Hunter ~ Labyrinth
Es war abzusehen gewesen, dass es mir keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten würde, die Informationen über Nia irgendwann zu bekommen.
Morgen würden wir sie wieder in unsere Arme schließen – wir waren erfolgreich.
Die Frage war nur – warum waren die Avengers das vor sieben Jahren nicht gewesen? Was war so mächtig gewesen, die stärksten Helden der Welt aufhalten zu können?
Denn ich bezweifelte, dass einer von ihnen damals eine Freundin gehabt hatte, die ihn ausversehen vor dem Informations-Knotenpunkt der Geweihten verraten hatte, die ebenfalls auf einem guten Weg gewesen wäre, eine Freundin zu werden.
Tja, genau das war jetzt mein Problem.
Akuji hatte ihre Hände gegen die Taille gestemmt und funkelte mich aus ihren misstrauisch zusammengekniffenen Augen an. Ihre Wut richtete sich zwar gegen Sierra und nicht gegen mich, aber ich war mir nicht sicher, ob mir das so lieber war...
„Sie steht auf dich", schnaubte sie kühl.
„Was?" Jetzt rutschte ich doch von der Tischplatte runter, ehrlich verblüfft. „Wer?"
Akuji schenkte mir nur einen vernichtenden Blick, aber ihre Miene wurde weicher und sie setzte sich wieder auf ihren Drehstuhl. „Du kannst wirklich naiv sein, Peter... Sierra natürlich."
Ich war froh, dass ich an den Tisch gelehnt dastand und sich nur meine Augen weiteten – sonst wäre ich am Ende noch gegen einen der Laptops gestolpert. Akuji hatte keine Ahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen. Von den wenigen Malen, die sie mich und Sierra zusammen gesehen hatte, konnte sie unmöglich-...
Vermutlich war sie einfach eifersüchtig.
Doch der Gedanke, dass Sierra mich mögen könnte, ließ mich trotzdem lächeln. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, und kaum merklich, aber... die Vorstellung war schön.
„Naja, im Gegensatz zu mir ist sie ja eh nur vorübergehend da", zuckte ich schließlich die Schultern, „Blöd ist nur, dass ich dann Morgen schon wieder zur Isobuta muss. Und den Tag danach auch... Yayy."
Akuji schmunzelte leicht und begann wieder, auf eine der Tastaturen vor sich einzuhämmern. „Dann kommst du wenigstens öfter raus... magst du ja so...", sie beendete ihre Sätze nicht mehr, sondern ließ ihre Stimme abwesend verhallen. Sie hatte sich also wieder in ihre Arbeit vertieft, und das war für mich ein Zeichen, zu verschwinden. „Naja, bis später dann", murmelte ich und verschwand auf leisen Sohlen.
Sobald ich die dunkle Tür hinter mir geschlossen hatte, darauf bedacht, Akuji genauso wenig zu beachten wie sie mich, fiel alle Kontrolle von mir ab. Ich tat einen langen, zittrigen Atemzug und starrte ungläubig auf meine Handrücken, wo die Haut noch immer blasser war als üblicherweise. Die halblangen Strähnen nicht zu vergessen, die meine Stirn kitzelten – die Illusion saß nach wie vor perfekt. Wie bitte hatte Sierra mich enttarnen können?
War Chad ihr doch nähergekommen, als ich vermutet hatte? Der Gedanke war beunruhigend... aber ich traute es meinem Cousin nicht zu, jemand anderen selbst in Bruchteile seiner Pläne einzuweihen.
Ich rang tief aus meiner Lunge nach Luft, die hier unten aber sowieso wenig erfrischend war. Dieser eine Name war mindestens so schockierend wie Chads Auftreten gewesen... Es war irre, wie viel in dieser einen Woche passiert war. Zu viel.
Als ich meine Hand vor mir mit abgespreizten Fingern ausstreckte, brauchte ich nicht einmal einen zweiten Blick zu wagen, um das deutliche Zittern zu erkennen. Das ganze Zehren an meinen Nerven half nicht gerade dabei, die ständige Kontrolle beizubehalten, die für eine Illusion nötig war...
Aber eigentlich musste ich mir vor Sierra doch nicht mehr verstellen, oder?
Denn zu ihr war ich unterwegs, als ich mich wieder in Bewegung setzte, nachdem ich mir mit den Handballen kurz über die müden Augen gerieben hatte. Der Nachhall meiner Schritte klang dumpf hier im niedrigen Flur, die dicken Steinwände erstickten jedes Geräusch beinahe sofort. Ich mochte den Ort hier noch weniger als jeden anderen in der Basis der Geweihten, zumindest von denen, die ich schon betreten hatte. Die engen, dunklen Gänge erinnerten mich irgendwie an das Labyrinth aus Percy Jackson, und das hatte ich schon immer wirklich gruselig gefunden.
An der nächsten Ecke erwartete mich allerdings kein griechisches Monster, sondern eine Gestalt, die vielmehr einer Göttin ähnelte. Oder einer Nymphe.
