4 | Zwist
Zu Hause angekommen raste ich die Treppe in mein Arbeitszimmer hinauf, welches ich schon eine Weile nicht mehr betreten hatte. Denn es war nicht wirklich für meine Arbeit, der ich in dem kleinen Café nachging, indem ich auf Benedict gewartet hatte, sondern eher der Raum, in dem ich alles hortete, was mit ihrem Tod zu tun hatte. So wenig es war.
Es sah aus, wie in einem schlechten Krimi. Zeitungsausschnitte und Fotos zierten die Wand über dem Schreibtisch, der zugemüllt war, aber nichts wirklich Wichtiges enthielt. Weil ich nie etwas Konkretes in der Hand gehabt hatte. Benedict hätte eigentlich bereits vor Monaten aufhören sollen zu suchen, da es keinerlei Hinweise gab, doch schien er weitergemacht zu haben, ohne mich zu informieren. Wahrscheinlich hatte er mir keine Hoffnungen machen wollen.
Wir waren uns in der Zeit nähergekommen. Nicht auf sexuelle Weise, aber wir waren etwas wie Freunde geworden in den Monaten, die er mit mir zusammen versucht hatte, Hinweise zum Tod meiner Tochter zu finden. Und, dass er nun ebenso wie sie tot war, riss die alten Wunden wieder auf.
Ich blickte auf den Stick in meinen Händen, während ich mit halbem Ohr die Stimme meiner Partnerin wahrnahm, die nach mir rief und die Treppe hinaufkam und ich saß immer noch still da, als die Tür aufging. „Aislinn? Liebste? Was...wie ist es gelaufen?", fragte sie und trat zu mir, ernst den Blick durch den Raum schweifen lassend, von dem sie sicher gehofft hatte, dass ich ihn alsbald entrümpeln würde. Nun, das war nun wieder in weite Ferne gerückt.
„Oh, Liebste! Wie siehst du denn aus?!", rief sie, als ihr Blick sich wieder auf mich legte und sie starrte mich erschrocken an. Ich sah an mir runter und bemerkte erst jetzt, dass Blut meinen hellen Pulli dunkel gefärbt hatte.
„Er ist tot." Ihr entgleisten die Züge und sie blinzelte fassungslos. „Er...was? Quatsch! Wie konnte er...Das...du musst dich irren!" Ich deutete aufgebracht auf meinen Pulli. „Sieht das so aus, als würde ich mich irren?!" Sie senkte den Blick. „Du...du hast recht, entschuldige", sagte sie rau und schluckte, griff nach meiner Hand. „Es tut mir so leid, Linn...", wisperte sie, Tränen in den Augen. „Ich weiß, wieviel es dir bedeutet hätte."
Ein schmerzliches Lächeln glitt mir über das Gesicht und ich drückte ihre Hand, die andere mit dem Stick hochhaltend. „Nun...es ist nicht ausgeschlossen, dass ich es immer noch erfahren kann", sagte ich fast triumphierend, auch, wenn mir Benedicts Tod nah ging. Lishas Kopf ruckte hoch und sie sah mich entgeistert an. „Wie...was?"
Die Intensität, mit der sie mich ansah, ließ mich leicht zerknirscht aufschauen. „Ich weiß, du willst, dass es vorbei ist, aber...Es ist nicht vorbei! Es wurde wieder jemand getötet!" Mein Blick huschte zwischen ihren dunklen Augen hin und her und ich hoffte so sehr, sie möge mich verstehen, so wie sonst auch immer. Doch riss sie ihre Hand aus meiner und verschränkte die Arme.
„Du weißt nicht, ob es etwas damit zu tun...", begann sie, doch unterbrach ich sie. „Lisha! Das kann nicht dein Ernst sein! So einen Zufall gibt es nicht, dass er keine Stunde, nachdem er mir die Nachricht geschickt hat, verstirbt!" Sie schnaubte und ihr Blick blieb fast hasserfüllt und doch voller Sorge an dem Stick hängen. Ich verstand sie, wirklich. Aber sie musste doch auch mich verstehen!
„Ich verspreche dir, vorsichtig zu sein und..." Diesmal unterbrach sie mich. „Linn! Himmel, hörst du dir selbst überhaupt zu?", fragte sie, die sonst so warme Stimme leicht schrill. „Caissy hatte einen schrecklichen Unfall! Ja, der Verursacher sollte unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden, aber... Es gibt absolut keinerlei Grund, ‚vorsichtig' sein zu müssen! Bitte verstrick dich jetzt nicht auch noch in Verschwörungstheorien!"
„'Auch noch'?!", brüllte ich zurück und deutete auf die Tür. „Verschwinde, wenn du mir nicht helfen willst! Das Offensichtliche sehen! Benedict ist tot! Und das ist ganz sicher KEIN ZUFALL!" Lisha sah mich mit großen Augen an, hatte ich sie in der ganzen Zeit nicht einmal so angeschrien. Dann sah sie mich kalt an und erhob sich. „Wir fahren um 18 Uhr zu meinen Eltern. Vergiss das bitte nicht. Und...vielleicht gehst du vorher nochmal duschen!"
Sie drehte sich auf dem Absatz um und rauschte aus dem Zimmer. Ich sah ihr betroffen nach. Ich hatte sie nicht anschreien wollen, aber... Mein Blick richtete sich auf den Stick und es kribbelte in meinen Fingern, ihn in den wartenden Laptop zu stecken. Ich öffnete ihn und verharrte, erneut einen Blick zur Tür werfend.
So sehr ich wissen wollte, was Benedict herausgefunden hatte, konnte ich Streit mit Lisha nicht ertragen. Sie hatte mich zu einem Zeitpunkt gefunden, zu dem ich alle Hoffnungen und auch mich aufgegeben hatte und es mit ihrer liebevollen warmherzigen Art geschafft, mich aufzufangen, mir wieder einen Sinn im Leben zu geben.
Sie war mein Sinn. Ich liebte sie mit einer Intensität, die mich manchmal selbst überraschte. Zumal ich es erst gar nicht bemerkt hatte. Nie hatte ich darüber nachgedacht, eine Beziehung zu einer Frau einzugehen. Nun wusste ich nicht mehr, wie ich es je hatte anders machen können.
Und deswegen schloss ich die Faust um den Stick und erhob mich. Ich würde duschen, mir etwas Schickes anziehen und meine Freundin zu ihrer Familie begleiten. Und danach...danach würde ich herausfinden, warum Benedict ebenso hatte sterben müssen, wie meine Caissy.
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