Hunter ~ Scheinwerferlicht

Verdammt, immer, wenn ich auf meine Schwester traf, konnte man mich für die nächsten Stunden erstmal vergessen. Mort, der keine Müdigkeit zu kennen schien, hatte mich wieder im Schlafzimmer abgeliefert, das auch diesmal leer war. Ashe und Luke vermutete ich bei Sierra, und wo Akuji war, brauchte ich gar nicht erst zu erraten. Ich war aber ganz erleichtert, dass ich hier allein und in Stille saß – meine Gedanken kauten mir genug Ohren ab. Und eigentlich hatte ich ja nur zwei... Tja, die Stimmen in meinem Kopf würden auch für zwanzig Ohren reichen. Würde nur reichlich merkwürdig aussehen.
Ach, verdammt...

Wir waren so dicht dran, Nia wiederzubekommen. Morgan hatte wohl jetzt meine Informationen schon ausgewertet und die anderen vermutlich sofort zu einem Treffen berufen, um alles weitere zu besprechen. Heute würden die letzten Planungen laufen, damit wir Morgen dann vollen Einsatz zeigen konnten... und dann würde alles wieder gut werden.
Aber das eine oder andere Ass im Ärmel konnte nicht schaden.

Das war auch der Grund, weshalb ich mich schließlich doch aufrappelte und Richtung Akuji schlenderte. Obwohl sie mir irgendwann gesagt hatte, ich könne einfach hereinkommen, klopfte ich wieder kurz an die schwarze Kunststofftür – einer der wenigen modernen Eingänge in diesem Nebengebäude – und wartete meine obligatorischen vier Sekunden ab.

Akuji regte sich zwar wie immer nicht, aber ich konnte ein Lächeln um ihre Mundwinkel zucken sehen, als ich mich auf meinem üblichen Platz niederließ. Es war faszinierend, wie ihre kleinen schlanken Finger über die Tastatur tanzten, stets in Bewegung – genau wie ihre Augen. Durch das kalte Licht der Bildschirme wirkte ihr Blau beinahe überirdisch, leuchtete ähnlich wie ein Arc-Reaktor. Hier im Computerbunker war meine Ruheoase, vermutlich, weil meine Sinne hier genügend sanften Input bekamen, dass meine Gedanken zumindest für eine Weile schwiegen.

„Mort war vorhin noch weniger gesprächig als sonst", murmelte ich leicht abwesend, „Es scheint ihn ja wirklich zu wurmen, dass er noch keinen unaussprechlichen Namen hat. Mir würde ja ein ganz simpler englischer schon reichen... Ich finde Peter wirklich nett."
Wenn Mr. Renner mir jetzt zugehört hätte, hätte er die paar Sätze sofort als Bewusstseinsstrom erkannt. Ich erwartete keine Antwort, und als Akuji tatsächlich ihre Stimme erhob, brauchte ich eine Weile, um zu realisieren, dass sie nicht aus den Bildschirmen kam.

„Er ist geduldig, aber dass sein Status seit Jahren auf Entwicklung beobachten steht, lässt sogar ihn zittern. Einen Namen bekommt er erst ab Vollwertiges Mitglied, und bis er Vertrauter wird und in die Planungen einbezogen wird, dauert es noch länger."
„Wow. Ich bin beeindruckt. Das ist die längste Rede, die ich dich je habe halten hören", murmelte ich immer noch verblüfft, sogar ohne das altbekannte Hunter-Grinsen... aber das war hier vermutlich sowieso fehl am Platz, obwohl mir der Gedanke, dass Akuji mich wirklich mögen würde, schon öfter gekommen war. „Ich mag deine Stimme."

Auf meinen letzten Kommentar ging sie nicht ein, aber wegen der Frontalerleuchtung ihres Gesichts durch die Bildschirme sah ich deutlich, wie ihr Lächeln tiefer wurde.
„Ich habe dem Fisher mal gesagt, was ich von ihm halte", meinte sie dann leicht abwesend und griff nach der Maus, um ein paar schnelle Klicks zu tätigen, „Und dem Besserwisser bewiesen, dass er nichts weiß. Das war länger."
Schon bei ihren ersten Worten hatte ich breit grinsen müssen: „Da wäre ich zu gern dabei gewesen."

Kurz kehrte wieder Stille ein zwischen uns, und mit dem rhythmischen Klicken im Ohr ließ ich meinen Hinterkopf gegen die Wand sinken. Die Erschöpfung der letzten Tage machte sich mal wieder bemerkbar und meine Augenlider senkten sich langsam. Gegen meinen rechten Oberschenkel spürte ich das leichte Vibrieren des Computers, der im Gegensatz zum Laptop zu meiner Linken angeschaltet war, und das beruhigende Geräusch half nicht gerade, mich wachzuhalten. Mein müdes Hirn hielt es für einen guten Vorschlag, Akuji einfach nach Mittwoch zu fragen, aber noch bevor ich meinen Mund öffnen konnte, gab ich mir selbst eine geistige Ohrfeige. Das würde nicht nur meine ganze vorherige Arbeit zunichtemachen, sondern auch mein Leben verwirken, wenn es ganz dramatisch kam.

