Hunter ~ Eichentisch
Es war kalt in den Haupthallen der Geweihten.
Die dunklen Gewölbe waren ein extremer Kontrast zum Sonnenlicht draußen, das ich gerade erst verlassen hatte. Ich war selbst erstaunt, dass man mich tagsüber aus dem Nebengebäude des Bahnhofs, das für die neueren Rekruten vorgesehen war, herausgelassen hatte – natürlich nur mit Akuji an meiner Seite. Die Schwarzhaarige hatte mich weggeführt vom Haupthaus und dem zweiten Nebengebäude, das als Lager und Trainingsplatz diente. Unser Ziel war der größte Gebäudekomplex hier, drei ehemalige Waggonhallen, die durch Zugtunnel miteinander verbunden waren. Sie lagen am weitesten weg von den Bahnschienen, und in ihrem Rücken fing ein keiner Nadelwald an, aber ein vereinzeltes Gleis verband die Hallen mit den Transportwegen.
Die beiden hinteren Bauwerke schienen die Quartiere für den Großteil der Geweihten zu beinhalten, und das vordere war wohl für Versammlungen und Treffen vorgesehen – denn Akuji hatte ohne zu zögern die Metalltür abgestoßen, die in der hohen Wand verschwindend klein wirkte. Nun eilten wir also durch die düsteren Gänge, und meine Sinne waren bis zum Zerreißen gespannt – wenn Nia irgendwo hier war, dann in einem dieser Gebäude. Sie musste einfach.
Trotz der fast vollen Woche, die ich jetzt hier verbracht hatte, waren wir unserem Ziel bisher kaum nähergekommen. Mittlerweile fragte ich mich, ob es einfacher gewesen wäre, einfach in einer Nacht- und Nebelaktion das Gelände auf den Kopf zu stellen. Zwar vertraute Akuji mir immer mehr, aber auf diese langsamen, schleichenden Methoden gaben den Geweihten genug Zeit, Nia zu verletzen... Und ich musste mich immer wieder zusammenreißen, nicht auf eigene Faust nach ihr zu suchen.
Die Zweifel an unserem Weg halfen dabei nicht sonderlich. Aber letztes Mal hatten es die Avengers selbst nicht geschafft, Ahadi und Uru zu töten, und solang wir den Grund dafür nicht kannten, waren die Risiken einfach zu hoch. Ich hatte Uru bereits getroffen, und selbst wenn sie angsteinflößend war, wirkte sie nicht übermächtig – keine Bedrohung für das stärkste Team der Welt. Eigentlich.
Von Mom wusste ich, dass die Geweihten nach MJs Tod wie vom Erdboden verschluckt gewesen waren. Ihr Lager war unauffindbar, weil viel zu viele Spuren sie an die entlegensten Gebiete New Yorks geführt hatten, und nicht einmal in Zusammenarbeit hatten Gramps, Mom, Morgan, Bruce und Shuri sie finden können. Und nun war ich hier, im Inneren dieses unaufspürbaren Lagers, und es hatte sich mir bisher niemand entgegengestellt.
Das alles schrie nach falsch.
Ein Rucken an meinem Handgelenk riss mich aus meinen Gedanken, und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Akuji zu, die mich durch einen riesigen Raum gezogen hatte.
„Der Versammlungssaal", erklärte sie auf meinen fragenden Blick hin knapp und legte mit funkelnden Augen ihren Kopf leicht schief. „Auch wenn sich niemand hier drin versammelt. Unser Ziel liegt dort drüben." Sie führte mich nach rechts, auf einen Nebenraum des Saals zu, durch dessen offene Tür ich eine Esstafel erkennen konnte.
Akuji hatte mit ihren blassen Fingern mein Handgelenk umklammert, aber anders als bei Sierra stieg von der Stelle nur noch weitere Kälte auf. Kein Wunder, die Schwarzhaarige sah immer so aus, als würde sie gleich erfrieren, das aber gar nicht mitbekommen.
Ich zwang mich, meinen Fokus jetzt ausschließlich auf die bevorstehende Versammlung zu richten, denn Akuji und ich waren beinahe die Letzten, die erschienen. Am schweren Eichentisch, der nur einen Gang von etwa einem Meter Breite zu jeder Wand übrigließ, hatten Ashe und Luke bereits platzgenommen. Sie saßen gegenüber von der Tür, und Ashe schien sich noch unwohler zu fühlen als ohnehin schon – kein Wunder, zwischen ihr und dem Anführer der Geweihten war zwar ein Platz frei, aber der war bisher unbesetzt. Ahadi thronte an der Stirnseite linkerhand, und sein Anblick war... überraschend.
