Kapitel 4 - Winkel... was?
Dudley schlug die Augen auf. Ihm war schlecht. Nicht ganz so schlecht wie nach der Achterbahnfahrt an seinem 10. Geburtstag, trotzdem musste er sich einige Momente darauf konzentrieren, nicht umzufallen. Was war eben passiert?! Was hatte die Hexe mit ihm gemacht?
Er richtete seinen Blick nach vorne - und erschrak. Er war nicht mehr im Ligusterweg, sondern auf einer hellen, breiten Straße mit vielen Geschäften und noch mehr Menschen. "Willkommen in London", sagte McGonagall trocken. "Wir sind appariert. Geht es Ihnen gut?" Noch während Dudley darüber nachdachte, wie er am besten hier weg kommen könnte, packte Minerva McGonagall ihn am Arm und zog ihn mit den Worten "Kommen Sie mit" auf eine alt aussehende, schwarze und staubige Ladentür zu.
Dudley schluckte. Was war das? Er wollte da nicht rein. Doch zu spät, McGonagall hatte die Tür schon geöffnet und war in den Laden getreten.
Es war anders, als er gedacht hatte - aber mindestens genauso schräg. Dudley befand sich einem in gelb-orangenes Licht getauchten Raum, der an ein Wirtshaus erinnerte. Kreuz und quer standen Tische und - das erschreckte ihn zutiefst - Kerzen schwebten in zwei Metern Höhe, knapp unter der Decke. Die Wände schienen aus Holz zu sein und waren voll mit Bildern und Fotos. Er zuckte zusammen, als ihm Mann mit breitem Schnurrbart auf dem Bild, welches an der Wand in seiner Nähe hing, zuzwinkerte. Tatsächlich bewegten sich, zu Dudleys großem Entsetzen, so gut wie alle Personen auf den Bildern. Der Raum war voller Personen in dunklen Umhängen, die laut lachten oder ihre Köpfe zusammensteckten und dann - dann fiel es Dudley wie Schuppen von den Augen. Das waren Zauberer.
Hätte Dudley etwas gegessen, hätte er sich nun wahrscheinlich verschluckt. Noch nie hatte er so viele Zauberer an einem Ort gesehen - er kannte nur drei, wenn man Harry dazuzählte. McGonagall schien schon öfter hier gewesen zu sein. Sie ging auf einen Tresen zu und sprach einen dahinter stehenden, mittelgroßen Mann an. "Wir hätten gerne die Tagessuppe. Zwei Mal. Für den Jungen bitte Kürbssaft." Der Mann nickte. "Kommt sofort." McGonagall steuerte auf einen kleinen Tisch zu, der ungefähr in der Mitte des Raumes stand. Die beiden setzten sich hin, und Dudley fühlte sich ganz und gar nicht wohl.
"Dudley, wir befinden uns im Tropfenden Kessel - einem Gasthaus für Zauber und außerdem der Zugang zur Winkelgasse." Ein wenig überfordert schaute Dudley sie an. Sie bemerkte es und fügte hinzu: "Die Winkelgasse ist eine Art Einkaufsstraße für Zauberer, die Muggel - nichtmagische Menschen - nicht erreichen können."
Da Dudley keine Reaktion zeigte, sprach McGonagall weiter. "Nun, vielleicht wissen Sie ja, dass Zauberer mit der Hilfe von sogenannten Zauberstäben in der Lage sind, etwas... nun ja, zu zaubern. Diese Zauberstäbe werden beispielsweise auch in der Winkelgasse angeboten. Für Ihren Unterricht in Hogwarts brauchen Sie Lehrbücher - die gibt es in der Winkelgasse, genauso wie weiterer Unterrichtszubehör. Und natürlich noch viel mehr. Verstehen Sie, was ich meine?"
