Hunter ~ Patronen

Schweigend saß ich auf einem der schwarzen Schreibtische neben dem Laptop in Stand-by, den Rücken gegen die Wand gelehnt.
Irgendwie schien das hier mein Dauerzustand zu sein... Gelegenheit zum Reden hatte ich kaum. Mit Luke und Ashe sowieso nicht, und Mort – etwas größer und breiter, als guttat, und mit militärisch kurzem Haarschnitt der typische Mafiazögling – war fast dauernd auf Mission. Neben den dreien war nur der Fisch mein Zimmernachbar, aber der hatte bisher noch nie hier geschlafen.

Ich hatte immer noch nicht begriffen, wie die Namen und Gruppen hier zugeteilt wurden, aber meine Mitbewohner schienen die einzigen zu sein, die man zumindest rufen konnte, ohne sich die Zunge zu brechen.
Akuji – mit unaussprechlichem Namen – schlief irgendwo anders, wobei ich mir nicht sicher war, ob sie überhaupt schlief. Wann immer ich nichts zu tun hatte – also, fast immer – saß ich bei ihr im Computerraum, so wie jetzt. Diese Tatenlosigkeit trieb mich beinahe in den Wahnsinn, gab mir den Eindruck, meine Muskeln würden vibrieren vom Drängen, in Aktion zu treten. Nur irgendetwas zu machen mit dem Ziel, meine Familie wieder zusammenzuführen. Und zwar vollständig.

Aber der Raum hier gab mir kaum Gelegenheit, in Bewegung zu kommen. Fast die komplette hintere Hälfte war mit Tischen und Computern zugestellt, Lampen und Fenster gab es hier nicht. Die Wände waren schlicht schwarz gestrichen – genauso, wie es in ihrer Seele aussah, hatte Akuji im Scherz erzählt. Und dennoch hoffte ich, hier am Informationsknotenpunkt der Geweihten irgendetwas herauszufinden, was mich meiner kleinen Cousine näherbrachte...
Mein Blick wanderte nachdenklich über Akuji, die im kalten Licht der Bildschirme noch blasser aussah als sonst schon.

Die Stille im Raum wurde nur vom Mausklicken und der Tastatur unterbrochen, wenn die Schwarzhaarige ab und zu auf die Tasten einhämmerte. Ihre Finger flitzten eilig über das Board, nur die weichen Fingerkuppen, weil sie ihre Nägel raspelkurz abgekaut hatte. Ich würde zu gern wissen, woran sie gerade wieder arbeitete. Aber in den letzten drei Tagen hatte ich schmerzhaft lernen müssen, dass man die Teenagerin besser nicht unterbrach, wenn sie in ihre Bildschirme vertieft war...

Doch Akuji schien meinen Blick zu spüren, denn sie stieß sich mit den Füßen von der Tischkante ab und rollte in ihrem dunkelblauen Drehstuhl einen Meter nach hinten, um mich prüfend zu mustern. „Alles roger, Rookie?"
Ich zog eine Grimasse, hoffend, sie würde meine Gesichtszüge zumindest annähernd erkennen können – ihre Augen konnten sich vom hellen Desktop gar nicht so schnell auf den Schatten, in dem ich saß, eingestellt haben.
„Dieser Name ist das Letzte", fauchte ich etwas gereizter, als nötig – Akuji schien mit heftigen Reaktionen besser umgehen zu können, da sie sich mit ihrer eiskalten Maske dann überlegen fühlte. Doch jegliche Frostmauern brachten beim Bruder von Scarlett Stark nur wenig – ich konnte die Schwarzhaarige besser lesen als alle anderen Geweihten. Was, zugegebenermaßen, auch nicht wirklich eine Kunst war.

Prompt erklang von der kleinen Schwarzhaarigen ein hohles Lachen, das ähnlich rau klang wie ihre Stimme, die sie viel zu selten zu nutzen schien. „Einen richtigen Namen bekommst du sowieso erst, wenn du dich als vertrauenswürdig erwiesen hast. Mort ist schon ein halbes Jahr hier, aber selbst er darf an den Besprechungen der großen Pläne noch nicht teilnehmen."

Von jetzt auf gleich wurde die Dunkelheit mein Partner – das Funkeln in meinen Augen blieb von Akuji unbemerkt. „Große Pläne? Größer als Drogenhandel und Bandenkriege?"
„Viel größer", verschränkte die Schwarzhaarige gelangweilt die Arme, „Aber das geht dich noch nichts an. Später vielleicht, du hast Potenzial."

