Kapitel 5
Kaum hatte Soundwave den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugeschlagen, war Shota allein mit seinen Gedanken. Seit fünfzehn Jahren tot. Er? Irgendwie kam ihm diese Geschichte ein wenig bekannt vor. Auch wenn sein Verstand laut schrie, dass er aufspringen musste, um den Blondschopf zu verfolgen und weitere Antworten zu erhalten, wollten seine Beine nicht auf ihn hören. Regungslos verharrte er auf dem Bett und lehnte seinen Kopf gegen die kühle Wand, in der Hoffnung, sie würde seinen Kopfschmerzen ein wenig Abhilfe verschaffen, damit er endlich klar denken konnte.
Fünfzehn Jahre war eine verdammt lange Zeit. Aizawa schauderte bei dem Gedanken. Vor all diesen Jahren war das Unglück passiert, an das er sich tagtäglich erinnerte, und das ihn noch immer verfolgte. Vor allem der Besuch im Tartarus hatte diese alte Wunde wieder aufgerissen. In den letzten Wochen musste er mit dem Wissen leben, dass Oboro zwar tot, doch sein Körper für Experimente benutzt worden war, und man aus ihm ein Kindermädchen für Shigaraki gemacht hatte. Hier jedoch schien der blauhaarige Junge mit der Wolkenmacke überlebt zu haben und nun gemeinsam mit Kayama an der UA zu unterrichten.
Aber hatte das zu bedeuten, dass es Shota damals erwischt hatte während des Praktikums? Vielleicht war er auch anders gestorben. Irgendetwas Furchtbares musste passiert sein. Ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken. Es war unvorstellbar, dass Hizashi sich nicht mehr Present Mic nannte und hier bei der Liga der Schurken herumlungerte. Wieso sollte jemand wie Yamada seine Träume einfach so wegwerfen?
Soundwave. Der Name klang nicht gerade nach einem Helden, doch Yamadas momentanes Auftreten als solches wirkte nicht nach jemanden, der andere retten und beschützen wollte. Was auch immer dazu geführt hatte, dass er hier gelandet war, musste ein furchtbar einschneidendes Erlebnis für den Voicehero gewesen sein. Obwohl Shota oft das Gefühl erweckte, er würde sich einen feuchten Dreck um den Blondschopf scheren, war das komplette Gegenteil der Fall.
Natürlich wusste er selbst, dass er die bedingungslose Freundschaft des anderen oft zu selbstverständlich nahm. Schließlich war Hizashi stets für ihn da, obwohl er nie darum gebeten hatte. Nun allerdings von diesem Mann so behandelt zu werden, war ungewohnt und hinterließ ein seltsames Gefühl in Shota. Für gewöhnlich war er es doch, der andere so behandelte. Nun so den Spiegel vorgehalten zu bekommen, ließ den Dunkelhaarigen endlich bemerken, wie falsch dieses Verhalten war. Aber vor allem merkte er, wie gut es täte, einen Freund zu haben in seiner momentanen Situation, mit dem er über alles reden konnte.
Im Augenblick spürte er, wie das Verlangen aufzustehen und Yamada zu folgen, um mit ihm zu reden, immer größer wurde. War es das, was für gewöhnliche Mic Tag für Tag dazu antrieb, um Aizawa auf den Geist zu gehen? Dieses Gefühl war nicht neu für Shota. Schließlich kümmerte er sich stets um jene, die ihm Nahe standen. Auch wenn er durchaus eine recht seltsame Art hatte, dies zu zeigen und nie sehr offen damit umging.