Dudley nickte langsam. Er hatte nicht gedacht, dass extra Geschäfte für Zauberer existierten, aber... irgendwie war das ja auch logisch, dass es sowas gab. Einige Zeit schwiegen beide und das Essen wurde an ihren Tisch gebracht. Die Suppenschüssel, die der Kellner vor Dudley abstellte, war gefüllt mit einer azurblauen Flüssigkeit, die nach Hühnersuppe schmeckte (Dudley war zu hungrig, um sich darüber zu wundern) und der Kürbissaft erinnerte ihn an eine gezuckerte Kartoffel in Saftform. Trotzdem schmeckte alles köstlich - und wesentlich besser als das Essen, dass es manchmal an seiner Schule gegeben hatte. An seiner Schule, in die er wahrscheinlich nie wieder zurück kehren würde. Ging das überhaupt? Konnte er einfach so seine Schule wechseln? Und - erst jetzt kam ihm dieser Gedanke - wieso hatte er seinen Brief ein Jahr nach Harry erhalten, wo er doch älter war als sein Cousin? Erschrocken unterbrach er seinen Gedankenstrom. Nein, nein, er würde nicht auf dieses komische Hogwarts gehen, das hatten ihm seine Eltern klar und deutlich gesagt! Es lag eine Verwechslung vor, man hatte ihn ganz einfach vertauscht. Er konnte doch nicht wirklich zu dieser Sippschaft gehören, die seine Eltern so anwiderte -
"Gibt... gibt es in Hogwarts auch so ein Essen?", fragte Dudley trotzdem vorsichtig, einfach, um sich sicher zu sein, obwohl er glaubte, dass McGonagall nicht darauf antworten konnte. Doch McGonagall nickte. "Manchmal. Meistens gibt es eher ... alles." "Woher wissen Sie das?"
Dudley hatte diese Frage nicht zurückhalten können. Woher wusste sie, welches Essen die Schüler von seiner zukünftigen Schule vorgesetzt bekamen? "Nun, ich bin stellvertretende Schulleiterin von Hogwarts und unterrichte Verwandlung", antwortete McGonagall trocken. "Habe ich das nicht erwähnt?"
Dudley verschluckte sich an seiner Suppe. Das war eine Lehrerin?! Eine Lehrerin die ihm half, persönliches Zeug zu kaufen, eine Lehrerin, die ihm in einem Wirtshaus Suppe gab?! Wenn er wirklich nach Hogwarts gehen würde, und wenn das dort irgendwie rauskam, wäre er ein Außenseiter, ein Looser oder sonst was... Was würden seine Mitschüler mit ihm anstellen, wenn sie neben schlagen auch noch zaubern konnten? Dudley schluckte, sagte aber nichts mehr. Niemand würde davon erfahren. Ganz sicher würde er, wie in seiner alten Schule, der Beliebteste sein - insofern, dass alle sich vor ihm fürchteten. Seine Eltern waren schließlich normale Menschen, damit konnte er angeben.
Als Dudley fertig gegessen hatte, stand McGonagall auf, bezahlte mit komisch aussehenden, silbernen Münzen und steuerte auf die Hintertür zu. Dudley folgte ihr. Beide standen nun in einem recht sauberen Hinterhof, der kaum größer war als Dudley Zimmer. Eine große Ziegelsteinmauer bildete die Abtrennung des Hofes.
Auf diese ging McGonagall jetzt zu. "Das ist der Zugang zur Winkelgasse. Man muss sich einfach nur auskennen." Zum ersten Mal seit er sie gesehen hatte, glich ihr Gesicht weniger einer versteinerten Grimasse und sah fast freundlich aus. Sie holte einen Zauberstab aus ihrer Tasche (Dudley zuckte kurz zurück) und tippte damit gegen unterschiedliche Steine der Mauer. Kurz darauf war ein Quietschen zu hören und die Mauer öffnete sich und bildete eine Art Tor.
Dudley war beeindruckt (er wusste nicht, ob auf gute oder auf schlechte Art und Weise). Denn nun stand er auf einer breiten, großen Straße - links und rechts waren Geschäfte und Stände und überall waren Menschen. Menschen mit bunten oder einfarbigen Umhängen, die kleine Kinder hinter sich her zogen, Jugendliche, die durch die Straße schlenderten, und Menschen, die in rekordverdächtiger Geschwindigkeit durch die Läden hetzten.
