Hunter ~ Hologramm

Es war Montagmorgen, als wir alle wieder aufbrachen.
Sechs Uhr morgens war die Luft noch kalt und unter meinen leichten Turnschuhen benetzte Tau die dunkelgrünen Wiesen, die Sonne war noch nicht einmal aufgegangen. Trotzdem war der Himmel relativ hell, in einem hübschen Farbverlauf von blau zu orange – für den ich aber nur einen flüchtigen Blick übrighatte.
Denn hinter mir, aus der Avengers-Basis, über der noch ein vereinzelter Stern leuchtete, fuhr Peggy mit ihrem Audi vor – und sie würde mich nicht mitnehmen.
Es staubte auf dem ungepflasterten Weg, als sie vor uns hielt, und T'Chada, der regungslos in der Dämmerung verharrt hatte, stieg ohne Kommentar auf dem Beifahrersitz zu. Seine schwarze Silhouette war gegen den dunklen Nadelwald in seinem Rücken kaum zu erkennen, erst im Inneren des leicht erleuchteten Autos wurde sein müder Ausdruck deutlich. Die Nacht war für uns alle lang gewesen...

Meine Schwester zögerte, schenkte dem Auto keinen Deut ihrer Aufmerksamkeit und warf stattdessen Morgan, die schräg hinter mir wartete, einen mörderischen Blick zu. Unsere Älteste ignorierte sie, nickte mir kurz zu und zog sich dann zurück – ein Zeichen für mich, Abschied zu nehmen.

Mit den Händen in den Hoodietaschen wippte ich unruhig auf meinen Sohlen, den direkten Blickkontakt zu Scarlett vermeidend.
„Du weißt schon", fing ich dann ruhig an, „Dass du die Einzige bist, die mich abhalten kann?" In der darauffolgenden Stille hörte ich nur meinen eigenen Atem, der flach ging, zögerlich.
Als auch nach einigen Sekunden keine Antwort kam, wanderten meine Augen doch noch zu ihr. Scars Kiefer war angespannt, und ihre Finger, die bis dahin locker auf den Schultergurt ihres Rucksacks getrommelt hatten, waren zu Fäusten geballt.
Sie sah so... normal aus, wie sie dastand, nur das Auto im Blick. Einfaches schwarzes Top, hellgraue Jeans, Loki-Rucksack über der rechten Schulter.
Doch sogar von hier, im Dämmerlicht, sah ich ihre Augen – genauso grün wie ihre Schultasche – gefährlich funkeln.
Ich musste nur noch einen Moment warten, dann fuhr sie plötzlich zu mir herum, und ihre schulterlangen Haare peitschten um ihren Kopf. Sie blieb stumm, blitze mich nur an – und ich verstand, was sie sagte. „Zwing mich nicht, zu entscheiden zwischen dir und Nia." Diese nicht ausgesprochenen Worte bebten vor Wut – und Angst.

„Scar..." Ich hob meine Hand und streckte ihr meine Finger entgegen, und mit geweitetem Blick wich sie ein paar Zentimeter zurück – ich hielt sofort inne.
In diesem Moment erinnerte meine Schwester mich an ein scheues Wildtier: Eine falsche Bewegung, und sie würde fliehen. Oder auf mich losgehen.

Doch auf meinen bittenden Blick hin schluckte sie nur noch einmal schwer und stürzte sich dann in meine Arme.
Ich hielt sie fest, schloss die Augen und legte in einem Moment der Ruhe meinen Kopf auf ihrem ab. Ohne meinen Sehsinn hörte ich deutlich ihren unregelmäßigen Atem und roch ihr Scar-Aroma, eine seltsame Mischung aus Minze, Schnee und einfach ihr selbst.

„Hey", sagte ich dann leise, mit einem Lächeln in der Stimme, „Du weißt es doch noch, oder? Du bist meine BTBFF. Born together..." Meine Stimme klang belegt, und ich musste mich zu einem optimistischen Ton zwingen. Es ging hier um meine Familie, musste ich mir immer wieder sagen... Aber das war schwer, wenn meine Familie zum Abschied in meinen Armen lag.

„... best friends forever", vervollständigte Scar den Spruch, ohne zu zögern. Widerwillig zwar und mit leicht zitternder Stimme, aber sie würde meine Hälfte niemals unbeantwortet lassen. Ich spürte deutlich gegen meine Rippen, wie sich bei einem tiefen Atemzug ihr kleiner Brustkorb hob. Prompt lockerte ich meine Arme, und Scarlett löste sich mit einem letzten Blick von mir. Die Scheinwerferlichter des Autos spiegelten sich in ihren feuchten Augen.

