14
Marten schläft in der Nacht mehr als schlecht. Immer wieder gehen ihm die Worte von Ann durch den Kopf. Danke für die Zerstreuung. Klar, er ist kein guter Kerl und Ann tut sicher gut daran, ihn nicht noch näher in ihr Leben zu lassen. Aber ein wenig mehr als Zerstreuung ist er doch schon wert, oder?
Als die ersten Sonnenstrahlen durch sein Fenster dringen, steht er, so vorsichtig er kann, auf, zieht die Decke über Anns nackten Körper. Marten braucht dringend einen Kaffee und eine Zigarette.
Doch er kommt nicht bis in die Küche, denn gerade, als er die Schlafzimmertür hinter sich zu zieht, klingelt es an der Tür. Das Läuten ist nicht besonders laut, dennoch hofft Marten, dass die junge Frau in seinem Bett nicht unsanft geweckt wurde.
Er wirft einen Blick durch den Spion, seufzt resigniert auf, als er die Tür öffnet.
"Was willst du hier?", will er wenig freundlich von der Besucherin wissen.
"Die Schlüssel zu meiner Wohnung. Dir übrigens auch einen schönen guten Morgen." Die große Frau, durch ihre Highheels ist sie ebenso groß wie Marten selbst, schiebt sich an ihm vorbei in die Wohnung, geht geradewegs in die Küche.
"Bist wohl gerade erst aufgestanden", stellt sie fest, als sie eine leere Kaffeekanne aus der Maschine zieht. "Gut, dann ohne Kaffee. Wenn meine Mieterin herausbekommen, dass du einen Schlüssel zu ihrer Wohnung hast, wird sie sicher den Vertrag kündigen."
"Es ist nicht deine Wohnung", schnaubt Marten. Die Lust nach Kaffee ist ihm vergangen. Allein ihr auftauchen hier, lässt in ihm alles nach einem Bier schreien. Wie konnte er sie nur je nüchtern ertragen?
"Stimmt, es ist unsere, aber du überlässt mir die gesamte Arbeit und kassierst nur fröhlich deinen Anteil." Sie verschränkt die Arme vor ihren falschen Möpsen und starrt ihn an. Marten ist froh, dass er nicht nackt aus dem Schlafzimmer gekommen ist, sondern seine Jogginghose übergezogen hat. Sie hätte einen falschen Eindruck bekommen. Und sie ist die letzte, die überhaupt noch einen Eindruck von ihm haben soll.
"Sei ein bisschen leiser, ich habe Besuch", brummt er, holt einen Schlüsselbund aus einer Schublade und sucht. "Hier", hält er der Brünetten schließlich einen Schlüssel hin.
"Geht doch", sagt sie mit einem triumphierenden Grinsen. Marten will sie verabschieden, doch ehe er etwas sagen kann, hört er, wie die Schlafzimmertür geöffnet wurde.
"Guten Morgen", sagt Ann, erblickt verzögert die andere Frau. Marten kann nur stumm da stehen. Insgeheim hofft er, dass keine der Frauen eine Szene machen wird.
Da er stumm bleibt, geht Ann auf die andere zu und streckt die Hand aus.
"Hi, ich bin Ann", stellt sie sich vor.
"Alessia", erwidert die Brünette. "Hoffentlich sorgt er wenigstens für deine 15 Minuten Ruhm, wenn du schon die Beine für ihn breit machst."
"Verpiss dich, Lessa!" Martens Gesicht verzieht sich zu einer strengen Miene, er schiebt Alessia zur Wohnungstür und anschließend hinaus.
Er kann kaum glauben, was sie zu Ann gesagt hat. Noch viel weniger zu glauben ist, dass sie nicht ohne Grund eine solche Aussage trifft. Alessia kennt ihn nur zu gut. Leider.
Kurz atmet Marten tief durch, nachdem die Wohnungstür wieder geschlossen ist, ehe er zu Ann zurück in die Küche geht. Sie hat sein Shirt an und als sie sich nach den Tassen in einem der türlosen Hängeschränke reckt, bemerkt er, dass sie kein Höschen trägt.
Sofort regt sich wieder etwas in ihm, doch jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um an Sex zu denken.
"Nette Aussicht", kommentiert er dennoch ihren nackten Hintern.
