Hunter ~ Frieden

Ich saß auf meinem Bett und hatte mein dickes Kissen in meinen Rücken gestopft, um mich bequem anlehnen zu können. Sierra saß auf dem flauschigen grauen Teppich davor, und ihr kleiner Körper verschwand fast in meinem weißen Hoodie. Ihre verschmutzten Klamotten hatten wir sofort in die Waschmaschine befördert, aber sie war nicht sonderlich traurig gewesen, sich einen Pullover aus meinem Schrank klauen zu können. Jetzt schmiegte sich ihr Rücken sanft gegen meine Beine, während sie auf ihren angezogenen Knien ein Buch balancierte.

In der Stille waren die raschelnden Seiten das einzige Geräusch, bis Sierra sie unterbrach: „Es ist unglaublich, was deine Familie schon zusammen erlebt hat. Und wie sehr euch das zusammengeschweißt hat." Ich musste mich nicht einmal vorlehnen, um zu wissen, welches Buch sie sich aus meinem Nachtschrank direkt neben ihr ausgesucht hatte. War Machine – Geschichten eines Helden, das Mom nach Rhodeys Tod verfasst hatte. „Ich zweifle manchmal, ob der Zusammenhalt noch so besteht...", murmelte ich abwesend, den Blick auf eine ihrer Locken gerichtet, die ich mir immer wieder um den Zeigefinger wickelte. Es tat gut, einmal nichts zu tun, die Ruhe zu genießen... doch innerlich war ich noch immer aufgewühlt, vor allem nach T'Chadas Geständnis.

Sierras Kopf wanderte etwas nach oben, als sie ihren Blick von dem Buch losriss und ihn stattdessen unfokussiert auf die weiße Wand gegenüber von ihr richtete, die nur von einem hölzernen Regal mit allem möglichen Kram geschmückt wurde. „Ich glaube kaum, dass euch noch etwas auseinanderbringen kann", meinte sie dann langsam, „Irgendwie hat er ja auch nur euer Bestes gewollt, oder?"

Ich zuckte die Schultern, ließ ihre Strähne los und atmete tief durch. „Sicher hat er das. Aber... das war einfach zu viel. Es ist nicht seine Schuld, dass er nie Grenzen kennengelernt hat, aber das Risiko war trotzdem viel zu hoch." Ich bemerkte selbst, dass meine Worte plump klangen, nicht ganz das ausdrücken konnten, was ich meinte. Müde schloss ich kurz die Augen, einfach völlig ausgelaugt von den letzten Tagen. An meinen Knien spürte ich, wie Sierra sich bewegte, und dann legten sich schlanke Finger an meine Schläfen.

Noch mit gesenkten Lidern verzog ich meine Lippen zu meinem Lächeln, bevor ich den Atem meiner Freundin sanft über sie streichen fühlte. Dann legte sie ihren Mund sanft auf meinen, und ich zerfloss förmlich unter ihrem süßen Geschmack. Sierra vertiefte die kurze, unschuldige Berührung nicht, und ich öffnete meine Augen wieder, als sie wieder einige Zentimeter Abstand zwischen uns herstellte. Obwohl ihr Blick funkelte, blieb ihr Ausdruck ernst, als sie sagte: „Hatte die ganze Aktion nicht auch gute Seiten? Hat sie nicht uns zusammengebracht?"

„Ja... das hat sie wohl", gab ich zögernd zu und hob meinen rechten Mundwinkel, als ich mit der Hand blind nach Sierras Fingern in meinem toten Winkel tastete, sie nebenbei mit meinen verschränkte. „Das heißt jetzt aber nicht, dass ich Chad als Trauzeugen einlade." Sierra kicherte leise und ließ ihren Kopf leicht in den Nacken sinken, mich unter halb geschlossenen Lidern anblitzend: „Jetzt will ich erstmal Trauzeugin werden."
Irritiert zog ich eine Augenbraue hoch, nicht ganz begreifend, wen sie meinte. Amüsiert schmunzelnd klärte meine Freundin mich auf: „Ashe und Agnes! Komm schon, die beiden sind perfekt füreinander." Ihr Grinsen spiegelte sich jetzt auf meinem Gesicht, denn da hatte sie definitiv recht. „Apropos...", murmelte Sierra, wieder etwas ernster werdend, „Vielleicht sollte ich nach ihr schauen. Immerhin kenne ich sie ein Stück länger als ihr... Wenn bei dir alles klar ist?" Auf ihren fragenden Ausdruck hin nickte ich nur mit einem Lächeln und öffnete meine Finger wieder.

Natürlich bedrückte ich mich der Gedanke an Chad, aber Morgan würde ihn vermutlich sowieso erst einmal wieder nach Wakanda schicken. Etwas Abstand nehmen... und irgendwann würde er einfach wieder in unsere Mitte kommen, wie wir uns auch nach den vorigen Streits immer wieder stumm vereinigt hatten. Immerhin verband uns mehr als nur gemeinsame Ziele – wir waren eine Familie.