Grummelnd und stöhnend zwang er sich dazu, zur Bettkante zu rutschen. Vorsichtig setzte er ein Bein nach dem anderen auf den Boden, ehe er sich hochstemmte und zunächst ein wenig schwankte. Als das Auto herumgeschleudert wurde, war er ebenso heftig durchgeschüttelt worden, hatte sich einige blaue Flecken und Prellungen zugezogen. Doch wenn er ehrlich war, dann waren diese Verletzungen nichts gegen das, was während des Kampfes gegen Shigaraki passiert war. Schließlich hatte zuerst ein Nomu sein Bein gebrochen, welches er sich später selbst abgehakt hatte, nachdem ihn die mackenzerstörende Kugel getroffen hatte. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, waren die Finger des Schurken gewesen, die sich in sein Gesicht gegraben hatten. Wenn er so recht darüber nachdachte, war er vermutlich wirklich gestorben und hier in seiner eigenen Hölle wieder aufgewacht.
Die Kopfschmerzen und Prellungen, die er spürte, belehrten ihn jedoch zum Besseren. Egal wo er sich gerade befand, er war noch immer am Leben. Ansonsten würde er kaum solche Schmerzen verspüren. Nur langsam kam er voran, doch als er die Tür erreichte, glitt seine Hand automatisch zu seinem Hals. Er wollte seine Fangwaffe griffbereit haben, schließlich befand er sich noch immer unter der Schurkenliga, auch wenn er nicht genau wusste, ob er ihr Gefangener war, da er keine Fesseln trug und Mic hier herumlief.
Doch seine Finger fassten ins Leere. Sein Fangtuch und ebenso seine Brille waren weg, genauso wie das Messer aus seinem Gürtel. Er war also unbewaffnet und auf seine Nahkampfkünste angewiesen, die im Augenblick eingeschränkt waren. „Fuck", fluchte er leise. Doch wann hatte ihn das jemals aufgehalten? In den vergangenen Monaten hatte er oft genug gegen diese Personen gekämpft; er kannte ihre Macken und wusste, wo seine Vorteile und ihre Nachteile lagen.
Vorsichtig öffnete er die Tür, die tatsächlich nicht abgeschlossen war. Durch einen schmalen Spalt zwängte er sich nach draußen, da er nicht allzu sehr die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. Doch der Gang, den er betreten hatte, war wie ausgestorben. Nicht einmal eine Wache hatte man vor dem Raum abgestellt, in dem man ihn gebracht hatte. Ein sehr seltsames Verhalten für eine so gewalttätige Gruppe. Oder hatten sie damit gerechnet, dass seine Verletzungen schwerwiegender waren? Als ob seine Kopfschmerzen nicht ohnehin bereits schlimm genug waren, zerbrach er sich nun auch wegen so vieler Fragen den Kopf. Am liebsten hätte er wieder kehrt gemacht, um sich auf dem Bett zusammen zu rollen und zu schlafen. Diesem Gedanken durfte er allerdings nicht nachgeben, schließlich war er auf der Suche nach Antworten und durfte keine Zeit verlieren.
Eine Hand an der Wand behaltend, wagte er sich weiter nach vorne in die Höhle der Schlangen. Immer wieder kam er an Türen vorbei. Manche von ihnen waren geöffnet, manche verschlossen. Scheinbar befand er sich in einem Teil des Gebäudes, in dem sich die Schlafzimmer der Liga-Mitglieder befanden. Manche Räume wirkten, als ob Kinder oder Jugendliche sie bewohnten. Nichts von all dem erweckte den Anschein, das die Liga eine kriminelle Vereinigung war, die bereits zig Menschen getötet hatte. Wenn Shota es nicht besser wüsste, würde er sie für harmlos halten.
Immer weiter folgte er dem Gang, bis er sich plötzlich in einem Raum wieder fand, der wie ein Wohnzimmer wirkte. Ohne Vorwarnung stand er plötzlich mitten drin. Zu seinem Glück schien das Zimmer verlassen zu sein, zumindest konnte er niemanden entdecken.
Gerade als er jedoch erleichtert ausatmen und darüber nachdenken wollte, wie er weiter vorgehen sollte, trat jemand von hinten an ihn heran. „Oh, sieh mal einer an, wer da auf den Beinen ist!"
Das Blut schien in Aizawas Adern zu gefrieren. Wenn er die Stimme richtig zuordnen konnte, dann befand sich hinter ihm nun Himiko Toga, die weiter auf ihn zukam.
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