21 | Zufall?

„Was wollte die Bishop von dir?"

Ich sah Derek an und zuckte mit den Schultern. „Sie meinte, ich sähe müde aus. Und da ich schon zum zweiten Mal zu spät gekommen bin, wollte sie ihre Sorge ausdrücken", erwiderte ich augenrollend. Doch statt zu lachen, sah er mich ernst an.

„Naja, du siehst wirklich müde aus." Sein Blick wurde mitfühlend. „Wird es dir zuviel?" Ich schloss kurz die Augen und unterdrückte ein genervtes Stöhnen. „Ja. Ich war nur lange wach! Natürlich sehe ich müde aus, Himmel nochmal." Derek nahm seine Hand von meinem Arm und grinste. „Schon gut, es war ja nur eine Frage." Er zwinkerte. „Warum warst du denn solange wach? Habt ihr etwas Neues herausgefunden?"

Ich sah mich um und deutete mit dem Kopf zu unseren Autos. „Lass uns was Trinken gehen, dann erzähl ich dir davon. Ich möchte das nicht so offen besprechen." Derek schien zwar etwas verwirrt und sah sich mit eben jenem Ausdruck im Gesicht um, hob dann aber die Schultern. „Na klar, wenn du das möchtest. Ich habe eh Durst."

In einem Café in der Nähe setzte ich mich so an einen Tisch, dass ich die Eingangstür im Auge behalten konnte. Zuvor hatte ich mir die wenigen Gäste angesehen, die bereits dort saßen, doch keiner machte den Eindruck, gefährlich zu sein; zumal uns eh niemand beachtete. Leider auch nicht die Bedienung, sodass ich aufstand und am Tresen unsere Bestellung aufgab.

„Du vermisst die Arbeit, wie ich sehe", witzelte Derek, als ich mit unserem Kaffee an den Tisch zurückkam und ich feixte. „Total. Ich hoffe echt, dass ich freundlicher bei der Arbeit wirke, als die Halbtote da drüben." Erschrocken errötete ich und sah verlegen zu Derek. „Du weißt schon, wie ich das meine." Er grinste. „Klar. Und nun schieß los. Was gibt es Neues?"

Ich setzte mich wieder und nahm einen Schluck Kaffee. „Einiges. Lisha und ich waren gestern Abend noch bei Professor Rymer." Derek riss die Augen auf. „Echt?" Dann stockte er. „Warte, nicht mehr Professor Slymer?" Ich spürte meine Wangen erneut warm werden und hob die Schultern. „Nein...", sagte ich zögerlich. „Irgendwie glaube ich nicht mehr, was im Netz steht."

Dereks Blick konnte man nur als fassungslos bezeichnen. Dann wütend. „Aislinn, dein gutes Herz in allen Ehren, aber so kann das nicht weitergehen!" Ich starrte ihn etwas schockiert an, doch er war noch nicht fertig. „Ganz im Ernst! Erst Keith, nun der Professor... Du bist erschreckend naiv! Bist du dir sicher, dass du den Mörder wirklich finden willst?!"

Nun ging er zu weit. Ich knallte meinen Kaffee auf den Tisch und sah ihn aus funkelnden Augen wütend an. „Wage es nicht, mir zu unterstellen, ich würde diese verabscheuungswürdige Person nicht finden wollen...Wage es nicht!", wiederholte ich lauter, als er etwas sagen wollte und schnitt ihm so das Wort ab.

„Du hast keine Ahnung, was in mir vorgeht!" Mit fast gierig wirkenden Augen sah er mich an. „Dann sag es mir! Auf mich wirkst du, als seist du nicht sicher, was du willst!" Sein Blick wurde eindringlich. „Ich weiß, dass du niemandem etwas Schlechtes unterstellen willst, immer das Gute im Menschen siehst, aber hier...ist es unangebracht, Linn. Mit so einer Einstellung übersiehst du eventuell etwas Wichtiges!"

Ich starrte Derek immer noch zornig an, während die Gedanken in mir rasten. Auf der einen Seite war ich im höchsten Maße empört und wütend, dass er mir Naivität unterstellte, auf der anderen meldete sich ein leises schüchternes Stimmchen in mir, dass er nicht vollkommen falsch lag. Ich hatte Schwierigkeiten damit, in jemandem etwas Böses zu sehen. Doch war diese Eigenschaft in diesem Fall nicht beteiligt. Da war ich sicher.

So atmete ich tief durch, mich zu beruhigen und wischte mit meiner Serviette die Kaffeeflecken vom Tisch, die das ungestüme Abstellen meines Bechers verursacht hatte. Dann hob ich den Blick. „Ich weiß, du meinst es bestimmt gut, Derek, aber wenn du mir noch einmal unterstellst, ich würde Caissys Mörder*in nicht finden wollen, sind wir geschiedene Leute."

