Hunter ~ Spielregeln
In der Nacht zum Mittwoch hatte ich wieder viel zu wenig Schlaf bekommen. Trotzdem war ich jetzt nachmittags, als unser Aufbruchzeitpunkt näherkam, hellwach. Das war vermutlich dem Adrenalin zu verschulden, das durch meine Venen pulsierte und für höchste Aufmerksamkeit sorgte – die jetzt auch dringend nötig war.
Die Zeit zwischen Aufwachen – oder eher, dem Aufgeben des Versuches, noch einmal einzuschlafen – und unserer letzten Besprechung war viel zu schnell vergangen. Meine Gedanken hatten nach langem Verdrängen endlich den Weg an die Oberfläche gefunden, und ich war in den letzten Stunden Dutzende Szenarien für nachher durchgegangen. Ich hatte zu wenig Informationen über Nias Zustand, mögliche Wachen und die Zeit, die sie hier verbringen würde, aber mir blieb die Hoffnung, dass Scar mir nachher unseren Plan noch beibringen konnte.
Jetzt würde ich erst einmal den Plan der Geweihten erfahren, wie sie beabsichtigten, den größten Deal seit meiner Ankunft abzuhandeln.
„Um hier etwas vorwegzunehmen..." Mit blitzenden Augen sah sich Akuji um, die wieder einmal die Besprechung leitete, „Heute ist eure Chance, euch einen Namen zu machen oder zumindest einen Status aufzusteigen. Euer Team ist neben einem Sicherheitsnetz aus drei Vertrauten das einzige, ihr tragt die Hauptlast."
Ich regte mich nicht, lehnte nur ruhig an der Wand direkt neben der Tür, die Füße neben dem Kopfende meiner Matratze. Aber aus dem Augenwinkel sah ich deutlich, wie Mort seine massigen Arme verschränkte – er übernahm die Einsatzleitung und wusste vermutlich genau, was das für Chancen für ihn brachte. Dabei war er nicht einmal der Erfahrenste der Runde – zwei ältere Geweihte standen nebeneinander schräg gegenüber von mir links neben dem Fenster, und ihr Anblick war mir flüchtig bekannt.
Die größere von beiden hatte ihre langen, grau gefärbten Haare in einen strengen Zopf geflochten, der sich seitlich an ihrem schlanken Oberkörper entlangschlängelte. Ihre Augen waren dunkel und ausdruckslos, weshalb es schwer war, ihr Alter zu schätzen, aber sie war definitiv nicht jünger als meine Mom. Ihre Partnerin war die, die schon den Waffenschrank gemeinsam mit ihr getragen hatte – mit kräftigem Kiefer und schmutzig blondem Pferdeschwanz eindeutig die Frau, die Chad so schwer verletzt hatte. Die beunruhigende Vermutung, dass er selbst sie zur Kirche zitiert hatte, stieg in mir auf, aber ich schob den Gedanken rasch beiseite. Meine Konzentration war gerade anderswo von Nöten...
Luke und Ashe standen gemeinsam mit Mort rechts von mir, Akuji in der Mitte des Zimmers fest im Blick. Das war das erste Mal, dass Ashe nicht aussah, als könnte jeder Windstoß sie umpusten – sie trug wie wir alle schwarze Kampfhosen aus festem Stoff und eine kugelsichere Jacke. Wir hatten unsere Gürtel mit Patronen und Pistolen ebenfalls schon bekommen, und sieben kampfbereite Mafiosi gaben vermutlich einen wirklich beunruhigenden Anblick ab.
„Folgendes", verlangte Akuji jetzt knapp wieder nach Aufmerksamkeit, „Ihr trefft Jonah und Luca in der Turnhalle, bevor ihr Shuriken mitsamt Delegation trefft, vermutlich mit vier bis fünf Wachen. Ishta, du übernimmst die Geldübergabe." Die Schwarzhaarige nickte der größeren der beiden Frauen zu, bevor ihr Blick zu der Blonden schweifte: „Sollte Shuriken aufmüpfig werden, greift Imbola ein."
