2. Kapitel


Eine ganze Weile ließ ich mich von ihr durch die Gegend ziehen. Wir liefen schweigend nebeneinander, da ich früh gemerkt hatte, dass dieses sonderbare Mädchen nur dann antwortete, wenn sie es tatsächlich wollte. Und da sie anscheinend nicht den großen Drang verspürte mit mir zu reden, wusste ich nicht viel mehr über sie, als zu dem Zeitpunkt an dem wir losgegangen waren. 

Einmal hatten sich kurz unsere Arme berührt und mit einem Mal schien es so als könnte ich all ihre Empfindungen und Gedanken spüren. Diese waren jedoch so verwirrend, dass ich sie sofort zur Seite schob und mich weiter auf den Asphalt vor mir konzentrierte. 

Irgendwann übermannte mich das Gefühl der Unsicherheit. Also blieb ich stehen und zwang das Mädchen so mir in die Augen zu sehen. „Ich kenn dich doch gar nicht." Meine Stimme klang beinahe etwas vorwurfsvoll, allerdings konnte ich nicht genau sagen, wem ich hier etwas vorwerfen wollte. Das Mädchen blieb ganz ruhig. „Ich bin dir sehr viel ähnlicher als du denkst." Ich wartete gespannt auf etwas mehr,  was sie zu meiner Beruhigung sagen würde. Aber es kam nichts. Und so nahm ich weiter diese nagende Ungewissheit hin.

Immer wenn ich zu sehr in meinen Gedanken verschwand und mich ihr entziehen wollte, drückte sie leicht meine Hand und lächelte mich an. Und das war es. Alles was ich brauchte. Dieses Lächeln schaffte es, dass ich wieder ohne jeglichen Zweifel neben einer komplett Fremden her lief, ohne wirkliches Ziel und meine Gedanken ganz  bei dem Mädchen neben mir waren. 

Damals war mir nicht bewusst wie abhängig ich schon von ihr war. Von dem Gefühl das sie mir gab. Sie war nun mein Luftraum, der Ort an dem ich existierte. Der einzige Ort an dem ich atmen konnte. An ihrer Seite war alles ganz anders. Die Vögel sangen nicht mehr die zarten Lieder, die Bäume leuchteten nicht mehr in einem satten grün und die Menschen, die mir entgegen kamen waren nur Gesichter, von denen ich mir nicht die Mühe machte sie zu personalisieren. Sie waren einfach wandelnde Gestalten, ohne Interesse für mich. 

Als ich wieder einmal mitten auf der Straße stehen geblieben war, zog das Mädchen beinahe genervt eine Augenbraue in die Höhe. Ich schluckte schwer und senkte unweigerlich den Blick. „Wie kann es sein, dass ich das Gefühl habe dich schon Jahre lang zu kennen, wenn ich dich heute das erste Mal gesehen habe? Wie ist das nur möglich?" Das Mädchen lachte bitter. „Du hast mich heute nicht das erste Mal gesehen. Wir haben uns schon früher getroffen, nur hast du mich nie als wichtig genug angesehen um mich in deinen Erinnerungen zu behalten. Doch jetzt hatte ich das Gefühl es wird Zeit, dass wir uns dein Leben teilen." Angestrengt suchte ich in meinen Erinnerungen nach ihrem Gesicht. Umso mehr ich bohrte, desto mehr kam ich zu der Erkenntnis, dass ich sie tatsächlich schon ein paar Mal gesehen, nur eben nie wahrgenommen hatte. Denn es liegt ein großer Unterschied zwischen Sehen und Wahrnehmen. Es ist der Wille um das Bewusstsein. „So, da wir das nun geklärt haben." Das Mädchen näherte sich mir und beugte sich leicht vor. Kurz vor meinem Ohr hielt sie mit ihrem Gesicht inne. Ich konnte die Kälte die von ihr aus ging förmlich spüren. 

„Bring mich nach Hause"  flüsterte sie sanft, fast hypnotisch und ließ sich von mir leiten.

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