Derek sah, dass es mir ernst damit war und senkte den Blick. Alle Kraft schien ihn zu verlassen und er ließ die Schultern sacken. „So meinte ich es nicht, Linn, entschuldige", sagte er reumütig und seufzte. „Es ist nur... Ich möchte zum einen nicht, dass dir etwas passiert und zum anderen befürchte ich wirklich, dass deine Gutherzigkeit dich einigen Dingen gegenüber blind machen könnte."

Dir gegenüber vielleicht? Es stimmte schon, ich hatte bisher jede eigenartige Anwandlung von Derek immer für nicht so wichtig erachtet, sie auf seine Trauer und das, was ihm passiert war, geschoben. Was, wenn das alles einen ganz anderen Grund hatte? Vielleicht hatte Dr. Bishop mich nicht nur allgemein, sondern wirklich vor Derek als Person warnen wollen?

Du wirst langsam paranoid, Aislinn! Ich fuhr mir über das Gesicht und nahm erneut einen tiefen Atemzug. Was denn nun? Entweder ich übersah alles Böse, oder war paranoid und vermutete überall Böses. Beides ging nicht. Derek sah mich weiterhin mit diesem Hundeblick an und ich musste grinsen. Die Anspannung und das komische Gefühl verließen mich und ich schnalzte mit der Zunge.

„Okay, okay. Entschuldigung angenommen. Und du hast sicher irgendwo recht, ich sehe eher das Gute im Menschen. Doch das ist es hier nicht, Derek. Es ist mehr als das und wenn du dabei gewesen wärst, würdest du wissen, was ich meine." Derek entspannte sich, als der Streit gebannt war und legte den Kopf schräg. „Wie sieht Lisha das denn?"

Ich errötete. Mist. „Naja...sie...naja, du kennst sie. Männer sind per se schonmal suspekt und wenn es dann noch solche Geschichten über sie gibt, ist es schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen." Derek schmunzelte und nickte. „Realistisch, nenne ich das." Augenrollend lehnte ich mich mit verschränkten Fingern vor und sah ihn herausfordernd an.

„Nun, dann lass es uns überprüfen." In Dereks Augen schimmerte sofort Neugierde, sodass ich fortfuhr. „Deswegen wollte ich nämlich auch mit dir sprechen. Du hast doch im IT Bereich gearbeitet, oder?" Er nickte und ich lächelte erfreut. „Kannst du eventuell herausfinden, wer hinter einigen Posts und Kommentaren im Netz steckt?"

Derek lachte. „Solange er sich nicht zu verstecken versucht, ist das kein Problem. Und selbst wenn würde ich ihn finden, es würde nur einen Moment länger dauern", sagte er selbstgefällig und ich grinste. „Sie", erwiderte ich und er sah mich irritiert an, woraufhin ich lachen musste. „Naja, es ist eine ‚sie', die du überprüfen sollst."

Nun grinste er. „Das ist noch lange nicht gesagt."

„Doch", beharrte ich, nun selbst irritiert. „Es sind die Kommentare zu #professorslymer." Derek verdrehte die Augen und sah mich ein wenig mitfühlend an. „Ach, Linn, ich vergesse immer, wie unbedarft du in solchen Dingen bist. Nur, weil es ein weiblicher Name ist, der den Account führt, heißt das doch nicht, dass wirklich eine Frau dahintersteckt."

Ich fühlte mich direkt dumm. Natürlich nicht. Das hatte ich eigentlich gewusst, nur war es mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass eventuell ein Kerl hinter den Kommentaren saß. Ich stutzte. Das würde das alles ja nochmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen – wenn es auch nichts für mein Interesse änderte.

Für mich kam der Professor eh nicht mehr als Mörder in Frage. Ich sah, abgesehen von seinem Wesen, welches nicht das eines Täters zu sein schien, einfach kein Motiv. Nicht für einen Mord. Dazu war er ein zu logischer Mensch. Außerdem hatte er uns wegen Mike Roosevelt einen Tipp gegeben. Das hätte er sicher nicht getan, wenn er ihn selbst geschmiert hätte, damit er einen Unfall bescheinigte.

Außer er wollte, dass du genau das denkst. Ja, aber bis ich in diese psychologischen Tiefen tauchte, wollte ich erst alle logischeren Wege abgehen. Ich sah unwillkürlich auf mein Handy, dann zu Derek. „Da ist noch etwas, was du wissen solltest...", begann ich, verstummte aber dann. Er sah mich erwartungsvoll an und ich räusperte mich. „Sag mal...was denkst du, wie schwer ist es, jemandem eine SMS zu schicken und die Nummer dann sofort zu deaktivieren?"