"Ich habe meine Unterwäsche nicht gefunden und dein Shirt ist eigentlich lang genug." Ann zuckt nur mit den Schultern, was Marten verwirrt. Sie scheint nicht einen Gedanken, geschweige denn eine merkwürdiges Gefühl wegen der vergangenen Nacht zu haben. "Gott, ich brauche dringend Kaffee", stöhnt Ann auf, woraufhin Marten nun doch hart wird.
"Such deine Wäsche, ich mach Kaffee."
Ann nickt ihm zu, verschwindet wieder im Schlafzimmer und summt irgendein Disney Lied. Er würde lügen, wenn er das abstoßend finden würde. Auch wenn er es sollte.
Während er Kaffee kocht, hört er Ann singen, immer lauter und zugegebenermaßen sehr gut.
Es dauert eine Weile, bis Ann die Küche wieder betritt, diesmal vollständig mit ihrer eigenen Kleidung.
"Ich habe dein Shirt auf das Bett gelegt. Keine Ahnung, wo du einen Wäschekorb hast", lacht sie und nimmt die entgegengehaltene Tasse dankend sn. "Ich hätte dich nicht für einen Filterkaffee-Typ gehalten", schmunzelt sie weiter. Ann beobachtet Martens Reaktion ganz genau.
Als sie vorhin aus seinem Schlafzimmer kam, hatte er schlechte Laune, was ohne Zweifel mit Alessia zu tun hatte. Kurz darauf war das gleiche Feuer wie in der vergangenen Nacht in seinen Augen zu sehen. Jetzt scheint er auf irgendetwas zu warten.
"Ich bin eher oldschool", antwortet er knapp und zündet sich eine Zigarette an. Ann nickt, kennt diese Einsilbigkeit bereits von ihm. Meist ein Zeichen dafür, dass Marten über etwas brütet. Zu gern wüsste sie, was ihm durch den Kopf geht und ob es etwas mit Alessia zu tun hat.
"Worüber denkst du nach?", fragt sie schließlich und nimmt die Zigarette aus seinen Fingern, ehe er ein weiteres Mal daran ziehen kann. Schulterzuckend und scheinbar ungerührt nimmt er eine neue aus der Schachtel. "Komm schon, Marten", bohrt sie nach. "Du ziehst immer nur so ein Gesicht, wenn dich was beschäftigt." Geduldig wartet Ann auf eine Reaktion.
Seufzend ascht Marten in einen Blumentopf, der auf dem kleinen Tisch am Fenster steht. Ann und er sitzen nebeneinander, anstatt gegenüber, was merkwürdig vertraut wirkt.
"Ich hab ehrlich gesagt darauf gewartet, dass du dich über Lessas Art auslassen würdest", sagt er, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und legt einen Arm auf Anns Rückenlehne. Auch sie lehnt sich an, hofft, seine Fingerspitzen würden ihren Rücken oder Nacken streichen.
Sie wird nicht enttäuscht, denn Marten greift, als wäre es völlig normal für sie beide, in ihren Nacken und lässt die Finger kreisen.
"Über ihre Art?" Ann tut, als würde sie einen Moment überlegen. Der Kommentar hat ihr durchaus missfallen, allerdings ist sie überzeugt, dass Alessia und Marten einst ein Paar waren. "Nein, damit kann ich ungehen", sagt sie ehrlich. "Sie wirkte eher eifersüchtig auf mich. Wie lange ist es zwischen euch aus?" Sie setzt alles auf eine Karte. Entweder Marten antwortet ihr oder aber er macht dicht. Die Chancen stehen fifty-fifty.
"Wie kommst du darauf, da wäre etwas gelaufen?"
"War es nicht so?" Marten muss grinsen. Ann ist nicht dumm, das wusste er schon, und offensichtlich ist sie aufmerksam. Er überlegt, was er ihr erzählen soll, wie viel der Wahrheit sie wohl ertragen könnte. Doch bevor er auch nur einen Satz sagen kann, ergreift die kesse Blondine wieder das Wort. "Eigentlich geht es mich ja auch gar nichts an. Ich würde nur gern wissen, ob es so frisch vorbei ist, dass ich mit einer Eifersuchtsszene zu rechnen habe. Ich meine, von meiner Seite aus musst du mit keinerlei Verpflichtungen oder Ansprüchen rechnen. Die Nacht war der Oberknaller und ich bin nicht abgeneigt, es gegebenenfalls irgendwann zu wiederholen. Allerdings sind wir Geschäftspartner und sollten auf die Professionalität achten. An einer Beziehung oder sonstigem haben wir sicher beide kein Interesse."
