Kapitel 7
„Wo ist Mamoru eigentlich? Die Bar ist schließlich sein Bereich", merkte Himiko an, während sie hinter Touya hertrottete. Ihr Gesichtsausdruck war sichtlich besorgt, was Shota ebenso dazu veranlasste, sich Sorgen zu machen, auch wenn er es nicht zur Schau trug. Ihm war durchaus bewusst, dass auch der Yamada, den er kannte, ein eher ungesundes Verhältnis zu Alkohol hatte, doch hier schien es ein noch größeres Problem damit zu geben. So groß, dass diese jungen Menschen sich große Sorgen zu machen schienen.
Kurz wandte Toga sich um, und schien seinen nachdenklichen Blick gesehen zu haben, denn sie setzte ein leichtes Lächeln auf, in der Hoffnung, damit etwas Anspannung von ihm nehmen zu können. „In letzter Zeit war es wirklich nicht schlimm. Aber beim letzten Mal ...", sie brach ab, da sie es nicht über sich zu bringen schien, darüber zu sprechen. Als ihr das selbst bewusst wurde, wandte sie ihre Augen wieder nach vorne. „Er hatte uns versprochen, sich zusammenzureißen. Für uns", beendete sie ihren Satz stattdessen und trat nach dem Weißhaarigen durch eine Tür.
Eraserhead lief ein kalter Schauer über den Rücken, als seine Gedanken darum zu kreisen begannen, wieso ihre Miene plötzlich so einen verletzten Ausdruck angenommen hatte. Eines war ihm zumindest klar: Diese Jugendlichen sorgten sich um Hizashi. Vermutlich waren sie bereits länger zusammen hier in diesem Versteck. Bedeutete dies etwa, dass die Liga schon länger existierte und Present Mic, nein, Soundwave ein Teil von ihnen war, von Anfang an? Aber wieso hatten sie Shota dann nicht gefesselt, oder angegriffen? Wieso durfte er sich frei bewegen, obwohl sie seine Heldenlizenz gesehen hatten? Außerdem hatten sie ihn aus den Fängen der Polizei befreit. Das alles passte nicht in Aizawas Weltbild. Seine Schläfen begannen zu pochen.
Sich wappnend, was ihn wohl erwartete, folgte Shota den beiden durch die offene Tür. Den Raum erkannte er sofort wieder. Es war jene Bar, die die Liga früher als Stützpunkt verwendet und in der sie Bakugo gefangen hielten. Der Dunkelhaarige hatte die Tatortbilder gesehen, die nach der Befreiung des Schülers und den Kampf gegen die Nomus und All for One geschossen wurden. Da die Schurkeliga immer wieder seine Klasse angriff, hatte Aizawa viele Stunden damit verbracht, die Akten der Fälle zu studieren. Schließlich musste sich irgendwo der Grund verstecken, wieso gerade die angehenden Helden seiner Klasse so interessant für diese Schurken waren. Doch erst in diesem großen Kampf, der einem Krieg ähnelte, fiel es ihn wie Schuppen von den Augen: Sie waren hinter Midoriya her.
Im Augenblick fiel es ihm jedoch schwer daran zu glauben, dass die beiden jungen Personen, die vor ihm standen, dieser Vereinigung angehörten, die bereits so viele Menschenleben auf dem Gewissen haben sollten. Auch wenn er wusste, dass es nicht besonders rational war, sich von ihrem Äußeren und ihrem Verhalten so täuschen zu lassen, spürte er, dass keinerlei Bedrohung von ihnen auszugehen schien. Das alles verwirrte ihn, und er musste auch zugeben, dass es ihn etwas verunsicherte, da er sich sonst sehr gut auf sein Urteilungsvermögen verlassen konnte. Doch hier? Es fühlte sich an, als wäre er auf einem fremden und widersprüchlichen Planeten gelandet.
Das Geräusch eines Glases, das unbeabsichtigt gegen eine Flasche schlug, riss den Dunkelhaarigen aus seinen Gedanken. Mit wenigen Schritten war Touya an dem Tisch, an dem Hizashi saß, eine Flasche Whiskey bereits komplett geleert, während bei einer zweiten bereits ein Viertel fehlte, um jene Flasche an sich zu nehmen. „Du hast uns etwas versprochen. Schon vergessen? Wir brauchen dich, verdammt noch mal!", begann der Weißhaarige den Betrunkenen zu tadeln, „auch wenn Jin und Atsuhiro bei uns sind, du bist der, zu dem wir aufsehen! Unser Vorbild. Ohne dich wären wir nicht hier und verloren. Wir sind alle deine Lost Children!" Wütend hieb er mit der Faust auf den Tisch, doch von Yamada kam keinerlei Reaktion.
