und", das lang vermisste Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, „deine Schwester ist schon echt heiß."
Zum zweiten Mal in fünf Minuten landete eine Faust auf seiner Nase.
Diesmal aber die von Scarlett.
Und das Blut meines Cousins begann zu fließen.
„Geschieht dir recht", murmelte ich auf sein schmerzerfülltes Jaulen nur, „Jetzt kommt, lasst uns die anderen retten."
„Wenn es da noch was zu retten gibt", murmelte meine Schwester düster, meine Hand versichernd drückend, „Es ist unmöglich, dass wir alle hier lebend rauskommen."
„Boah, dieser Pessimismus ist ja runterziehend", beschwerte T'Chada sich etwas undeutlich, die rechte Hand gegen seine Nase pressend, „Sei doch mal optimistisch."
„Das ist schon Optimismus", fauchte Scarlett zurück, „Realistisch wäre Oh Gott HILFE! Wir sterben alle!" Sie schnaubte kurz, und ich lächelte kaum merklich – sie erholte sich. „Und wäre ich pessimistisch, würde ich heulend in der Ecke sitzen."
„Du hast ja gerade echt 'ne Sternstunde", knurrte Chad, „Ich mach gleich Luftsprünge vor Freude."
„Leute?", zog ich eine Augenbraue hoch, den Blick fest auf die Flügeltür am Ende des Flurs gerichtet, „So gern ich es höre, dass ihr euch wieder kabbeln könnt-"
„Sie hat angefangen!", schnappte T'Chada, woraufhin Scar wütend fauchte: „Hast du Wahrnehmungsstörungen, du Idiot?!"
„Watch out!", herrschte ich knapp, endlich die Aufmerksamkeit der Kampfhähne auf mich ziehend – oder besser gesagt, auf die Fußtritte, die hinter uns erklangen. „Da rein."
Ich nickte zur Flügeltür, und ausnahmsweise folgten mir die beiden ohne weitere Proteste.
Tja, hätten sie sich mal lieber geweigert.
Der Versammlungssaal, in den ich meine Familie geführt hatte, war noch größer als der Raum, den wir eben verlassen hatten. Aber anders als der gleichnamige Ort in der vorderen Halle war dieser hier von Mafiosi überfüllt.
Noch bevor auch nur einer von uns seinen Fuß in den Raum gesetzt hatte, war ein Teil der Pistolen auf uns gerichtet, und selbst wenn nicht, wäre ich vor Entsetzen wie erstarrt gewesen.
Den die andere Hälfte der Schusswaffen zeigte auf das Trio an der Stirnseite des Saals, eng zusammengedrückt und ohne Verteidigung – Morgan, Nate und Agnes.
Wir waren geradewegs in eine Falle gelaufen.
***
Aufatmen! Es ist zwar längst nicht vorbei, aber selbstverständlich hätte ich es niemals gewagt, die Zwillinge tatsächlich umzubringen. Was jetzt allerdings kommt, ist der (zweite, aber pssst) Auftritt des Hauptantagonisten. Also, einige letzte Theorien?😉
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top