Marten ist sprachlos. Würde er gerade in die Friendzone abgeschoben? Sex ja, aber nur wenn es das Geschäft nicht gefährdet? Er hätte ja mit vielem gerechnet. Damit jedoch nicht.
"Du hast nichts zu befürchten", schmunzelt er, zieht Ann an sich und drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel. "Ich muss gleich los, soll ich dich nach Hause fahren?"
Ann nickt, froh, nicht nach Hause laufen zu müssen.
Eine halbe Stunde später schlägt sie die Beifahrertür des schwarzen Mercedes zu, winkt zwinkernd und geht die letzten Meter nach Hause.
Die Treppen fallen ihr schwerer als sonst, die Oberschenkel ziehen ein wenig. Diese Nacht würde sie so schnell nicht vergessen. Es war um so viel besser als in jedem bisher dagewesenen Traum.
Unter anderen Umständen würde sie darauf hoffen, Marten möge sich in sie verlieben. Unter normalen Umständen würde sie von einer gemeinsamen Zukunft träumen.
Doch das ist alles nicht eingeplant. Sie will sich nicht zu einhundert Prozent auf ihn oder einen anderen Mann einlassen. Zu tief sitzen die Wunden. Zu schwer wurde ihr Vertrauen in Männer erschüttert.
Ann geht als erstes duschen, zieht sich danach eine Hotpants und ein Tanktop an, ehe sie schließlich mit ihrem Handy und einer Schachtel Zigarette auf den Balkon tritt. Das Wetter ist herrlich, lädt eigentlich schon dazu ein, an den See zu gehen.
Doch ganz allein traut Ann sich, bei allem Selbstbewusstsein, nicht. Und Marten oder einen seiner Freunde will sie auch nicht anrufen.
Einem Impuls folgend, öffnet Ann die Startseite von Google, hält jedoch inne. Was soll sie suchen? Von der Frau kennt sie lediglich den Vornamen. Bevor sie noch weiter nachdenken kann, erscheint Jess Bild auf dem Display.
"Hey", grüßt Ann ihre beste Freundin. Es tut gut, nach dem gestrigen Abend ihre Stimme zu hören. Wie sollte sie nur je allein aus diesen Tiefs kommen?
"Hey Süße!" Jess schreit in den Hörer, Ann kann sie vor lauter Hintergrundgeräuschen kaum verstehen.
"Wo bist du?"
"In Hamburg!" Wieder ist lautes Getöse im Hintergrund zu hören.
"Bitte? Ich habe gerade verstanden, du wärst in Hamburg!?" Anns Puls wird schneller. Kann es wirklich sein? Ist ihre beste Freundin ganz in der Nähe?
"Ja, du hast richtig verstanden. Nur leider will kein einziger diese blöden Taxifahrer nach Itzehoe", flucht Jess. "Ich wollte dich überraschen und nun musst du mich wohl oder übel abholen." Wieder flucht sie wie ein Rohrspatz. Ann schmunzelt.
"Du weißt schon, dass ich kein Auto habe?"
"Ja, aber irgendwie müssen wir das jetzt packen."
Einige Minuten überlegen die Freundinnen miteinander, diskutieren, welche Idee am schnellsten umzusetzen ist.
"Bitte, wenn du dich stur stellst, dann kaufe ich mir eben ein Ticket und fahre wieder nach Berlin!"
"Ist ja gut, ich meld mich gleich wieder." Resigniert beendet Ann das Gespräch. Sie wollte doch keinen der Jungs heute anrufen. Nun ist sie es, die einen Fluch nach dem anderen ausruft.
Wer würde ihr am ehesten helfen? Vermutlich Jo. Ja, ganz sicher.
Bevor sie es sich anders überlegen kann, sucht Ann in ihren Kontakten nach der Nummer und drückt den grünen Hörer.
Doch es springt nur die Mailbox an. Erneut tief seufzend wählt sie die nächste Nummer.
"Hey Ann", trällert Lisa. "Wir gehen gleich alle schwimmen und danach was essen. Kommst du mit?"