Er war kleiner, als erwartet, und komplett in dunkle, kugelsichere Klamotten gekleidet. Sein hellhäutiges Gesicht war umrahmt von schwarzen Haaren, die ihm bis auf die Schultern fielen, aber mit leichten Wellen ungewöhnlich voluminös wirkten. Doch ansonsten wirkte Ahadi drahtig, und sein schmales Gesicht war ausgemergelt bis auf die Hakennase, die deutlich hervorstach. Irgendwie erinnerte er mich ein wenig an Zed von Police Academy 2...
Doch er schien weitaus realer und scharfsinniger als der fiktive Irre. „Akuji, meine Liebe..." Seine Stimme war kalt und bedrohlich, und irgendwie sprach er die Worte so hart aus, dass sie scharf wirkten wie Messerschneiden. Trotzdem funkelten seine hellen Augen aufmerksam, als er auf den Platz gegenüber von ihm deutete, mich dabei völlig ignorierend.
„Ahadi." Ich war überrascht, als dieses eine Wort so locker und leicht von Akuji kam, als wäre sie in familiärer Atmosphäre. Sie besetzte selbstbewusst den Platz an der rechten Stirnseite und wies mir den Posten links neben ihr zu. Vorsichtig zog ich den Stuhl zurück, der aus demselben massiven Holz war wie der Tisch und dessen Sitzfläche von schwarzem Leder bedeckt war. Nachdem ich mich möglichst lautlos gesetzt hatte, glitt mein Blick wieder zu Ahadi, der jedoch stumm die Tür hinter mir betrachtete und sich nicht von der allgemeinen Aufmerksamkeit stören ließ. Denn auch Luke hatte die Augen fest auf ihn gerichtet, wohl unzufrieden damit, dass er Ashe nicht vor der Präsenz des Anführers schützen konnte.
Die beiden Stühle links neben mir, die mich von Ahadi trennten, waren leer – sollten das aber nicht lang bleiben.
Ich musste mich zwingen, nicht wie elektrisiert herumzufahren, als hinter mir Schritte ertönten. Mein Atem ging abgehackt, war aber nicht zu hören, als jemand so dicht hinter mir vorbeiging, dass ich einen warmen Lufthauch spürte. An der Parfümwolke, die sie umwaberte, erkannte ich sie, noch bevor sie sich elegant auf dem Stuhl zu Ahadis Rechten niedergelassen hatte – Uru.
Sie war schön, auf diese furchtbar gefährliche Art und Weise, obwohl sich ihr bodenlanges, rotes Kleid sicher nicht zum Kämpfen eignete. Vom Gold, das ihr von Hals, Ohren und Handgelenken blitzte, hätte man das Lösegeld für einen König zahlen können – beide ihrer Unterarme waren bedeckt von Dutzenden goldener Reifen.
Doch auch Uru beachtete keinen von uns, sondern schenkte ihr wohlwollendes Lächeln der wesentlich dunkleren Gestalt, die ihr gefolgt war und in den Schatten kaum erkennbar war. Ich hätte beinahe erleichtert aufgeatmet, als er den Stuhl zwischen Ashe und Ahadi ansteuerte, den Platz direkt neben mir vermeidend... doch dann stockte mein Atem.
Taka.
Das war Taka.
Natürlich war er das, er war der Einzige, der noch gefehlt hatte – aber ich hatte die Kontrolle über meine Gedanken verloren. Ich schaffte es kaum, meinen Körper unbewegt zu lassen, die Illusion aufrechtzuerhalten – es war, als hätte man mich in eiskaltes Wasser geworfen.
Und ich fror.
Ganz, wie Sierra es gesagt hatte, war Taka der eigentliche Name Scars.
Des schwarzen Löwen.
Black Lion...
Schräg gegenüber von mir, mit dem furchtbar vertrauten, blendend weißen Lächeln, glitt Chad raubtiergleich auf den freien Stuhl.
***
So... das war doch eigentlich zu erwarten, oder? Jetzt bleibt nur die Frage offen, was Chad da macht. Und, was viel wichtiger ist, warum.😉
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