7 | Derek
„Einen wunderschönen guten Morgen. Wer ist heute dran mit dem Spruch des Tages?"
Ich musste an mich halten, nicht mit den Augen zu rollen. Was tat ich hier? Was sollte das bringen? Ja, alle hier hatten schwere Schicksalsschläge hinter sich und das tat mir leid, aber...was sollte es einem jeden von uns bringen, darüber mit den anderen zu reden? Es war doch gar nicht vergleichbar!
Zudem hatte ich so dämliche Gruppenbildung immer gehasst. ‚Oh, schau, wie gut wir sind, weil wir uns gegenseitig so positiv bestärken!' Kotz. Bestärkt euch gern so viel ihr wollt, aber wie wollt ihr es je allein schaffen, wenn ihr nur durch den Zuspruch anderer etwas zustande bekommt? Und wie sollte mir so ein Quatsch ausgerechnet bei diesem Thema helfen? Keiner konnte mich verstehen!
Und da kam er auch schon. Der so weise Sinnspruch, der alle lächeln und sanft nicken ließ. ‚Es ist besser, ein einziges kleines Licht anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.' Mir stieg die Galle hoch. Natürlich. Bloß nicht jammern. Aufstehen und weiter! Das war immer die Aussage.
„Irgendwas verbrennen würde ich gerade auch gern..." Mir entkam ein leises Schnauben und ich drehte mich fast schon amüsiert nach dem Murmeln um. Ein schlanker dunkelhaariger Mann mit zerstrubbelten Haaren und Dreitagebart saß mit verschränkten Armen schräg hinter mir und bei meinem Blick hatte er nicht mal den Anstand, zu erröten.
„Was denn?", blaffte er mich leise an und ich hob abwehrend eine Hand. „Nichts. Ich wollte nur wissen, wem es hier genauso gut gefällt, wie mir", erwiderte ich und drehte mich wieder nach vorn. Wenigstens saßen wir nicht in einem Kreis. Überhaupt erinnerte mich der Raum eher an die anonymen Alkoholiker und in einem Anflug von Zynismus fragte ich mich, ob ich hier eventuell falsch war.
„Ah, jemand, der ebenfalls kein Freund davon ist, Seelenstriptease vor mehreren Wildfremden zu machen, die dann salbungsvoll ihren Senf dazu geben?" Seine Worte ließen mich abermals schmunzeln und ich sah wieder zu ihm. „Ich kann mir wirklich Besseres vorstellen", bestätigte ich ihm seine Frage und er runzelte die Stirn.
„Und wer zwingt Sie dazu?" Ich feixte. „Meine Freundin." Dann seufzte ich. „Naja und die Tatsache, dass ich Therapien früher für komplett überflüssig gehalten habe, die Einzeltherapie mir aber erstaunlicherweise geholfen hat. Daher dachte ich, das könnte hier ja auch passieren."
Ein Grinsen erhellte das erstaunlich sympathische Gesicht des Mannes. „Dachten Sie das, oder ihre Freundin?", fragte er listig und ich lachte leise auf. „Touché. Wohl eher sie, ja." Ich legte meinen Kopf schräg. „Das klingt nach Erfahrung." Er nickte und rollte mit den Augen. „Meine Schwägerin...sie..." Er stockte. „Sie meinte, ihr habe es geholfen..." Er schluckte und der kurze Moment der Normalität schwand. Ich sah die Kerben, die der Kummer in seinen markanten Zügen hinterlassen hatte und mir wurde wieder bewusst, wo wir hier waren.
Ich nickte sacht und nahm einen Schluck Kaffee. Noch so ein AA Ding. Neben der Tür stand ein Tisch mit Kaffee und Keksen. Vielleicht sollte ich den anderen mal zuhören, wer wusste schon, ob ich mich nicht wirklich verlaufen hatte. Wäre nicht das erste Mal. Meine fehlende Orientierung war manchmal erschreckend.
Auch mein Gesprächspartner blieb stumm und so verfolgten wir unsere erste Stunde in dieser Gruppe, erfuhren, welche Verluste die anderen hatten erleiden müssen und wie sie damit umzugehen gelernt hatten – oder eben auch nicht. Denn das erfuhren wir auch. Es war nicht ‚Wir sind so toll, weil wir uns bestärken, und nun läuft es perfekt'. Es war ein ‚Es läuft scheiße. Und das ist okay.'
So war meine Stimmung am Ende der Stunde recht zwiegespalten. Ich hatte mich nicht drauf einlassen wollen. Doch schon jetzt spürte ich, wie mein Widerstand bröckelte, weshalb ich fast fluchtartig den Raum verließ, und mir vornahm, nie wieder hinzugehen!
Die nächsten Treffen liefen in etwa genauso ab, doch weigerte ich mich standhaft, mich zu beteiligen. Derek Moore, mein Gesprächspartner aus dem ersten Treffen, war mir dabei eine große Hilfe. Meist blieb er ebenso schweigsam wie ich und schien mit dem ganzen Gefühlskram nicht umgehen zu können. Wie auch?
Doch hatten wir beide uns angewöhnt, nach den Treffen immer noch auf einen Kaffee zusammenzubleiben und er war es auch, der meine Geschichte als erstes hörte. Und ich seine.
Derek hatte seine schwangere Frau bei einem Flugzeugabsturz verloren und machte sich deswegen immer noch schwere Vorwürfe. Dass er sie überhaupt hatte fliegen lassen, dass er nicht dabei gewesen war, dass er diese und keine andere Fluglinie gebucht hatte... Übliche Gedanken, die ich mehr als gut nachvollziehen konnte.
Die Gespräche mit ihm waren anregend, da er intelligent und sensibel war und einen herrlichen Hang zum schwarzen Humor hatte, der schon immer meine bevorzugte Art der Bewältigung gewesen war.
Und ebenso wie ich, kam er jedes Mal wieder, auch, wenn er noch so sehr grummelte und die Augen verdrehte.
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