Sofort trat Toga näher heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Sei nicht so hart mit ihm. Er gibt sein bestes, und er hat genauso viel durchgemacht, wie wir alle", versuchte sie ihn daran zu erinnern, um ihm etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Es brachte nichts, wenn er sich selbst unglücklich machte und seine Nerven wegwarf.
Still hatte Aizawa die Szene beobachtet und zugehört, ehe er sich ein Glas von der Bartheke griff, Touya die Flasche abnahm und sich etwas einschenkte, ehe er sich Hizashi gegenüber niederließ. Der rotäugige Mann sah nicht einmal auf, sondern fixierte einen Punkt auf der Tischplatte, ehe er einen Schluck aus seinem Glas nahm. Bisher hatte er kein Wort gesprochen, was Shota ein wenig beunruhigte. Für gewöhnlich konnte der Blondschopf niemals seine Klappe halten. Doch diese Version von dem Mann, der vor ihm saß, wirkte wie ein komplett anderer Mensch. Er roch nach Zigaretten und Alkohol, wirkte nicht sonderlich gepflegt und hatte dicke Augenringe. Seine Miene wirkte müde und deprimiert.
Obwohl Shota kein Freund von simpler Konversation war und absolut keine Ahnung davon hatte, wie man jemanden aufmunterte, wollte er einen Versuch wagen. Schließlich fühlte er sich dafür schuldig, für dem Zustand des Blonden verantwortlich zu sein. Es war jedoch schwierig herauszufinden, wie er am besten anfangen sollte. Schließlich war ihm bewusst, dass Yamada wohl kaum ein Wort mit ihm wechseln würde, wenn er ihm nun Fragen stellte, oder zum Sprechen bringen wollte. Also musste er etwas tun, das ihm für gewöhnlich sehr widerstrebte: Er musste sprechen und bei seiner Erzählung weit ausholen. Für jemanden, der gewöhnlich gerne sofort mit der Tür ins Haus fiel und ungerne um den heißen Brei herumredete, war es ein schwieriges Unterfangen. Doch für Hizashi wollte er über seinen Schatten springen. Vielleicht fand er so auch endlich heraus, was er hier machte und wie er hierhergekommen war.
Nachdenklich runzelte er die Stirn, ehe er tief Luft holte. Wie sollte er diese Sache nur erzählen, ohne wie ein Wahnsinniger zu klingen? Langsam kam er sich tatsächlich wie ein solcher vor! Am besten war wohl, wenn er am Anfang begann. „Mein Tag hat vollkommen normal angefangen. Wir haben im Lehrerwohnheim gefrühstückt, auch wenn die Lage angespannt war, weil die Razzien der Heldenkommission auf dem Plan standen und unsere Schüler daran teilnehmen sollten, obwohl die Schurkenliga darin verwickelt war. Aber wir beide hatten auch persönlichere Gründe um bei der Aktion der Kommission mitzumachen. Vor ein paar Wochen erst haben wir herausgefunden, dass All for One und sein verrückter Doktor an der Leiche unseres Freundes herumexperimentiert und daraus einen Nomu namens Kurogiri erschaffen haben. Deswegen wollten wir ihn aufhalten und erfahren, wie viel Oboro noch in diesem Wesen steckt und ob wir ihm helfen können." Das Bild des dunklen Nebels blitzte vor ihm auf, ehe er sich kurz lichtete und das Gesicht des blauhaarigen Jungen freigab.
Auch wenn Shota während seiner Erzählung leicht im Gedanken versank, entging ihm nicht, wie Yamada sein Gesicht verzog, als er von Shirakumo hörte. Doch er kommentierte Aizawas Worte nicht und blieb stumm. Der Dunkelhaarige nahm das zum Anlass, fortzufahren.
„Nachdem wir beide uns von Eri verabschiedet und sie in Yagis Obhut zurückgelassen haben, und kurz ein paar Worte mit unseren Schülern gewechselt hatten, sind wir zu dem Team dazu gestoßen, dass das Krankenhaus stürmen sollte, in dem der Doktor sich versteckte und seine Experimente durchführte. Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, warst du mit X-Less hinter dem Alten und Shigaraki her, danach habe ich dich aus den Augen verloren. Nachdem Shigaraki aufgewacht ist, hat er das Krankenhaus komplett in Schutt und Asche gelegt. Wenn Crust nicht sein Leben geopfert hätte, wäre ich dieser Zerstörungskraft ebenfalls zum Opfer gefallen", erzählte er wehmütig, ehe er kurz verstummte und auf den Whiskey in seinem Glas starrte. Erst jetzt schien er so richtig zu begreifen, was in den letzten Stunden, die er in dieser Razzia und dem darauffolgenden Kampf verbracht hatte, so wirklich vorgefallen war. Es gab so viele Verluste. Sowohl bei den Helden, als auch bei den Zivilisten. Hoffentlich waren seine Schüler alle wohlauf. Und seine Freunde.
