Hunter ~ Kartoffeln
Es lag nicht mehr an der Kälte, dass ich zitterte.
Meine Bauchmuskeln waren bis zum Zerreißen angespannt im Bemühen, keinen Schrei von mir zu geben – und meinen Atem hielt ich nur mit endloser Anstrengung lautlos.
Chad!
Meine Gedanken rasten, waren fest auf meinen Cousin gerichtet – ich bekam nicht einmal mit, dass weitere Geweihte unauffällig durch die Tür huschten, um Platten und Teller mit Essen auf den Tisch zu stellen. Das Mahl mit den Anführern der Geweihten war plötzlich in den entferntesten Hintergrund gerutscht, denn hier war jemand, der mir viel mehr bedeutete – jemand aus meiner Familie.
Oder zumindest hatte ich das gedacht.
Verräter.
Dieses eine Wort pulsierte immer wieder durch meinen Kopf, obwohl ich verzweifelt versuchte, nicht in diese Richtung zu denken. Es könnte eine sinnvolle Erklärung geben.
Es musste eine andere Erklärung geben.
Chad könnte sich hier eingeschlichen haben, schon vor längerer Zeit. Er war unser bester Taktiker. Mom verriet uns ihre Pläne auch nie, aber sie funktionierten fast immer. Irgendwie.
Wie Pfeile schossen die Gedanken durch mein Hirn, doch ich wusste, dass sie vor allem eines waren – Ausflüchte. Unwahrscheinliche Erklärungen dafür, dass mein Cousin sich völlig zufrieden und sicher in seinem Stuhl zurücklehnte und nur einen knappen Seitenblick auf mich warf.
Er musste den Nachwuchs der Geweihten kennen, mein neues Gesicht fiel ihm sofort auf – und er wusste, dass ich mich eingeschlichen hatte. Jetzt stockte mein Atem doch, aber um Chads Lippen kräuselte sich nur ein ironisches, kaum merkliches Grinsen.
Ich zuckte deutlich zusammen, als Akuji mich in die Seite stieß. Mit heftig schlagendem Herzen wandte ich mich ihr zu, und unter hochgezogenen Brauen blickten ihre blauen Augen mir misstrauisch entgegen. Hart schluckend griff ich blind nach meinem Messer, nach irgendeinem Weg suchend, dass Chads Auftauchen nicht meine gesamte Illusion durcheinanderwarf.
Verdammt, er war doch mein Cousin.
Meine Sicht war verschwommen, als ich meine Augen auf den Teller vor mir richtete, aber mit etwas Mühe gelang es mir, das Steak zu fokussieren. „Sorry", murmelte ich Akuji so leise zu, dass sie das Beben in meiner Stimme nicht bemerken konnte, „Ich bin Vegetarier."
Die schmalen Augenbrauen meiner Sitznachbarin hoben sich noch ein Stückchen weiter, aber zumindest wandte sie sich wieder ihrem eigenen Teller zu.
Als ich mit der Gabel auf die Kartoffeln abzielte, vibrierte das Metall mit deutlichem Klirren gegen das Porzellan des weißen Tellers – meine Hand zitterte. Ich verfluchte mich selbst, aber niemand schien meine Angespanntheit zu bemerken – was teilweise auch daran lag, dass eine andere Stimme die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Eine Stimme, die ich hier noch nie vernommen hatte, außerhalb der Mafia dafür umso öfter.
„Liebes, wollen wir nach dem Essen noch eine Runde gehen?"
Ruckartig fuhr mein Kopf nach oben, und mein Herz klopfte wieder schneller, als mein Blick auf Chad fiel. Er hatte seine Hand auf die Finger Ashes gelegt, wo seine dunkle Haut einen scharfen Kontrast zu ihrer Blässe gab. Mit einem wölfischen Funkeln in den Augen ließ er seinen Blick nicht für eine Sekunde von ihr. „Du könntest mir ein wenig von den Neuigkeiten hier berichten... von deinen Sorgen und Problemen..."
Rasch nahm ich meine linke Hand unter den Tisch, damit niemand sah, dass ich sie fest zur Faust ballte. Mein Kiefer war genauso angespannt, die Kartoffeln längst vergessen.
Ashe biss sich deutlich sichtbar auf die Lippen und schauderte, hatte den Blick ansonsten aber wie erstarrt auf ihren Teller gerichtet. Lukes Augen dagegen sprühten förmlich Funken und er bewegte sich etwas nach rechts, griff unter der Tischplatte vermutlich nach ihrer freien Linken.
„Nun, das Schweigen werte ich als Zustimmung", provozierte Chad weiter, und obwohl Ashe in seinem Fokus zu liegen schien, war mir klar, dass er eigentlich auf eine Reaktion Lukes wartete.
Und die ließ auch nicht lang auf sich warten.
Das Knurren, das der blonde, muskelbepackte Teenager ausstieß, hatte die Grenze zum Animalischen längst überschritten. Gespielt überrascht ließ Chad seinen Blick von Ashe zu deren Bruder schwenken und zog die Augenbrauen hoch. „Wie war das?"
Ich hatte meinen Cousin noch nie so höflich nachfragen gehört, aber sein süßlicher Unterton war ähnlich gefährlich wie Urus Schnurren. Und obwohl ich inständig hoffte, dass Chad einfach ein verdammt guter Schauspieler war, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass die beiden wirklich gut zusammenpassten.
