Hunter ~ Mausefalle

Das durfte doch einfach nicht wahr sein.

Die Taktik der Mandarin klang genauso durchtrieben und irre, wie ich es von der Chinesin erwartet hatte... Aber das war nicht zwingend der Grund, weshalb meine linke Hand zur Faust geballt war. Ich machte mir mehr Sorgen um Chads Plan, der zwar der beste, aber auch skrupelloseste Taktiker unter uns war. Und die nervösen Blicke meiner Schwester, die immer wieder zwischen ihm und Morgan hin und her geisterten, halfen nicht gerade, mich zu beruhigen.

„Komm schon, Chad", presste ich durch meinen angespannten Kiefer hervor, „Jetzt ist es sowieso vorbei. Raus damit." Eigentlich hatte ich noch Wir werden dich schon nicht verurteilen hinterherschieben wollen, aber in dem Fall war es wohl besser, wenn ich Versprechungen zurückhielt. Wenn Kit Cool und Black Lion sich schon zusammentaten, dann musste es sich um hochexplosives Material handeln. Obwohl mir nicht entgangen war, dass Chad die Schuld allein auf seine Schultern lud – ob das die Wahrheit war oder ob er Scar tatsächlich beschützen wollte, zeigte sich hinter der dunklen Sonnenbrille nicht.

„Als Peter nach MJs Tod das Heldendasein an den Nagel gehängt hat, weil er überzeugt war, als Spiderman nicht gut genug zu sein, sind die anderen Avengers ihm gefolgt – in der Sehnsucht, eine normale Familie zu werden, die nicht von Anschlägen verfolgt wird." Ich zwang mich dazu, ruhig zu atmen. Chad schaffte es, einen konstanten Ton beizubehalten; er begann seine Erklärung so emotionslos, dass ich mich unwillkürlich frage, wovor er sein Inneres mit diesen Mauern schützen wollte. Und ob die Antwort darauf vor ihm selbst oder vor uns lauten könnte...

„Um die Zehn Ringe zu stürzen, brauchte es aber alle Avengers", zuckte mein Cousin jetzt die Schultern, was etwas unbeholfen wirkte, da er noch immer die Arme verschränkt hatte. „Peter war der Erste, der einen Rückzieher gemacht hatte. Er musste auch der Erste sein, um wieder in seinen Anzug zu schlüpfen. Und da ich sowieso das Vertrauen der Geweihten durch mein Eindringen in Afrikas Ring erschlichen hatte..."
Das Leder unter Morgan knarzte, als sie ihre Finger fest in die Sitzfläche krallte. Meine Augen wurden förmlich angezogen von ihren verkrampften Händen, denn sie schien etwas begriffen zu haben, was ich noch nicht realisiert hatte. „Was soll das heißen?", hakte ich eilig nach, und meine eigene Stimme klang hohl in meinen Ohren.

Chad antwortete nicht mehr, aber Scar rückte noch enger an mich heran, ohne mich anzusehen. „Er hat die Frau, die ihr in der Kirche bekämpft hat, dort hinbestellt", erklang ihre leise Stimme, und obwohl mein Blick auf dem Black Lion liegenblieb, war mein gesamter Fokus auf sie gerichtet. Und es entsetzte mich, was sie sagte. „Sie hatte Anweisungen, sich schwer verletzen zu lassen, um euch vom Bahnhof abzulenken. T'Chada hat uns mit den Informationen des Lagers gefüttert, aber er hat die Geweihten vorgewarnt, angeblich, weil Morgan das Lager entdeckt hat. Er hat Ich mag Züge an die Wand geschmiert, um uns trotz der Ablenkungen auf die richtige Spur zu führen. Um sowohl vor uns, als auch vor ihnen seine Tarnung zu behalten."

Meine Augen wurden immer größer, obwohl Chad noch immer keine Regung zeigte. Er hatte Imbola wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt, nur, um seine Tarnung aufrechtzuerhalten? Das war ein Opfer, das für uns Watchers eigentlich viel zu groß sein sollte. Sogar Morgan, die normalerweise vergangene Fakten ruhig hinnahm, war eine Spur blasser geworden. Doch sie konnte sich zusammenreißen, etwas, was mir an ihrer Stelle schwergefallen wäre. „Nun, das hat funktioniert. Wir waren aber genauso oft zusammen in Sicherheitsbereichen. Warum wussten weder ich noch mein Dad Bescheid darüber?"