Nachdem Sierra die weiß gestrichene Tür wieder vorsichtig hinter sich zugezogen hatte und ich allein in meinem stillen Zimmer saß, ließ ich meinen Blick nachdenklich über meinen Nachtschrank schweifen. Vorhin hatte ich alle Sachen, die noch nützlich sein konnten, achtlos auf die Holzfläche gelegt. Die Waffe, die ich von der Isobuta bekommen hatte, das Kästchen, in dem sich längst keine Patronen mehr befanden, und... Den Blick auf das kleine schwarze Handy gerichtet, setzte ich mich plötzlich steif auf. Abgesehen von den Nummern von Luke und Mort, die beide nicht mehr lebten, war noch die des Fischs darauf gewesen, aber Scar hatte wesentlich besseren Zugang zu ihm als ich. Interessanter war eine der vielen Nummern von Akuji, die von Anfang an darin eingespeichert gewesen war.

In einer einzigen Bewegung rutschte ich von meinem Bett und fischte das Smartphone von dem niedrigen Tisch, mit leicht zitternden Fingern den Startknopf drückend. Mein Atem stockte und ich fiel auf meine Knie zurück, als mir tatsächlich eine Nachricht der Schwarzhaarigen angezeigt wurde. Sie bestand nur aus zwei Worten, aber ein Schauer lief meinen Rücken hinunter. ‚Hallo, Peter.'

Für einige Sekunden starrte ich einfach nur auf die leicht flirrenden Buchstaben, bevor ich wie in Zeitlupe auf das Antwortfeld drückte. ‚Ich bin nicht Peter. Und du nicht Akuji.' Ich musste meine Worte mehrfach korrigieren, weil ich die Tasten verfehlte, bevor ich auf Senden drückte. Und obwohl mir nicht angezeigt wurde, dass Akuji online war, wurden die Häkchen sofort blau.

Etwas atemlos ließ ich mich zurücksinken, lehnte meinen Rücken gegen die harte Seitenwand meines Bettes, während ich auf ihre Antwort wartete. Lang ließ sie mich nicht zappeln. ‚Das wissen wir beide, Peter. Akuji bedeutet übrigens ‚tot und erwacht'. Passend, nicht?'
Für einige wenige Sekunden spürte ich nichts als das Pochen meines eigenen Herzens. Es schlug regelmäßig und kräftig, aber es hatte einen Schlag ausgesetzt... Hinter diesen schlichten Sätzen hatte ich Akujis Stimme förmlich gehört, als stünde sie physisch vor mir, und darüber – ich war überrascht von meinen eigenen Gedanken – wäre ich sogar froh gewesen.

‚Eigentlich kamst du mir immer recht lebendig vor', tippte ich eilig zurück, ‚Aber schlafend habe ich dich nie gesehen, stimmt schon.' Nach kurzem Zögern, in dem ich abwesend auf meiner Unterlippe kauend auf den Bildschirm starrte, schickte ich noch ein ‚Und was jetzt?' hinterher.

Diesmal ließ sie sich etwas mehr Zeit mit ihrer Antwort, und mein Bildschirm hatte sich schon wieder abgedunkelt, als die Nachricht aufleuchtete. ‚Da hast du die Frage aller Fragen gestellt. Dafür hast du ein Talent, hm?' Zittrig atmete ich aus, hob meine Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. Ihr beißender Spott erreichte mich sogar über wer-weiß-wie-viele Kilometer Entfernung... ‚Jetzt werde ich ein wenig herumwandern. Wer weiß, vielleicht ende ich sogar mit einem legalen Job? Stark Industries soll ganz gut sein... Aber warte, da war so ein Problem mit Superhelden, die solche wie mich verfolgen', hatte Akuji geschrieben. Kein Wort davon, dass wir ihren Bruder getötet hatten, ihre letzte Familie. Und keine Anschuldigungen gegen mich, der ihr seltenes Vertrauen missbraucht hatte.

‚Freunde verfolgen sie nicht', tippte ich langsam, ‚Du bist frei.' War es nicht das gewesen, was sie immer gewollt hatte? Freiheit, die sie nicht von der Gesellschaft hatte bekommen können, aber von Ahadi auch nicht wirklich. Und dann, obwohl ich das Handy unbeweglich in der Hand gehalten hatte, wurde mein Bildschirm plötzlich schwarz. Als wäre es gehackt worden... Und ich wusste unwillkürlich, dass nicht einmal Mom es wieder starten könnte. Aber das war auch nicht nötig, denn Akujis Abschied hatte ich noch lesen können: ‚Auf Wiedersehen, Peter.'

Vielleicht war ich naiv, dass ich diesen Gruß wörtlich nahm. Verblendet, weil ich aus dem Frieden einer Mafiosa selbst die innere Kraft schöpfte, meinem Cousin zu verzeihen. Aber als ich aufstand und mein Zimmer verließ, bereit, mich in die Arme meiner Familie zu begeben, lächelte ich. Weil ich wusste, dass Freiheit und Sicherheit hier keine Gegensätze waren. Weil meine Schwester und meine Freundin und alle anderen nur darauf warteten, gemeinsam mit mir in die Zukunft zu sehen.

***

Natürlich musste dieses Kapitel ein kitschiges Ende haben. Immerhin ist es das letzte aus Hunters Sicht. Und irgendwie ist doch alles gut geworden, oder?😉
Und ja, ich weiß, ich bin zwei Tage zu früh dran. Aber ich komme Dienstag und Mittwoch ein wenig in Zeitnot, da konnte ich euch das Ende doch nicht vorenthalten!

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