Hunter ~ Fensterbank

Akuji hatte nicht gelogen, als sie mir damals eröffnet hatte, dass Mort ein Frühaufsteher war.
Es war zwar schon hell draußen, aber die Sonnenstrahlen hatten unser höhergelegenes Fenster noch nicht erreicht, als er in den Schlafraum gepoltert kam und mich entschieden hochscheuchte. Ich hatte nicht nur gefühlt kaum eine Stunde geschlafen...

Verschlafen setzte ich mich auf und presste mir kurz die Handballen in die Augen, die ich kaum offenhalten konnte. Fast blind griff ich nach meiner Brille und versuchte dann verzweifelt, Mort in der Mitte des Zimmers meine Aufmerksamkeit zu schenken. Der wurde gerade von Luke angeknurrt, ignorierte das aber und setzte sich umständlich auf die leere Matratze, die für den Fisch reserviert war, falls er seinen verwöhnten Arsch mal über Nacht hierherbringen sollte.

Ich zuckte zusammen, als die Tür abermals aufgerissen wurde und Akuji hereinstolzierte – Sierra im Schlepptau. Ich biss mir unwillkürlich auf die Unterlippe, als die Brünette zögernd im Eingang stehenblieb. Vorhin, als ich ihre Tasche noch auf ihr Einzelzimmer getragen hatte – nicht mehr als eine Abstellkammer mit Klappbett –, hatten wir uns kurz unterhalten. Wenn man denn kurze Smalltalk-Sätze als Gespräch betrachten könnte...
Doch obwohl unser Austausch nur wenige Minuten gedauert hatte, waren mir mehrere Fehler unterlaufen. Nicht nur, dass ich einmal automatisch die imaginäre Uhr an meinem Handgelenk kontrolliert hatte – die Hunter zwar ständig trug, Peter Johnson aber nicht –, es war schlimmer gekommen: Ich hatte Sierra mit ihrem Namen angesprochen. Mort hatte sie mir gestern aber nicht vorgestellt...
Mir blieb die Hoffnung, dass sie es so gewohnt war, Sierra genannt zu werden, dass sie nichts bemerkt hatte.

Das Gravierendste an der Sache war immer noch der Ärger über mich selbst...
Frustriert ließ ich den Hinterkopf gegen die Wand sinken, deren Kühle meine Kopfschmerzen etwas senkte. Akuji ließ sich abwesend in ihr Handy vertieft neben mich fallen, Sierra dagegen durchquerte das Zimmer und setzte sich zu Ashe in die Fensterbank. Ich hob erstaunt meine Augenbrauen, als Luke ihr so etwas wie ein Lächeln schenkte, und verengte meine Augen.
„Tja, Lukey ist nicht immer ein Griesgram." Meine Verblüffung wuchs, als diese leisen Worte doch tatsächlich von Akuji kamen – die sich von ihrem Smartphone gelöst hatte und meinem Blick gefolgt war.

„Das schockt mich jetzt weniger als der Fakt, dass du auch ohne Bildschirm vor dir atmen kannst", gab ich grinsend zurück, da sie sogar so weit gegangen war, ihr Handy in der schwarzen Hoodietasche versinken zu lassen.
„Na, wenn die Außenwelt interessant genug ist..." Akuji verzog ihre blassen Lippen zu einem halben Grinsen, und ihr Zwinkern verriet mir eindeutig, dass sie damit nicht Mort meinte.
Der war davon aber weniger begeistert: „He, jetzt haltet mal den Rand und hört mir zu!" In seiner hohen Stimme schwang vielleicht nicht sehr viel Autorität mit, aber seine dichten, jetzt wütend zusammengezogenen Augenbrauen verrieten seine höhere Stellung.
Ich hatte ihm tatsächlich meine Aufmerksamkeit zugewandt, aber von Akuji konnte man das nicht gerade behaupten...

„Du gibst mir keine Befehle." Sie schnalzte abwertend mit ihrer Zunge, „Aber ich bin gewillt, dir trotzdem meine wertvolle Zeit zu schenken, wenn du jetzt endlich Mal in die Pötte kommst."
Ohne, dass Mort es mitbekam, warf ich ihr einen amüsiert funkelnden Blick zu. Die Schwarzhaarige grinste locker zurück, sich ihrer Macht hier durchaus bewusst – sogar Ahadi und Uru schienen ihr blind zu vertrauen, mir war nur noch nicht ganz klar, wieso. Nach meiner Schätzung war sie jünger als ich, aber anscheinend schon jahrelang bei den Geweihten.

