Hunter ~ Parkplatz

Sobald wir gehört hatten, wie die schwere Eingangstür der Turnhalle ins Schloss gefallen war, sah ich aus dem linken Augenwinkel Scar zu mir herumfahren. „Lasst uns Mort ausschalten, dann haben wir freie Bahn."
Ich ließ meinen Kopf leicht in den Nacken sinken und atmete tief durch, als sich abgesehen von meinem Handgelenk jetzt auch mein Kopf meldete. Und ich hatte noch gedacht, wir würden auch jetzt undercover bleiben, für den Fall, dass wir überwacht wurden – nicht mit meiner Schwester.

Zögernd drehte ich mich jetzt zu ihr um, erkannte ihren festen Stand mit an den Gürtel gelegten Händen sofort. Mit erhobenem Kinn und blitzenden Augen war sie bereit zum Kampf. „Das war jetzt natürlich das klügste, was du hättest sagen können", schnaubte Chad spöttisch, der mit verschränkten Armen hinter ihr stand. Natürlich verkniff er sich den Protest, den ich nicht gewagt hatte, nicht: „Wenn die uns überwachen, sind wir jetzt am Arsch."
„Mir reicht's mit den Heimlichkeiten", knurrte sie zurück, ohne ihren Blick von mir zu nehmen, „Ich will ihnen zeigen, was passiert, wenn sie sich mit den Watchers anlegen."

Ich schluckte hart, als ich die unausgesprochenen Worte zwischen den Zeilen verstand: Niemand stellt sich zwischen Zwillinge. Sie sollen sehen, wer sie vernichtet.
Sie wollte, dass ich wieder dieselbe Haarfarbe hatte wie sie, dieselben hohen Wangenknochen, dieselben grünen Augen. Und ja, verdammt, ich wollte das auch, aber ich durfte noch nicht.

Es war, als würde ich aus einer Trance gerissen, als Chad in unseren Sichtkanal trat und den angespannten Moment unterbrach. Abwesend nahm ich die Ohrhörer entgegen, die er mir auffordernd hinhielt. Meine Finger krampften sich sofort um die kleinen Kommunikationsgeräte, die sich an die Farbe meiner Handfläche anpassten. Mein Brustkorb hob sich deutlich, als ich tief einatmete und die Stöpsel dann mechanisch in meine Ohrmuscheln drückte.

„Welche Illusion soll ich über Jolly Rogers legen?", fragte ich so ruhig und emotionslos, wie möglich, „Taka, du hast ihr Vertrauen." Meine Aufmerksamkeit verließ meine Schwester für keinen Wimpernschlag, aber sie zog nur ihre Augenbrauen leicht hoch – Chad hatte doch nicht etwa ehrlich mit ihr geredet? Und sie ihm geglaubt?
Also, wenn die beiden zusammenarbeiteten, war die Mission es jetzt schon wert gewesen.

Als meine Familienmitglieder dann auch noch einvernehmlich nickten, wanderten meine Brauen noch ein gutes Stück höher. „So ist der Plan", erklärte Chad knapp, „Rogers ist jetzt schon bei der Tannengruppen hinten Richtung Nebengebäude, wenn wir da vorbeikommen, lasse ich mich ein Stück zurückfallen und wir tauschen Plätze. Dann musst du schnell sein mit der Illusion."
Darauf nickte ich kurz, es dauerte zwar normalerweise länger, ein Trugbild zu erschaffen, aber ich kannte Chad und Peggy mein Leben lang – das sollte ich schaffen.

„Jolly Rogers und Kit Cool haben vorgeschriebene Texte, die sie abspulen werden. Rogers weiß nur nicht, dass Taka Black Lion ist", schob mein Cousin noch hastig hinterher, und bei seinen letzten Sätzen fuhr ich vollends zu ihm herum. „Was?!"
Peggy wusste nicht von seinem Alleingang? Aber die Aufzeichnungen-
Ich hatte das gesamte Gespräch zwischen ihm und den Geweihten aufgenommen! Wenn sie nicht Bescheid wusste...