Furchtlos fing ich ihren musternden Blick auf und legte meinen Kopf leicht schief: „Wie lang bist du eigentlich schon hier?"
„Schon immer", zuckte sie gleichgültig mit den Schultern, „also zumindest-"

Die sich öffnende Tür unterbrach uns, und alarmiert rutschte ich sofort vom Tisch runter – bisher war hier noch nie jemand reingekommen.
Akuji schob sich wieder zu den Bildschirmen und schaltete sie mit wenigen Handgriffen alle an, sodass der Raum plötzlich hell erleuchtet war.

Die fremde Frau, die hereingekommen war, blinzelte mehrmals – wohl, um sich an die neuen Kontraste zu gewöhnen. Ihre Augen zogen mich sofort in den Bann... sie waren braun, wie Gramps', aber ich hatte bisher nicht gewusst, wie kalt braune Seelenspiegel sein konnten. Und das lag sicher nicht am bleichen Licht.

Die Frau hatte einen dunklen Hautton mit kahlgeschorenem Kopf und hätte mich an Okoye erinnert, wenn ihre Ausstrahlung nicht gänzlich anders gewesen wäre.
Wo Okoyes grenzenlose Ergebenheit gegenüber ihrer Heimat lag, war bei der Fremden das Verlangen von bedingungsloser Unterwürfigkeit. Und wo meine Großtante kampfbereit lauerte, da schien die Frau vor mir zu erwarten, dass andere das Kämpfen für sie übernahmen...

Ihr unerbittlicher Blick lag auf mir, ihr kräftiges, vorgerecktes Kinn sank nicht um Millimeter. Durch die fehlenden Haare wirkte ihr Kopf merkwürdig eckig, aber sonst schien sie eine normale Statur in der dunklen Lederbekleidung zu haben – die nur von einem breiten, beigen Gürtel unterbrochen wurde, dessen Sinn mir nicht ganz klar war. Ich konnte keine Waffen daran entdecken – und unnötige Modeaccessoires hatte ich bei den Geweihten eigentlich nicht erwartet.
Die rubinroten Ohrringe der Fremden sangen aber ein anderes Lied...

Mit einem leisen Räuspern unterbrach Akuji die unheimliche Stille. „Der Rookie." Sie deutete mit ihrem spitzen Kinn auf mich.
„Wie erfreulich", schnurrte die Dunkelhäutige mit einem Aufblitzen ihrer Augen, und meinen Rücken lief ein Schauer herunter. Ihre Stimme war samtweich, ohne Tiefen, aber zusätzlich zum leicht gerollten ‚r' wirkte sie wie eine Löwin auf Beutejagd.

Nur mit Mühe behielt ich die volle Kontrolle über meinen Körper: „Ganz meinerseits." Ich neigte leicht den Kopf und warf dabei einen heimlichen Seitenblick auf Akuji, die sich nur leicht angespannt hatte.
„Warum bist du hier, Uru?"

Wieder funkelten meine Augen unmerklich, als der Name fiel. Bisher hatte ich ihn nur im Zusammenhang mit Ahadi gehört – dem Anführer der Geweihten.

Die Frau warf Akuji ein kleines Päckchen zu, das sie geschickt aus der Luft fischte, während mein Blick auf Urus gelbliche Fingernägel fiel, die ihren Raubtiercharakter nur noch unterstützen. „Zum Abendessen wollen wir dich sehen", lächelte sie Akuji zu, mit einer Milde, die das kaum merkliche Grollen in ihrer Kehle nicht ungehört machen konnte.
Elegant drehte Uru auf den Fersen um und verschwand wieder – nicht, ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

„Gruselig", murmelte ich für Akuji deutlich hörbar, die mir mit einem „Allerdings" zustimmte, jedoch nicht sehr eingeschüchtert aussah. Sie streckte ihren Arm aus und reichte das kleine Päckchen nun an mich weiter, Patronen, wie ich jetzt erkennen konnte. „Du gehst heute Abend auf Mission", erklärte die Schwarzhaarige mit undefinierbarem Blick, „Bleib im Schlafzimmer, bis du geholt wirst."

Meine Augen begegneten ihren – fragend, abwartend. Ich versuchte, meinen Ausdruck unergründlich zu halten, und tatsächlich wandte sich Akuji kurz darauf ab, ohne etwas zu sagen. Mit der Maus öffnete sie ein Fenster auf dem Bildschirm, und im Gegenzug drückte ich die Tür auf – das war für mich ein klares Zeichen, zu gehen.

***

Soo... wenn man sehr um die Ecke denkt und das nötige Hintergrundwissen hat, könnte man mit diesem Kapitel den restlichen "inneren Handlungsverlauf" bereits erraten. Das Drumherum ist noch ein wenig verzwickter.
Nun, was haltet ihr von Uru und Akuji? Es macht jedenfalls Spaß, die beiden zu schreiben.😉

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