Sie stand flach an der Wand, ihr Brustkorb, den eine helle Strickjacke umschloss, hob und senkte sich rasch. Aber ihr Blick war nicht ängstlich, als sie mir entgegenblickte – sie hatte mich erwartet. „Komm", sagte sie leise und wandte sich nach links, den Flur hinauf.
Ich folgte Sierra langsam, immer wieder über meine Schultern zurückblickend, aber wir blieben allein. Unser Ziel war der Raum, in den wir uns schon vor der Isobuta geflüchtet hatten – sollte uns wirklich jemand finden, gab es immer noch einen zweiten Ausgang, und im Halbdunkel sollten wir auf den ersten Blick nicht erkennbar sein.
Obwohl es hier drin recht kühl war und ich nur ein Shirt darunter trug, streifte ich mir kurzerhand meinen Hoodie über den Kopf und breitete ihn auf dem staubigen Boden aus. „Wir wollen uns ja keine Blasenentzündung holen", murmelte ich Richtung Sierra, bevor ich mich auf dem dicken schwarzen Stoff niederließ. Ohne zu zögern tat sie es mir gleich, und wegen des geringen Platzes saßen wir so dicht aneinander, dass die raue Wolle ihres Cardigans die nackte Haut meines linken Arms streifte.
Wir mussten gerade ein friedliches Bild abgeben, trotz der unfreundlichen Umgebung. Ich hatte meine Knie halb angezogen und die Handgelenke darauf abgelegt, während Sierra halb an mir, halb an der Backsteinwand hinter uns lehnte und im Schneidersitz saß.
Nach kurzer Bedenkzeit nahm ich meine Brille ab und faltete die Bügel sorgfältig zusammen, um sie dann in den Ausschnitt meines Shirts zu hängen. Es würde im Ernstfall zu lang dauern, die komplette Illusion wieder hochzuziehen, wenn ich sie jetzt komplett fallen ließ – aber zumindest teilweise ließ ich sie zurückfahren. Nur mein Gesicht bis zum Haaransatz, damit ich zumindest in der Stirn meine üblichen kürzeren Strähnen hatte, und es fühlte sich sofort wie eine Erleichterung an.
Das war für mich genau die Motivation, die ich brauchte, um die kritische Sache auszusprechen, die wie ein Damoklesschwert über uns in der Luft hing: „Wie hast du mich erkannt?" Meine Stimme war rauer und zögerlicher, als ich es gewohnt war, aber Sierra reagierte erstaunlicherweise mit einem leisen Lachen. Dieses reine, unverfälschte Geräusch nahm ein wenig des Drucks von mir, und ich spürte, wie sich ein müdes Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete.
„Es war ziemlich offensichtlich, um ehrlich zu sein." Sie rückte leicht von mir ab, aber nur, damit sie ihren Kopf in meine Richtung drehen konnte. So deutlich für sie sichtbar hob ich eine Augenbraue, ehrlich gespannt auf ihre Antwort: „So?"
„Mmh...", bestätigte Sierra leise, abwesend über ihr Knie streichend. Dass die dabei immer wieder meinen Oberschenkel mit den Fingerknöcheln streifte, schien sie nicht zu bemerken.
„Du bist immer so... charmant", versuchte sie nachdenklich, zu erklären, „Und hast eine ziemlich einzigartige Ausdrucksweise. Dann dein Verhalten, nachdem du Chad gesehen hattest, und..." Ihre Worte verloren sich ein wenig, und ich dachte schon, ich könnte jetzt das Grübeln anfangen, da formulierte sie einen letzten Satz – mich offen ansehend. „Und du hast dieses Funkeln in den Augen, das kann auch eine Illusion nicht verschleiern."
Nachdenklich ließ ich meinen Blick über ihr Gesicht schweifen, das so nah bei mir war. Über ihre langen, dunklen Wimpern, die kleine Nase mit den kaum sichtbaren Sommersprossen und diese geschwungenen Lippen... Ich hätte nichts dagegen, sie auf meinen zu spüren. Aber mir war klar, dass unsere Situation auch so schon kompliziert genug war.
„Und? Was denkst du jetzt?", hakte ich leise nach.
„Dass ihr schon irgendwie schafft, was auch immer ihr vorhabt", antwortete Sierra sofort, „Und dass ich inständig hoffe, dass ihr erfolgreich seid."
Ich lehnte mich für ein paar Zentimeter vor, um meine Schultern kreisen zu lassen, die flach gegen die Wand gepresst angefangen hatten, zu schmerzen. Ohne weiter darüber nachzudenken, legte ich meinen linken Arm um Sierra – nicht bemerkend, wie kalt der Backstein der Wand gegen meine nackte Haut drückte. „Wir holen dich mit hier raus", versprach ich ihr fest.
Sierra sagte nichts mehr dazu, aber sie seufzte leise und ließ ihren Lockenkopf gegen meine Schulter sinken.
***
Das ist schon Kapitel 50! Wie die Zeit vergeht... jetzt sind es nur noch 23 Kapitel bis zum Ende. Und noch 17 Kapitel bis zum vermutlich dramatischsten Moment, den ich jemals geschrieben habe.😉
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