Selbst Akuji neben mir, die von uns Jüngeren die einzige gewesen war, die desinteressiert weitergegessen hatte, sah jetzt auf, als Luke ein „Nichts" herauspresste.
„Gut." Wenn das überhaupt möglich war, wurde Chads Stimme noch eine Spur sanfter. „Ich dachte schon, du hättest etwas dagegen, wenn ich deine Schwester... umsorge." Überdeutlich drückte er Ashes Hand, der es mittlerweile sichtlich Probleme bereitete, unbewegt zu bleiben.
Von Luke kam ein Kopfrucken, das für Chad genügend Interpretationsspielraum gab, um seine Finger von Ashes Hand zu heben. „Sie sieht nämlich aus, als könnte sie einen... Beschützer... brauchen."
Mit den Knöcheln seines Zeige- und Mittelfingers strich er ihr kurz über die Wange, und Ashe entwich ein leises Wimmern.
Ich verkrampfte mich immer mehr, hatte keine Ahnung, ob Chad den Beschützer als Seitenhieb auf mich erwähnt hatte oder die Zwillinge einfach nur quälen wollte. Egal, worauf er abgezielt hatte, beides traf.
Luke hatte seinen Kopf jetzt vollständig meinem Cousin zugewandt, und die Fingerknöchel seiner Hand, die das Messer umklammerten, traten weiß hervor. Ich schaffte es endlich, mich vom aufwühlenden Anblick Chads loszureißen und schoss Akuji einen hilfesuchenden Blick zu, die mir jedoch keine Beachtung schenkte. Ihre blauen Augen funkelten unergründlich, und ihre Miene war ausdruckslos – sie saß von allen am Tisch vermutlich am entspanntesten da.
Tief durchatmend ließ ich meine Augen zum anderen Kopfende des Tisches wandern, zur Beruhigung meine linke Hand immer wieder zur Faust ballend. Uru hatte sich zurückgelehnt, die Arme auf der Lehne, und lächelte milde amüsiert, das Schauspiel gegenüber von ihr beobachtend. Von ihr war keine Hilfe zu erwarten, aber Ahadi neben ihr hatte sein Besteck bereits beiseitegelegt, damit er die Hände frei hatte.
„Das reicht." Seine Stimme war rau und beinahe tonlos, doch sie strahlte eine derartig hohe Autorität aus, dass alle Blicke sofort nach unten gingen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Chad seine Hand zurückzog und Uru ihre Arme verschränkte, aber es wagte niemand Widerworte.
Nun, fast niemand.
„Sierra kann sich doch später um sie kümmern." Um Akujis Lippen zuckte ein leises Lächeln, als sie sich prompt im Zentrum der Aufmerksamkeit wiederfand. Ich wusste nicht, was ich von ihrem Verhalten denken sollte – gerade war es mir so vorgekommen, sie würde sich mir gegenüber öffnen, da schoss sie wieder mit Giftpfeilen um sich. Denn dass dieser Spruch einzig und allein darauf ausgelegt war, Sierra zu schaden, sollte allen klar sein.
Und es funktionierte.
„Wer?", fragte Chad harsch nach, und mir entging der warnende Blick nicht, den Ahadi Akuji zuschoss. „Sierra Àlvarez", erklärte die Schwarzhaarige unberührt davon, „Die Tochter der Isobuta. Sie ist dieses Wochenende zu Besuch."
Mein Herzschlag nahm ein schmerzhaftes Ausmaß an, als Chad sich aus seiner leicht geduckten, lauernden Haltung aufrichtete und die Unterarme auf den Tisch legte. Er lehnte sich vor, dichter heran zu Akuji – und zu mir. „Ist sie das?", fragte er mit leiser, bedrohlich tiefer Stimme. Als er seinen Blick von Akuji zum Anführer der Geweihten schweifen ließ, streifte er wie zufällig mich – und ich erkannte das Glitzern in seinen Augen.
Es trat auch immer dann hervor, wenn er kurz davor war, Scar mit Worten dazu zu bringen, ihn anzugreifen.
„Ihr wisst aber, dass sie eine enge Freundin von Scarlett Stark ist?", hakte er mit wesentlich kühlerer Stimme an Ahadi gewandt nach, „Und dass die beiden sicher nicht aufeinandertreffen sollten, wenn die Zeiten so... unruhig sind wie jetzt?"
Meine Fingernägel schnitten in die Haut meiner Handfläche, als ich meine Faust über die Maßen anspannte. Chad war ein Teufel, und so langsam begann ich zu zweifeln, dass er schauspielerte.
Ahadis Blick blieb unergründlich und irgendwie trübe, seine recht kleine Gestalt regte sich nicht – er hatte nichts wirklich Angsteinflößendes an sich. Vermutlich, weil niemand so dämlich war, seine Befehle zu verweigern.
„Taka, du kommst nach dem Essen in mein Büro. Akuji, du wirst das Mädchen ebenfalls dorthin bringen, und zwar sichergestellt."
***
Dieses Kapitel wollte partout nicht hochgeladen werden... dabei mag ich es recht gern. Nun ja, die Internetverbindung ist mir dazwischengekommen, aber wenn ihr das hier gerade lest, dann hat es ja offensichtlich endlich geklappt.😉
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