Als sie sich ohne eine weitere Regung zum Audi zuwandte und verschwand, lächelte ich.
Auch noch, als Peggy hupend abfuhr und ich sie nicht mehr sehen konnte.
Und ebenfalls, als Morgan mich sanft am Arm nahm und zurück in die Basis führte.
Aber als sie anfing, von Zugstrecken zu reden, war ich raus.

„Belmont Pk und Mets-Willets Point sind nicht miteinander verbunden, in keine der beiden Richtungen. Trotzdem haben wir dieselbe Chemikalie wie im Lager auch auf den Schienen bei Belmont gefunden, und die Schienen sind nicht gerostet, obwohl sie aus Walzstahl bestehen. Ihre Basis ist aber ganz sicher im Point, also-"
„Moment mal", unterbrach ich meine Cousine und blieb mitten im Flur stehen, „Ich verstehe gerade wortwörtlich nur Bahnhof. Was hat das damit zu tun? Und du kennst ihre Basis? Was bitte habe ich verpasst?"

Morgan warf mir einen blitzenden Blick zu und packte mich am Oberarm, um mich weiterzuziehen. Auf den schwarzen, glatten Fliesen des Bodens quietschten meine Turnschuhe leicht, ansonsten war es so früh am Morgen noch still in meinem Zuhause.
„Ich erklär dir alles im Quinjet, jetzt vertrau mir noch für ein paar Minuten, ja?"
Widerstrebend folgte ich ihr, meine Gedanken wirbelnd. Soweit ich ihr hatte folgen können, wusste sie von der Basis der Geweihten – und zwar nicht erst seit gestern. Dieses Gefühl war... merkwürdig. Als hätte sie uns etwas vorenthalten... Und obwohl vermutliche alle Watchers und Avengers es gewohnt waren, nicht in die Planungen von Starks mit einbezogen zu werden, wand sich etwas in mir bei diesem unangenehmen Gefühl.

Ich biss mir auf die Unterlippe und wandte meinen Blick ab, der bis dahin fest auf dem Rücken meiner Cousine geklebt hatte.
Als wir nach links um die Ecke Richtung Hangar bogen und die hellgrauen Metallwände begannen, spiegelte sich Morgans Gestalt vor mir im blankpolierten Chrom – sie eilte entschlossen vorwärts, niemals zögernd.
Keiner der Watchers würde uns je verraten, aber ich war gespannt, was sie zu den Geweihten zu sagen hatte.

Mit einer schwarzen Fernbedienung, einem Autoschlüssel gar nicht unähnlich, ließ Morgan die Rampe eines der Jets schon runterfahren, als wir den Hangar betraten. Die verschiedenen Kampf- und Spionageflugzeuge rechts und links von uns ignorierend führte sie mich zielstrebig zu einem der kleinsten Qinjets vorne links.
Meine Augen hatten gar nicht die Chance, sich an die Dunkelheit hier im Inneren zu gewöhnen, da sprangen schon alle Lichter an und meine Cousine startete die Maschine.
Ohne mich anzusehen, den Fokus jenseits der Windschutzscheibe, deutete sie auf den Copilotensessel – wohl wissend, dass ich ihren Anweisungen folgen würde.
Tief durchatmend ließ ich mich in das dunkelbraune Leder fallen, setzte mich aber gleich wieder aufrecht – ich war angespannt.
Endliche bequemte Morgan sich dazu, dem Abhilfe zu schaffen: „Wir haben nicht viel Zeit, also die Kurzfassung", begann sie, und ich nickte knapp. Nur kurz streifte mein Blick die Basis zu unserer Linken, als der Quinjet aus dem Hangartor schoss und an Höhe gewandt, dann lag meine Aufmerksamkeit wieder auf Morgan.

„Bei seinem Kontrollgang hat Nate tatsächlich etwas gefunden am Bahnhof. Sie haben Spuren hinterlassen – vielleicht, um uns in die Irre zu führen, denn die Zugstrecken von Belmont und Mets Willets sind nicht verbunden. Und genau deswegen bin ich mir sicher, dass ihre Basis im Mets Willets Point ist – sie transportieren ihre Waren über die stillgelegten Gleise, mit alten Bussen zwischen den beiden Zugstrecken hin und her. Aber dieses Wissen an sich hilft uns nicht viel – denn wir wissen nicht, was sie alles wissen. Dass ich ihnen auf der Spur bin auf jeden Fall. Die Informationen, die ich abfangen kann, sind nur zu etwa siebenundvierzig Prozent wahr – ich bekomme immer wieder Halbwahrheiten oder gänzlichen Nonsens heraus. Bei jedem Außeneinsatz von euch muss ich abwägen, ob die Geweihten die Informationen für eine Falle gestreut haben oder ob mir tatsächlich etwas ins Netz gegangen ist."