„Wir müssen für Übermorgen planen", erklärte Mort jetzt weiter, „Taka kommt und darauf müssen wir uns vorbereiten."
Bis auf ein erneutes Hochziehen meiner Augenbrauen gab ich dazu keine Reaktion ab, aber die Geschwister gegenüber von mir schienen diesen Namen zu fürchten. Luke senkte seine Hände auf den Boden und zog die Füße an, als wäre er jederzeit bereit, aufzuspringen. Und Ashe wurde noch blasser als ohnehin schon, ihr gehetzter Blick legte sich auf die Tür. Sierra beugte sich leicht vor und nahm ihre feingliedrige Hand, ihr leise etwas zumurmelnd.

Nur Akuji neben mir beließ es dabei, die Augen du verdrehen. Das war auch der Grund, weshalb ich meine vorsichtige Frage wagte: „Wer genau ist Taka?"
Prompt lagen alle Blicke auf mir, aber Mort ließ sich zu einer sofortigen Antwort herab. „Er selbst ist nicht das Problem – er ist in unserem Alter und ist eine Art... Bote zu einer Art... verbündeten Clan." Unwillkürlich spannten sich meine Muskeln an, aber diesmal schaffte ich es, mich zusammenzureißen. Das waren definitiv zu viele Pausen und Umschreibungen, als dass nicht mehr dahinterstecken würde. „Das Problem ist", machte Mort jetzt so düster weiter, dass sogar seine Stimme tief wirkte, „dass er Urus Liebling ist."

Meine Augen lagen längst nicht mehr auf ihm, sondern auf den beiden Mädchen auf der Fensterbank. Ashe schauderte sichtlich, und auch Sierra zog jetzt ihre Füße an. Nicht zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass Uru mehr gefürchtet wurde als Ahadi... Nun, dessen Liebling neben mir zeigte sich noch immer nicht sehr beeindruckt.

„Ahadi wird den Nachwuchs beim Essen zusammenrufen", meinte sie gelangweilt, ihre abgekauten Fingernägel betrachtend, „Ashe und Luke, den Rookie..."
Das waren mir so langsam genug Überraschungen für einen Tag. Ein Mittagessen mit den Führern des Mafiaclans? Das wurde ja immer besser.
Wenigstens hatte ich mich wieder vollständig unter Kontrolle und zuckte nicht einmal mit der Wimper – ganz im Gegensatz zu Luke, der ein animalisches Knurren losließ. Akuji ignorierte ihn, und auch die anderen beiden Mädels gaben kein Zeichen von sich.

Mort aber verschränkte seine massigen Arme: „Sierra sollte sich nicht blicken lassen. Taka wird sie nicht akzeptieren, und dann geraten womöglich noch Uru und die Isobuta wieder aneinander." Als Morts Stimme wieder höher rutschte und fast ängstlich klang, hatte Sierra zumindest den Anstand, beschämt zu wirken und sich hinter einem Schleier aus Locken zu verstecken. Ich sah trotzdem deutlich, wie erleichtert sie war, dem ominösen Taka nicht begegnen zu müssen. In diesem Moment hätte ich gern mit ihr getauscht.

„Es ist zu riskant, das Mädchen allein hierzulassen." Ich wandte mich erstaunt Akuji zu, als sie diese Worte noch kälter als sonst ausstieß. „Mort, du bleibst bei ihr." Sierra mied den Blick der Schwarzhaarigen, aber der genannte Teenager verzog das Gesicht. „Ein Essen mit Ahadi wäre meine Chance, mir endlich einen Namen zu machen."
„Das wäre es wohl." Ein spöttisches Lächeln tanzte um Akujis Mundwinkel, und Mort senkte tatsächlich seinen Kopf. Mit einem triumphierenden Funkeln in den Augen wandte sich die Schwarzhaarige mir zu, und ich zuckte grinsend mit einer Schulter: „Ich meine, verdenken kann ich's ihm nicht, ich hab' auch Angst vor dir."
Aus Akujis Mund brach eines der seltenen, ehrlichen Lachen hervor, die so seltsam rau klangen, weil sie ihre Stimmbänder in der Hinsicht kaum nutzte. Doch es war nicht das elektrisch blaue Blitzen zu meiner Rechten, das ich auffing, als ich meinen Kopf hob, sondern ein nachdenklicher Blick aus rehbraunen Augen...

***

Oben auf dem Bild findet ihr übrigens Luke.
Wie sich vielleicht schon erahnen lässt, kommt etwas Großes auf die Geweihten zu. Und auf die Watchers dadurch natürlich auch... ich bin gespannt, was ihr dazu sagen werdet!😉

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