McGonagall holte einen Brief aus ihrer Tasche. Er sah genauso aus wie der, den die Eule vor wenigen Tagen geliefert hatte.
"Darin ist alles aufgezählt, was Sie für Hogwarts brauchen. Bücher, Kessel... alles Mögliche." Sie ging los und erwartete offensichtlich, dass Dudley ihr folgte. "Ihre Eltern haben mir ja schon das Geld für deine Sachen gegeben, trotzdem müssen wir noch schnell zu Gringotts, unserer Bank, um Pfund in Galleonen umzuwandeln." Sie deutete auf ein prächtiges, schneeweißes Gebäude und bewegte sich darauf zu. "Nun, Dudley, es gibt einmal Knuts. 28 davon machen einen Sickel aus und 17 davon sind eine Galleone." Dudley nickte, obwohl er nicht so richtig verstand, was McGonagall meinte.
Er verdrängte seine Überlegungen jedoch, denn sie traten nun durch das silberne Bronzetor der Bank. Die Halle, in der Dudley sich befand, war riesig, aus Marmor und wunderschön. Doch sein Staunen erstarb, als er den Blick auf einen langen Tresen richtete, hinter dem viele, merkwürdige Kreaturen saßen. Wie erstarrt sah er sie an. "Das sind Kobolde - und jetzt stell dich nicht so an", meinte McGonagall, während sie auf den Tresen zuging. Dudley hielt sich eher hinter ihr auf. Bei einem der Kobolde angekommen, sagte McGonagall: "Wir würden das Geld hier - Pfund - bitte in unsere Währung umrechnen lassen, bitte."
Der Kobold grinste hämisch, während er mit einer quietschenden Stimme fragte: "Und woher haben Sie das Muggelgeld?" "Mr. Dursley möchte seine Schulsachen kaufen." Der Kobold schien Dudley erst jetzt zu bemerken, was doch ein wenig ungewöhnlich war, da Dudley immer bemerkt - oder besser gesagt, beachtet - wurde. "Ah, ein Muggelstämmiger."
Mit diesen Worten gab er McGonagall einige Gold - und Silbermünzen, diese bedankte sich und beide verließen die Bank. Dudley hatte keine Ahnung, was Muggelstämmige waren, aber es konnte garantiert keine Beleidigung sein... oder? Dudley schaute sich nun etwas genauer in der Winkelgasse um. Die Läden hatten alle unterschiedliche Größen, Farben und - ja, sogar unterschiedliche Formen. Doch noch bevor Dudley sich irgendwie mehr in dieses Thema vertiefen konnte, sagte McGonagall: "Jetzt gehen Sie erstmal Umhänge kaufen, bei Madame Malkins. Ich muss nur nochmal kurz weg."
Sie zeigte auf ein kleines Geschäft gegenüber von Gringotts und rauschte in Richtung des Tropfenden Kessels davon. Verdattert blieb Dudley stehen, entschied sich aber nach einigen Augenblicken dafür, doch in dieses Geschäft... Madame Malkins... zu gehen. Die Ladenglocke klingelte, als er eintrat, und eine stämmige, junge Frau kam auf ihn zu. "Immer dieser Stress kurz vor Schuljahresbeginn!", rief sie und sagte an Dudley gewandt: "Hogwarts?" Als er vorsichtig nickte, sagte sie: "Gut, ich bin gleich bei dir, Schätzchen... ich muss nur noch etwas für diese reizende, junge Dame holen..."
Mit diesen Worten wuselte sich durch eine Tür in einen weiteren Raum. Erst jetzt fiel Dudley das rothaarige Mädchen auf, das etwas trug, das wie ein wenig wie ein fast fertiger Umhang aussah.
Sie nickte ihm zu. "Kommst du in die Erste oder in die Zweite Klassenstufe? Oder etwa schon in die Dritte?" Bevor Dudley sich etwas passendes einfallen lassen konnte, fügte sie hinzu: "Ach ja, ich bin übrigens Ginny Weasley. Baldige Erstklässlerin." Sie lächelte grinsend.
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