3 | Benedict
„Sie wollen, dass ich einen Unfall untersuche?"
Der Mann mit dem schütteren Haar sah mich durch den Dunst seiner Zigarette irritiert an und schob seine Brille hoch, die ihm den Nasenrücken hinabgerutscht war. Sie verlieh ihm ein wenig das Aussehen eines neugierigen Maulwurfs, was mich aber weit weniger belustigte, als es sollte. Ich lebte seit dem Unfall in einer Art Tunnel, der mir den Blick, oder eher das Interesse an allem, was nicht unmittelbar zum Ziel führte, verwehrte.
So nickte ich nur und er runzelte die Stirn. „Sie sind recht wortkarg, Miss, das sollten wir dringend ändern. Ohne Informationen werden wir hier nicht vorankommen." Er lehnte sich vor und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, räusperte sich dann. „Gut. Dann erzählen Sie mal, warum ich in einer Stadt wie Detroit, in der pro Tag dutzende Verbrechen begangen werden, ausgerechnet etwas untersuchen soll, das sich bereits als Unfall herausgestellt hat. Was genau denken Sie, werde ich herausfinden, was nicht bereits die Polizei herausgefunden hat?"
Meine Mundwinkel verzogen sich leicht, fühlte ich mich unangenehm an die Therapeuten erinnert, die ich seit dem Tag aufgesucht hatte. 'Was denken Sie, was sie nun machen sollten?' Verflucht, wenn ich das wüsste, wäre ich kaum bei ihnen! Ich atmete tief durch und zwang mich, meine Gedanken zu sammeln und ihn anzusehen.
„Es gibt keine Zeugen, keine echten Beweise dafür, was genau passiert ist. Man hat sie gefunden und die Obduktion hat den Schluss nahegelegt, es sei ein Unfall gewesen!" Die Wut, die mich seitdem erfüllte, kochte hoch und ich sah ihn an. „Sie sind sich nicht mal sicher!" Ich sprang auf und ging unruhig im Raum hin und her, spürte seinen Blick, der mir folgte.
„Und nun haben sie mir nach bereits ein paar Monaten diese Nachricht geschickt!" Ich warf ihm das Schreiben fast auf den Tisch, als ich es ihm reichte. Er griff danach und rückte die Brille zurecht, um es zu lesen, doch ließ ich ihm dazu keine Zeit. „Aufgrund fehlender Zeugen und Beweise stellen wir das Verfahren ein!" Ich schrie fast und begegnete seinem ernsten Blick mit einer Verzweiflung, die anscheinend sein Herz rührte.
Der Blick seiner braunen Augen wurde weich und er seufzte, deutete auf den Stuhl. „Setzen Sie sich, Mrs Mulligan." – „Miss", korrigierte ich automatisch und ließ mich, plötzlich kraftlos, auf den Stuhl fallen. Die Wut hatte sich, wie so oft in letzter Zeit, schneller verflüchtigt als früher, schien ich nicht mehr die Kraft zu haben, sie lange aufrecht zu erhalten.
Mit der Trauer, ebenso wie mit der Wut verhält es sich nämlich so: egal, wie traumatisch ein Verlust ist, unsere emotionale Ausdauer ist einfach begrenzt. Und irgendwann nutzt sich sogar Trauer ab. Und dann willst du etwas tun, das Bedeutung hat. Nun, an dem Punkt des Abnutzens war ich noch nicht, doch kam die Erschöpfung schneller als noch vor ein paar Monaten. Und ich wollte unbedingt etwas von Bedeutung tun! Ich wollte, nein, ich musste herausfinden, wer meiner Caissy das angetan hatte!
„Gut. Miss Mulligan." Er lächelte und erhob sich, uns beiden Kaffee einzuschenken. Die Tasse drückte er mir in die kalten Hände und setzte sich mit seiner auf seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch. Der erste Schluck brannte heiß in meiner Kehle, doch begrüßte ich den Schmerz, ebenso wie die Bitterkeit des starken Getränks.
„Wir wollen also nicht nur herausfinden, wer es war, sondern auch, ob es überhaupt ein Unfall gewesen ist? Verstehe ich Sie da richtig?" Ich nickte. In mir brannte einfach die Sicherheit, dass es einen Grund geben musste, warum meine Caissy hatte sterben müssen. Es konnte nicht Zufall gewesen sein.
Etwas von meinen Gedanken schien sich in meinem Blick widerzuspiegeln – oder der Detektiv kannte solche Fälle wie mich einfach bereits. Er schwieg einen Augenblick und betrachtete mich. „Glauben Sie wirklich, dass es kein Unfall war, oder wollen sie es glauben?", fragte er und diesmal schwieg ich einen Moment.
„Spielt das eine Rolle? Ich bezahle Sie für Ihre Ermittlungen so oder so", erwiderte ich dann und erntete ein Lächeln. „Das ist richtig, Miss Mulligan, aber anders, als man denkt, sind mir die Menschen, für die ich arbeite nicht egal und es würde gegen meine eigenen Moralvorstellungen gehen, jemandem Geld aus der Tasche zu ziehen, obwohl sicher ist, dass meine Nachforschungen zu keinem Ergebnis führen. Zumindest nicht zu dem gewünschten."
Ich nickte und nahm einen Schluck Kaffee. „Ich kann einfach nicht akzeptieren, dass es ein Unfall gewesen ist. Ich weiß, wie es klingt und ich weiß, dass es typisch in diesem Stadium der Trauer ist, Leugnung..." Ich schnaubte und mein Gegenüber musste schmunzeln. „Aber das ist es nicht. Ich bin mir sicher, dass da mehr hinter steckt. Und selbst, wenn Sie herausfinden, dass es wirklich nur irgendein betrunkener Idiot gewesen ist, dann haben Sie hoffentlich zeitgleich den Namen dieses Wichsers!"
Meine Finger krallten sich um die Tasse. „Allerdings erklärt das nicht, was meine Tochter dort gemacht hat. Mitten in der Nacht. In einem halbverlassenen Wohnviertel an der East Side!" Erneut überwältigte mich das heftige Schuldgefühl, die Stadt nicht verlassen zu haben, als ich schwanger wurde. Jeder wusste, dass Detroit eine der gefährlichsten Städte der USA war. Die Mordrate war zehnmal höher als der US-Durchschnitt.
Ich fuhr mir durchs Haar und erneut sah ich Verständnis in den Augen von Mister Williams stehen. Er schien kurz zu überlegen, nickte dann aber. „Gut. Sie haben mich. Offensichtlich sind Sie nicht so realitätsfern, wie es die Situation durchaus hergeben und entschuldigen würde. Und Sie brauchen eine Antwort. Egal, wie diese ausfallen wird."
Erleichterung durchfuhr mich und wir begannen, über mein Leben und das meiner Tochter zu sprechen. Etliche Tassen Kaffee und Zigaretten später machte ich mich auf den Weg nach Hause. Endlich hatte ich nicht mehr dieses erdrückende Gefühl der Hilflosigkeit in mir. Ich tat etwas und ich würde die Person finden, die für Caissys Tod verantwortlich war! Und Benedict würde mir dabei helfen.
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