Shuriken war also der ominöse Drogenhändler, der ein fester Partner der Geweihten zu sein schien. Vielleicht konnten wir ja neben der Rettung unserer Familie auch den ein oder anderen Verbrecher einlochen...
Nach Akujis nächsten Worten brauchte ich meine gesamte Konzentration, um keine Miene zu verziehen: „Jonah und Luca haben die kleine Stark dabei, aber Taka wird sie begleiten und ein Auge auf sie haben. Das ist nicht euer Bereich, dieses Wissen dient nur eurer ausschließlichen Information."
Meine Schwester. Nicht mein Bereich.
Das war lachhaft. Einfach lächerlich, dass niemand hier unsere Verbindung auch nur in Betracht zog... Was natürlich meiner pausenlosen Arbeit als Peter Johnson zu schulden war, aber es sollte eigentlich offensichtlich sein. Wir gehörten zusammen.
Selbst wenn heute nicht der Stichtag gewesen wäre, hätte ich es nicht viel länger in der Illusion ausgehalten. Abgesehen davon, dass die ständige Konzentration mir so langsam chronische Kopfschmerzen bereitete, tat es einfach nur weh, nicht ich selbst sein zu können. Eigentlich gab es kein ich für einen Zwilling... aber es schmerzte nur noch mehr, darüber nachzudenken, nicht wir sein zu können.
„Peter?"
Ich hätte es beinahe verpasst, zu reagieren, als Akuji mich mit diesem Namen ansprach, der ein fremder sein sollte. Mit müden Augen erwiderte ich ihren taxierenden Blick, und nur am winzigen Heben ihrer Brauen erkannte ich, dass sie meine Erschöpfung bemerkt hatte. „Heute brauchen wir euch in Höchstform." Es war klar, dass sie eigentlich etwas Anderes hatte sagen wollen, weshalb ich fragend meinen Kopf leicht schieflegte. „Das bin ich auf Missionen immer", antwortete ich so neutral wie möglich, und dass Mort nicht protestierte, nahm ich als Zustimmung.
Dass der große Teenager sich in dieser Besprechung sehr zurückhielt, lag vermutlich daran, dass zwei volle Geweihte zusahen und er sich keinen Fehltritt erlauben wollte, so kurz vor seiner Beförderung. Die beiden Frauen hatten aber bisher genauso wenig gesagt wie Luke und Ashe, weshalb Akuji diejenige war, die am meisten redete – und das war schon eine Kuriosität für sich, normalerweise ließ die Schwarzhaarige ihre Tastatur sprechen.
Vermutlich war genau das der Grund, dass Akuji jetzt ihre Augen verdrehte und etwas genervt weitersprach: „Grundriss vom Gebäude bekommt ihr später, und direkt vor dem Aufbruch dann die Ohrstecker. Der Plan ist einfach – Mort sichert die Waren, Ishta und Imbola handeln direkt mit Shuriken und Jonah und Luca werden am Eingang warten. Ashe, du stößt zu ihnen und folgst uns dann später auf die Tribüne. Taka und die kleine Stark werden schon dort sein. Die gesamte Halle ist von einer Empore eingerahmt, dort werden sich Luke und Peter aufhalten und euch Rückendeckung geben."
Ich zitterte innerlich bei dem Gedanken, dass meine Rückendeckung bei einer Deeskalation aus Schüssen bestehen würde. Dass ich auf der Empore am weitesten weg von Scar sein würde. Und dass ich jetzt zwar den Plan der Geweihten kannte, aber nicht den der Watchers...
Doch als Akuji abermals ihren blitzenden Blick länger auf mir ruhen ließ, als vielleicht nötig gewesen wäre, erschien auf meinen Lippen das erste ehrliche Lächeln, das ich ihr je gezeigt hatte. Es war so weit. Die Spielregeln waren gesetzt worden, und ich sollte eine Schachfigur sein wie Mort und Luke. Aber mit einem hatten sie nicht gerechnet...
We're watching you.
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So langsam nimmt die Handlung an Fahrt auf. Vor dem Höhepunkt kommt jetzt nur noch die Vorstufe, die ich "Turnhallen-Kompex" nenne, danach wird's spannend!😉
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