Unabsichtlich hatte ich einen Schritt nach vorn gemacht, mein Arm in Scars Richtung ausgestreckt – um sie von T'Chada abzuschirmen. Noch bevor sie mir ein leises „Alles gut, Hun" zumurmelte, ließ ich meine Hand schon wieder sinken, meinem Cousin noch einen skeptischen Blick zuwerfend. „Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut. Hier geht es um unsere Familie."
„Natürlich", kam es sofort von meiner Schwester, „Sie ist das Wichtigste."

Noch bevor einer von uns Dreien etwas hätte sagen können, das im Worst Case noch unser Vertrauen zerrüttet hätte, öffnete sich die Tür geräuschvoll wieder. Ich sprang eilig zurück, um Abstand zwischen mir und meiner Familie herzustellen, war Mort aber insgeheim fast dankbar, dass wir jetzt in Aktion treten konnten.

Die breite Gestalt des Teenagers erschien jetzt im Eingang, aber er kam nicht näher, sondern nickte uns nur zu. Ohne abzuwarten, wie die anderen beiden reagierten, folgte ich seinem Befehl. Ich durchschritt die weite Halle so hastig wie möglich, den großen Raum innerlich etwas verfluchend. Ich mochte es nicht, unter Morts Blick stumm auf ihn zuzueilen, denn ein derartiges Schweigen war von der unangenehmsten Sorte.
„Die Verletzten sind durchsucht", kündigte ich daher schon an, als ich noch zehn Meter von ihm entfernt war, „Lassen wir sie einfach liegen?"

Mort ließ seinen Blick kurz über die vier Drogendealer schweifen, von denen einer bewusstlos oben auf der Empore lag – oder zumindest hoffte ich, dass er nur bewusstlos war. „Wir schicken jemanden", beschloss der Teenager vor mir und legte seine Aufmerksamkeit dann auf Chad und Scar, die mir mit etwas Abstand gefolgt waren.
„Hast du sie unter Kontrolle?", fragte er meinen Cousin, seine kleinen Augen noch mehr verengt als im Normalzustand schon.

„Hundertprozentig", hörte ich Chad hinter mir grinsen, und Mort drehte sich ohne einen weiteren Kommentar um. Ich unterdrückte den Drang, einen Blick zurückzuwerfen, sondern folgte ihm auf dem Fuß. Es gab kein Zurück mehr – keine Revision. Ich hatte keine Ahnung, ob der Plan wirklich der geeignetste war, aber es war zu spät, um andere Maßnahmen zu ergreifen.
Mein Herz schlug heftig gegen meine Brust, nicht ganz so ruhig wie sonst, aber zumindest nicht panisch. Regelmäßig, vorwärtstreibend, stark.
Stark.

Wir waren Starks, wir alle. Gramps war genauso mein Großvater wie der von Chad oder Peggy, und er traute uns ja offensichtlich zu, seine jüngste Enkelin wiederzuholen. Keiner von uns hatte vor, ihn zu enttäuschen.
Den Fokus tief in meinem Inneren, folgte ich Mort wie ferngesteuert, nicht einmal darauf achtend, welchen der drei Ausgänge hinter den Umkleidekabinen wir nahmen. Ich hatte vorhin schon alles gescannt, aber im Bestfall würden wir diese Informationen nicht mehr brauchen.

Auf dem leeren, grau asphaltierten Parkplatz angekommen, wurden meine Gedanken aber klarer. Die Luft war für die Jahreszeit bereits relativ kühl, und ich sog sie gierig ein. In der leichten Brise jagten sich zwei Schwalben über unseren Köpfen, und irgendwo sang eine Amsel ihr Lied. Eigentlich war es friedlich hier... Wenn der Ort nicht unbedingt ein Handelsplatz des bedrohlichsten Clans der Ostküste gewesen wäre.
Ich musste mehrfach blinzeln, als ein Strahl der tiefstehenden Sonne genau auf meine Augen traf. Kurz tanzten Lichtpunkte vor meinen geschlossenen Lidern, bevor meine Sicht sich wieder aufklärte. Der Sonnenuntergang rückte näher und näher... Unsere Zeit war fast gekommen.

***

Das hier ist schon Teil 60 von 77... Wir nähern uns dem Ende! Aber das hier ist mit Abstand die längste zusammenhängende Geschichte, die ich bisher verfasst habe.😉

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