"Danke, aber ich wollte eigentlich fragen, ob du zufällig jemanden weißt, der mir ein Auto leihen kann?! Ich muss dringend nach Hamburg." Im Hintergrund nimmt Ann Geraschel und verschiedene Stimmen wahr, kann aber nicht einordnen, wer alles um Lisa herum ist.
"Meine Güte, ist hier was los", schnaubt Lisa lachend. "Sei in zehn Minuten unten."
Nachdem Lisa aufgelegt hat, packt Ann eine kleine Tasche und geht nach unten auf den Parkplatz vor ihrem Haus. Sie ist froh, dass Lisa ihr unter die Arme greift. Vielleicht schaffen die beiden es, wirklich gute Freunde zu werden. Ann würde es sich wünschen, denn sie merkt jeden Tag mehr, wie einsam sie hier im Norden doch ist.
Neulich beim Einkaufen ist ihr aufgefallen, dass sie, wenn die Leute schnell sprechen, wirklich Probleme hat, andere zu verstehen. Der Dialekt ist einfach so ganz anders, als alles, was sie kennt.
Nach wenigen Minuten steht Ann bereits unten, immer im Whatsapp Kontakt mit Jess. Sie hat ihre Freundin angewiesen, in einen McDonalds in der Nähe des Bahnhofs zu gehen, damit sie keines Falls aneinander vorbeigehen. Denn das ist ihnen in der Vergangenheit bereits öfter passiert. Es ist ja nicht so, als würden sie sich ihr Leben lang kennen.
Ann hält nach dem SUV, den Lisa fährt, ausschau, allerdings fährt ein ihr bekannter schwarzer Mercedes zur vereinbarten Zeit vor. John lässt das Beifahrerfenster hinunter und grinst Ann an.
"Sie haben ein Taxi bestellt?"
"Mehr oder weniger", nuschelt Ann und steigt hinter Martens Cousin ein. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn so schnell wieder zu sehen. Insgeheim war sie froh, dass ein wenig Zeit vergehen würde. Wenngleich auch nur rund vierundzwanzig Stunden.
Sie schnallt sich an und sucht in ihrer Tasche nach Zigaretten.
"Verdammt!"
"Was ist los?" John dreht sich nach hinten, während Marten durch den Rückspiegel zu Ann schaut.
"Nichts weiter", winkt sie ab. "Können wir kurz am Kiosk oder an einer Tankstelle halten? Ich habe meine Zigaretten vergessen."
John öffnet das Handschuhfach, reicht kurz danach etwas nach hinten. Ann staunt im ersten Moment nicht schlecht, als sie eine versiegelte Schachtel ihrer Marke in den Händen hält.
"Danke."
"Oh dank nicht mir", grinst John dreckig. "Marten hat hier vorne eine ganz Stange der Marke." Er zwinkert Ann zu, woraufhin Marten ihm mit der Faust auf den Oberschenkel haut. Doch John zuckt nur die Schultern und lacht.
Eine Weile fahren die drei schweigend, Martens und Anns Blicke treffen sich immer wieder im Rückspiegel. Mehrfach überlegt die Blondine, ob Marten seinem Cousin wohl von der gemeinsamen Nacht erzählt hat.
Und wenn? Sie hat nicht das Gefühl, etwas falsches getan zu haben. Sie sind beide ungebunden, also warum sollten sie keinen Spaß miteinander haben?
"Was willst du eigentlich in Hamburg?", bricht Marten das Schweigen, als sie auf die Autobahn auffahren. "Und wohin genau müssen wir?"
"Jess sitzt bei McDonalds in der Nähe vom Bahnhof", erklärt Ann. Sie sieht, dass Martens Blick sich verändert, als wolle er etwas sagen. Allerdings schweigt er, nur und fokussiert sich wieder auf den Verkehr.
Es kann viele Gründe haben, warum Anns Freundin plötzlich auftaucht. Doch Marten ist sich ziemlich sicher, dass es mit Anns Zusammenbruch zu tun hat. Selbst ihn hätte nichts davon abhalten können, direkt in den nächsten Zug zu springen.
Nur leider nimmt der Besuch ihm die Möglichkeit, in naher Zukunft über den Sex und Anns Zerstreuung mit eben dieser zu sprechen. Dabei gibt es da einiges, was er gern loswerden würde. Unter anderem, ob und wenn ja wann, sie die Zerstreuung wiederholen.
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