Meine Augenbrauen wanderten nach oben und ich warf Morgan einen Seitenblick zu, die stur nach draußen sah – oder auf die Hologramme auf der Windschutzscheibe.
„Das Problem: Sie müssen sehr, sehr mächtig sein. Die Avengers haben sie vor sieben Jahren nicht besiegen können, und ich weiß absolut nicht, warum. Jetzt sind sie so gut wie zerbrochen, und wir – wir sind keine Kämpfer. Nur... Beobachter. Beschützer." Zum ersten Mal im Jet blickte sie mir doch in die Augen, nur kurz zwar, aber äußerst entschlossen. „Und das ist auch dein Job, klar? Beobachten – herausfinden wo Nia ist. Und sie beschützen, wenn du sie findest. Sobald das erledigt ist, holen wir euch da raus. Wir sind uns sicher, sie wissen nichts von unseren Fähigkeiten. Bei Peggy können sie es vermuten, der Rest ist eine Blackbox für sie – das heißt, du bist sicher."

Es war verdammt hart für mich, nicht nachzudenken.
Das klang grotesk, aber es war nicht meine Aufgabe, die Informationen zu analysieren und Pläne zu schmieden – ich sog nur alle Fakten auf wie ein Schwamm, um genau das bestmöglich auszuführen, was man mir auftrug.
Und trotzdem wirbelten meine Gedanken, und mein Herz klopfte etwas schneller als sonst, weil ich gerade Dinge erfahren hatte, die mich meiner kleinen Cousine einen Schritt näherbrachten.

Nach ein paar gedrückten Knöpfen war der Jet auf Autopilot gestellt und Morgan stand auf, ich drehte meinen Stuhl in ihre Richtung. Meine Cousine warf ein Hologramm auf und schickte es in meine Richtung – ein lebensgroßes 3D-Bild eines Jungen in meinem Alter, computergeneriert.

Beinahe sofort klärte sich mein Kopf – jetzt war ich wieder in meinem Metier, damit konnte ich etwas anfangen. Höchst aufmerksam ließ ich die Projektion durch eine Handbewegung langsam drehen.
Der Teenager war eine Handbreit kleiner als ich, aber hatte dieselben breiten Schultern und kräftige Arme. Er wirkte dadurch muskulöser, als ich es war – zusätzlich noch untermalt vom kantigen, breiten Kiefer und den kleinen, eingesunkenen Augen. Die restlichen Züge des Jungen waren nicht auffällig; mit einer kleinen schmalen Nase und den mausbraunen Haaren hatte er ein Gesicht, das man schnell vergessen konnte.
Umso besser.
„Bei der Frisur musst du aufpassen, er hat längere Haare als du, die in der Stirn hängen. Deine Sicht schränken sie nicht ein, solang du die Brille trägst", sagte Morgan leise, mir besagte Sehhilfe reichend. Sie war schwarz und viereckig, mit relativ großen Gläsern – so, dass sie mich nicht stören würde. Und hundertprozentig mit eingebauten Kameralinsen.

Nach einem auffordernden Blick warf Morgan mir nun auch einen Kleidersack zu, und ich zog einen dunkelgrauen Hoodie hervor – eine Nummer kleiner, als ich ihn normalerweise trug.
Sonst fanden sich dort noch schwarze baggy Jeans und Cargohosen, ein Gürtel mit nach innen gekehrten Taschen für Messer und ein Pistolenholster.
Jetzt doch unruhig sah ich auf und suchte nach Sicherheit in Morgans Blick, die mir zunickte und einen gefälschten Pass vor meine Nase hielt.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um sie vom Zittern abzuhalten. Für die nächsten Wochen würde ich nicht mehr Hunter Stark, sondern Peter Johnson sein.

***

Tja... sieht so aus, als ob gestern Freitag war. Warum sagt mir das denn keiner? Jetzt habe ich es schon zum zweiten Mal verpasst, hochzuladen... Schande über mich.
Naja, dafür gibt es heute ein besonders langes Kapitel, soweit ich weiß sogar das längste überhaupt. Ich bin jetzt beim Schreiben bei mehr als 45 Kapiteln und 50.000 Wörtern und der Höhepunkt hat noch nicht einmal begonnen... Also, diese Story wird definitiv meine längste.😉

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