Sein Griff um das Whiskeyglas verfestigte sich, während er fortfuhr. „Am Ende bin ich auf dem Schlachtfeld gelandet und habe versucht, mit meiner Macke Shigarakis Zerstörung in Schach zu halten, damit die andere eine Chance gegen ihn haben. Manual und Rock Lock haben mir beigestanden, da mein Bein während der Flucht aus dem Krankenhaus verletzt wurde. Ich konnte lediglich verhindern, dass er seine Macken einsetzen konnte, allerdings hat der Doktor irgendetwas mit ihm gemacht, das ihn unglaublich stark werden ließ, stärker noch als All Might. Es war furchtbar zuzusehen, wie jeder Held, der es versucht hat, sich ihm in den Weg zu stellen, unterlegen war. Aber sie haben nicht aufgegeben. Irgendwann waren schließlich unsere Schüler da und haben gegen ihn gekämpft. Sie sind noch immer Erstklässler, aber bereits so viel stärker und mutiger als so mancher Erwachsener!" Es war kaum zu übersehen, wie stolz er auf seine Schüler war, auch wenn es ihm lieber wäre, wenn sie nicht in diesen Kampf verwickelt worden wären.
„Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, war Shigarakis Hand, die mein Gesicht zerquetscht, weil er meine Löschung loswerden wollte", schloss er seine Erzählung schließlich ab, „im nächsten Augenblick bin ich auf dem Rasen der UA aufgewacht, wo ein Kerl, der aussieht wie Oboro, mir helfen wollte, ehe ich meinen Namen genannt habe! Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, oder wo ich bin, oder wie ich hierhergekommen bin, und mir ist ebenso bewusst, wie verrückt sich diese Worte für andere anhören, da diese ... diese Welt hier eindeutig anders ist als das, was ich kenne." In seinen Ohren hörte auch er sich nun verrückt an, doch das konnte er wohl kaum mehr ändern. Schließlich wollte er die Aufmerksamkeit des anderen, aber ebenso sein Vertrauen gewinnen. Wie sollte das auch anders klappen, als mit der Wahrheit. Vermutlich würde er ihm ohnehin nicht glauben, auch wenn Yamada eine der schlausten Personen war, die Aizawa kannte.
Doch bisher hatte Hizashi kein Wort von sich gegeben. Auch wenn Shota es niemals zugeben würde, machte ein stummer Voicehero ihn eindeutig nervös. Bereits auf dem Weg zum Tartarus vor ein paar Wochen hatte er bemerkt, dass der Schmerz in Yamada genauso tief saß wie bei ihm selbst, doch der Blondschopf wusste es gut zu überspielen. Jener Hizashi vor ihm allerdings trug diese Emotion wie ein offenes Buch vor sich her. „Mittlerweile nehme ich an, dass ich durch eine Macke Shigarakis hierher gelangt bin, und es eine alternative Realität sein muss, in der nicht Shirakumo starb, sondern scheinbar ... ich." Das letzte Wort kam leise über seine Lippen.
Seine dunklen Augen fixierten Yamada die gesamte Zeit über, der es allerdings vermied, ihn anzusehen. Nun allerdings, als er diese Worte gehört hatte, wanderten sein Blick zu Shota, sodass der Dunkelhaarige zum ersten Mal die Tränen entdecken konnte, die über die Wangen des anderen liefen. „Hizashi", der Name kam leise über seine Lippen, „erzähl mir bitte, wieso du und Shirakumo so reagiert, wenn ihr meinen Namen hört, und wieso du hier bist, und nicht bei ihm und Nemuri, wo du hingehörst."
Er hatte es sich ausgemalt. Zig tausende Mal hatte Shota darüber nachgedacht: Wenn er damals gestorben wäre, dann hätten Hizashi und Oboro ein viel schöneres Leben gehabt. Weil sie besser mit einem Verlust umgehen konnten, einander beistanden und Aizawa entbehrlich war. Das alles hier widersprach allem, was er sich über die Jahre hinweg eingeredet hatte. Es wirkte so falsch. Unwirklich.
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