Tatsächlich wurde es dramatisch, nur wenige Sekunden nachdem ich die Gedanken hastig verdrängt hatte. Es klopfte zögerlich an der Tür und ich setzte mich sofort auf, zwar noch nicht auf vollständiger geistiger Höhe, aber zumindest wach. Meine Finger umklammerten den Rand der Tischkante, stets bereit, aufzuspringen – wenigstens wusste ich, dass kein erneuter Besuch von Uru anstand, die wäre einfach hier reinspaziert.

Akuji zog eine ihrer feinen Augenbrauen hoch und wechselte einen misstrauischen Blick mit mir, bevor sie ein harsches, knappes „Reinkommen" in Richtung Tür warf. Der Lockenkopf, der sich vorsichtig hereinschob, war ein weitaus angenehmerer Anblick als die Anführerin der Geweihten – Sierra. Ihre Augen funkelten zwar vorsichtig und sie blieb im Rahmen stehen, Nähe zu Akuji schien sie zu fürchten, aber ihr Rücken war gerade durchgestreckt. Das war mein Mädchen.

„Entschuldigt die Unterbrechung, ich bin auch gleich wieder weg", sagte sie leise, aber mit fester Stimme, „Hunter hat seine Patronen schon wieder vergessen."
Meine erste Reaktion war so natürlich, dass sie das Grab über mir zuschüttete, das Sierra mir eben gegraben hatte. „Ach verdammt, hast recht...", eilig griff ich nach dem Päckchen in meiner Hoodietasche und warf es ihr zu, „Danke."

Dann erstarrte ich, weil Akuji abrupt aufgestanden war.
Ihr Blick lag genauso fest auf Sierra wie meiner, doch die Brünette starrte nur mich mit geweiteten Augen an wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Sie hatte mich erkannt.
Verdammt, wie?
Hatte Chad mit ihr geredet?
Meine Illusion.
Verdammt, sie saß noch, aber nicht mehr lange, wenn ich nicht-

Kontrolle.
Ich zwang mich dazu, meine Augen von der kleinen Spanierin abzuwenden, deren Anwesenheit mein Hirn in Matsch zu verwandeln schien. Das schiefe Grinsen, das ich auf meine Lippen presste, war im Halbdunkel hier drin nur undeutlich zu sehen – obwohl es offensichtlich falsch war, sollte das den beiden Mädchen nicht auffallen. Oder wenigstens einem von ihnen nicht.
„Siehst du, das meinte ich mit englischem Namen. Wieso muss man sich da noch mit Isobuta herumschlagen?", zwinkerte ich Akuji zu.
Mein Herz schlug heftig, aber jetzt war ich zumindest vollends erwacht.

Immerhin wurde der Ausdruck der Schwarzhaarigen weicher, als sie ihr Gesicht mir zuwandte, aber ihr Fokus lag ganz klar noch auf Sierra: „Wie kommst du darauf?"
Alles in mir drängte danach, mich zwischen die beiden Mädchen zu stellen, und zwar mit dem Rücken zu Sierra – ich wollte sie abschirmen von der Kälte Akujis, von der ich wusste, dass sie schmerzhafter sein konnte als Urus Wärme. Aber ich hatte die Kontrolle, befehligte meinen Körper und blieb sitzen – zwischen Laptops und Computern, im Territorium der Schwarzhaarigen.

„Wie kommst du auf diesen Namen?" Akuji trat einen Schritt auf Sierra zu, die wie erfroren dastand, und mein Fuß zuckte in ihre Richtung, mein Unterbewusstsein drängte mich dazu, die Brünette zu beschützen. Aber ich blieb ruhig.
Ruhig.

„Ich, also..." Sierra schluckte deutlich, fing sich dann aber glücklicherweise wieder und erwiderte Akujis Blick auf. „Ich fand es einfach passend. Ich finde es nicht fair, dass sie ihn Rookie nennen, aber ich kenne seinen Namen nicht. Und wenn er sich bewegt, hat er etwas Raubtierhaftes an sich... als wäre er auf der Jagd."
War ich auch. Auf der Jagd nach Informationen.

Akuji knurrte, drängte mit einigen wenigen Schritten Sierra aus der Tür – und kehrte mir damit den Rücken zu. Wenn auch nur für einige Sekunden, aber es zeigte, dass sie mir vertraute...
Ein Vertrauen, das ich missbrauchte, seit ich einen Fuß auf diese verdammten Bahnschienen gesetzt hatte.

***

Um Verwirrung vorzubeugen: Der Grund, dass Sierra Hunter erkannt hat, ist schlicht und einfach ihre Beobachtungsgabe. In dem Fall ist nichts im Hintergrund gelaufen, sie hat die kleinen Zeichen aber allesamt richtig gedeutet.😉

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top