Mein Cousin kräuselte seine Lippe leicht, zeigte ansonsten keine Regung und überließ die Erklärung Scar, die sich unter meinem rechten Arm anspannte. Ich war noch immer erstaunt darüber, dass Chad sie eingeweiht hatte, und dass sie dann auch noch für ihn sprach... es fühlte sich so an, als würde gleich etwas explodieren. Dass die beiden mehr oder weniger zusammenarbeiteten war gefährlicher als ihre üblichen Auseinandersetzungen.
„Er wollte, dass Avengers und Watchers zusammen die Zehn Ringe vernichten, damit wir in Frieden leben können", brachte meine Schwester etwas stockend hervor, und ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Er hat das Ende von einem Telefonat zwischen Nia und uns nach dem Einsatz beim verlassenen Lager belauscht... und hat dann die Geweihten informiert. Er hat Nia entführen lassen, damit wir einen Grund haben, alle Kräfte aufzuwenden."

Meine Miene blieb nur noch für wenige Sekunden angespannt, bevor mir alles aus dem Gesicht fiel. Ich bemerkte nicht einmal, wie mein Arm von Scars Schultern glitt – da war nur noch das Rauschen meines eigenen Blutes in meinen Ohren. Und es rauschte schnell.

Nein.
Das hatte er nicht getan. Nicht unseren größten Schatz geopfert, egal wofür, sie eingesperrt in einer Mausefalle wie ein Stück Fleisch. Auf dem Präsentierteller für Ratten, um sich zurückzulehnen und zufrieden zu beobachten, wie die Untiere über unser Küken herfielen.

Das ist nicht wahr, wollte ich sagen, wollte ich glauben – hätte ich auch gehofft, wenn die Worte nicht von Scar gekommen wären. Von meinem Zwilling, der mich niemals belügen würde. Nur einen Teil der Wahrheit vorenthalten.
„Scar?" Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, rau, verzweifelt, flehend. Und sie wusste genau, was ich jetzt hören musste. Ihr Anzug raschelte leise gegen das Sofaleder, als sie gerade genügend Platz zwischen uns schaffte, um sich zu mir umzudrehen. „Wenn genug Zeit gewesen wäre, hätte ich dich informiert", sagte sie ehrlich, ihre Augen fest auf meine gerichtet, die anderen beiden völlig ausblendend. „Ich habe zugestimmt und würde es immer wieder tun, weil der Plan uns wieder zusammengeführt hat. Uns alle." Sie ignorierte den Fakt, dass wir ohne Chads verdammte Hirngespinste nicht einmal gezwungen gewesen wären, uns zu trennen. Hatte in diesem Moment wohl nur dieses eine stärkste Gefühl im Kopf gehabt – den Drang, zu mir zu kommen.

Schwer schluckend legte ich meinen Arm wieder um sie, wollte sie für den Moment einfach körperlich spüren. Doch meine Augen kehrten zu Chad zurück, der noch immer um Reglosigkeit bemüht war. Doch mir entging nicht, dass sein Atem schwerer geworden war und sein Brustkorb beim Heben und Senken leicht zitterte. Und Morgan... Morgan war die Einzige von uns, die äußerlich ruhig geblieben war. Ihr Blick aber war genauso kalt wie ihr Ton, als sie das erste Wort nach Scars Offenbarung formulierte: „Verschwinde."

Chad zuckte sichtlich zusammen, und sein Atem stockte, genauso erschrocken wie meine Schwester und ich. Doch keiner von uns bewegte sich, als Morgan mit bebender Stimme hervorpresste: „Geh mir aus den Augen, damit ich objektiv nachdenken kann, was jetzt zu tun ist." Verdammt, so sauer hatte ich sie noch nie gesehen – und es war völlig berechtigt. Ihre Wut war kälter als jegliches Frostriesenblut, und ich spannte mich erneut an, als meine Cousine aufsprang. Sie wartete nicht, dass Chad tatsächlich die Beine in die Hand nahm, sondern stürmte selbst aus dem Raum, so schnell, dass sie beinahe an der Schiebetür hängenblieb.

Ich brachte es nicht einmal über mich, einen Seitenblick zu meinem Cousin zu werfen, sondern erhob mich selbst – in der Erwartung, dass Scar mir folgen würde. Doch sie sah mir nur ruhig entgegen, und nachdem ich kurz gezögert hatte, drehte ich mich auf den Fersen um. Sie würde klarkommen, jetzt, wo alles überstanden war. Vorerst brauchte ich Sierra in meinen Armen, um meine Faust davon abzuhalten, einmal mehr Bekanntschaft mit Chads Gesicht zu machen.

***

Chad hat es schon nicht einfach. Aber sein Plan hat funktioniert (mit Einschränkungen)... Was denkt ihr, werden die Watchers ihm verzeihen?😉

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