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"Wasch dir die Hände, Kai."

Unsere Seifenspender sind rot. Meine Mutter hat sie mit Leben befüllt. Sie sagt, sie bekäme es immer vom alten Mann mit den drei Köpfen, welcher morgens an die Tür klingelt. Es wäre noch viel zu früh, dass ich ihn hören könnte und wenn ich mich aus dem Bett rolle, sei er schon wieder weg - das erzählt sie mir zumindest.
Ich nicke dann immer ganz brav und frage nicht weiter nach. Doch manchmal, da stelle ich mir den Wecker früher und lausche an meiner Zimmertür. Ich lausche und kann die Kaffeemaschine hören, doch das Klingeln bleibt dann immer aus. Auch die Seifenspender werden an diesen Tagen nicht aufgefüllt.

Manchmal, da frage ich meine Mutter, wie dieser Mann denn aussähe, da ich ihn noch nie bei uns gesehen habe. Sie erklärt mir, dass es für ihn keine nähere Beschreibung gäbe. Er hat keine Augenfarbe, nur drei graue Gesichter mit feuerroten Haaren. Auch seine Lippen kann sie mit nicht schildern. Er redet nicht, behauptet sie.

Ich habe ihn oft versucht, zu malen. Mein Notizbuch ist mittlerweile voll von wirren Zeichnungen, von verzerrten Gestalten oder verschiedenen Nuancen von Rottönen. Ich habe mich die letzte Zeit wohl zu oft von ihm inspirieren lassen, meine Integrationslehrerin hat mich nun schärfer ins Visier genommen. Auf den Versuch, ihr vom Mann mit den drei Köpfen zu erzählen, runzelt sie immer die Stirn, bevor sie mir liebevoll über den Kopf tätschelt. "Er bringt meiner Mutter immer neue rote Seife." Ihr Gesicht scheint in diesen Momenten fahl, wenn sie mir ein Glas Wasser reicht und mich bittet, es vollkommen leer zu trinken. Sie denkt, ich sehe die Kapseln nicht, welche sie hinter meinen Rücken hineinwirft. Erst, wenn der Becher vollkommen leer ist, kann sie erleichtert aufatmen.
Für eine Zeit lang fühle ich mich dann völlig weggetreten. Wenn ich nach Hause komme, erscheint mir alles so grau und trist, die Kaffeemaschine läuft auch nicht mehr. Meine Mutter weiß auch nichts mehr vom Mann mit den drei Köpfen und unsere Seifenspender sind nicht mehr rot, sondern blau. Oft wasche ich mir deshalb drei Mal die Hände, bevor ich wirklich sicher bin, dass er eine andere Farbe angenommen hat.

Unsere Seifenspender sind blau.
Meine Mutter hat sie mit Tod befüllt. Sie sagt, sie bekäme es immer vom kleinen Pfadfinderkind mit der Zahnlücke und den Sommersprossen, welches abends mit seinen Abzeichen an unserer Tür klingelt. Meistens bezahle ich seine Ware mit dem Geld meiner Eltern. Auf die Frage, wann der Mann mit den drei Köpfen denn wiederkäme, antwortet sie nicht, stattdessen reicht sie mir wieder den Becher Wasser. Auch er ist blau, ich kann die Verwesung förmlich schmecken. Wenn die kobaltblaue Pille sich darin auflöst, muss ich es vollkommen austrinken. Für die Tabletten kommt nie jemand vorbei. Ich weiß nicht, wo meine Mutter sie kauft, doch ich weiß, dass sie nur mir unter das Essen gemischt werden. Und ich weiß auch, dass ich es eigentlich gar nicht wissen sollte.
Ich sollte nicht wissen, wie man die Kapseln heimlich unter dem Blumentopf schiebt, um sie abends im Klo hinunterzuspülen oder das Essen wieder ausspuckt und es in der Serviette versteckt.

Wenige Zeit später kann ich dann wieder die Kaffeemaschine hören. Meine Mutter singt leise vor sich hin, bevor es an unserer Tür klingelt. Wahrscheinlich ist der Mann wieder da, ich frage mich, ob er auf jedem Gesicht eine andere Emotion wiederspiegeln kann oder alles synchron verläuft. Zufrieden stelle ich auch fest, dass sich die Seifenspender wieder rot verfärben und die Möbel wieder an Farbe gewinnen. Meine Zeichnungen stapeln sich in diesen Momenten, ich male bunte Kreise auf allen Seiten, Gesichter von Menschen mit glühenden Pupillen oder Leopardenmuster.

Unsere Seifenspender sind blau. Meine Mutter hat mein Versteck gefunden und kontrolliert mich nun strenger. Ich finde nicht die passende Zeit mehr, die Pillen wieder auszuspucken. Nur noch in der Schule bin ich schnell genug, meine Lehrerin auszutricksen. Und wenn ich dann wieder von der Schule zurückkomme, freue ich mich über den Mann mit den drei Köpfen, welcher an unserem Tisch sitzt und Kekse isst. Auch ich will mich dazusetzen, doch greife vollkommen ins Leere. Vielleicht will er die Backwaren auch einfach nicht mit mir teilen.

Unsere Seifenspender sind blau. Der Mann mit den drei Köpfen hat unser Haus verlassen und gesagt, er wird nicht wieder kommen. Ich sei mittlerweile zu alt dafür, mit ihm Verstecken zu spielen.

Unsere Seifenspender sind blau.
Der Mann ist nicht wiedergekommen, auch nach Jahren hat er nicht mehr unsere Türschwelle übertreten.
Manchmal frage ich meine Mutter, wann er denn wiederkäme.
Sie antwortet mir nie, doch ich kann die Angst in ihrem Gesicht erkennen. Statt zu reden, verdeckt sie lieber die blauen Flecken auf ihrem Arm.
Sie erinnern mich an unsere Seifenspender.

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