„Wie bitte?", fragte Derek verwirrt und obwohl ich ihn sehr genau beobachtete, sah ich nicht das kleinste verräterischste Zucken. Okay, ich hatte auch nicht wirklich damit gerechnet, aber mir war urplötzlich der Gedanke gekommen, dass Derek sicher ausreichend technisch versiert war, so etwas durchzuziehen.

„Naja, jemand schickt eine SMS und wenn der andere antworten will, steht da ‚Nummer nicht existent'. Wie geht das? Ist das schwer?" Derek schien immer noch nicht zu wissen, wohin das führen sollte, zuckte aber mit den Achseln. „Also es ist nicht besonders schwer...warum fragst du?" Er sah mich stirnrunzelnd an und ich reichte ihm mein Handy, auf dem ich bereits die SMS geöffnet hatte.

Seine Augen weiteten sich, als er die Nachricht überflogen hatte. „Wann hast du das bekommen?!", stieß er hervor und sah mich alarmiert an. „Gestern, kurz nachdem wir uns getrennt haben. Benedict ist falsch geschrieben", setzte ich murmelnd hinzu und blickte auf die Nachricht. Derek überhörte meinen Zusatz und dachte kurz nach. „Also bevor ihr zu dem Professor seid, ja?" Ich nickte. „Aye, weit davor. Einer der Gründe, warum ich nicht denke, dass er etwas damit zu tun hat, da er ja noch gar nicht gewusst hatte, dass wir kommen. Oder, dass ich überhaupt recherchiere."

Derek wiegte den Kopf hin und her. „Das muss es nicht unbedingt heißen. Du kannst ja auch beobachtet worden sein. Schon zuvor." Mir lief bei der Vorstellung ein kühler Schauer über den Rücken und unwillkürlich zog ich die Schultern an und sah mich um. „Ja, ich weiß...offensichtlich, sonst hätte ich die Nachricht gar nicht bekommen, oder?"

Derek zögerte mit der Antwort, hob dann eine Schulter. „Kommt darauf an, wie nah du dem Täter bereits warst." Diesmal wurde mir richtig kalt und ich verkrampfte die Finger ineinander, war die Vorstellung, ich hätte Caissys Mörder*in bereits gesehen, einfach zu gruselig. Derek sah mir meine Gefühle offensichtlich an, denn er erhob sich und setzte sich neben mich, einen Arm um mich legend.

„Mach dir keine Sorgen, Linn", sagte er ruhig und rieb meinen Arm auf und ab. „Wir finden ihn, bevor er noch jemandem schaden kann." Ich schluckte. „Woher willst du das wissen?", fragte ich und meine Stimme klang selbst in meinen Ohren ungewöhnlich hell. Er lächelte leicht und warf sich etwas in die Brust. „Weil ich unfassbar viel Sherlock Holmes gelesen habe. Mit mir an deiner Seite wirst du ihn bald schnappen."

Prustend lachte ich auf und stieß ihm nachlässig meinen Ellenbogen in die Seite. „Idiot", sagte ich lächelnd und er grinste, während er auf seine Seite zurückging. „Wenn du das sagst, ist das ein Kompliment", kam es amüsiert von ihm und ich schüttelte augenrollend aber lächelnd den Kopf. Sein Unsinn hatte mir die Anspannung wieder genommen, die mich in letzter Zeit immer öfter überfiel.

„Und da du nun wieder lächeln kannst, hole ich mein Notebook und dann sagst du mir nochmal, was genau du von mir brauchst, okay?" Ich nickte und er sprintete zu seinem Wagen, in dem er offensichtlich mehr mit sich führte, als nur eine Sonnenbrille und sein Lieblingsalbum. Wobei er sicher einen Stick mit Musik hatte...oder sowas.

Als er wieder da war, lotste ich ihn auf die richtige Seite und er begann, die Kommentare unter dem Hashtag #professorslymer zu prüfen. Ich stieg schon nach den ersten paar Minuten aus und starrte abwesend auf die kryptischen Zeichen und Aussagen, die auf dem Bildschirm auftauchten, als Derek in die Tiefen des Netzes abtauchte.

Zum Glück dauerte es nicht lange und er lehnte sich mit einem Grinsen zurück. „Gute Nachrichten, Linn. Also...glaube ich. Der Professor hatte recht. Die kommen alle von einer Person. Sie ist nicht schlecht gewesen, aber auch nicht besonders einfallsreich. Neue Konten mit anderen Benutzernamen, damit es oberflächlich nach eigenständigen Menschen aussieht, aber dann ein- und dieselbe Kontaktadresse zu nutzen für die Konten, ist schon etwas dumm."

Der süffisante Tonfall und das selbstzufriedene Grinsen Dereks ließ auch meine Mundwinkel nach oben wandern. „Naja, ich hätte das nicht rausgefunden." Derek winkte ab. „Geschenkt, du bist ja auch einfach..." Ich sah ihn mit schmalen Augen gespielt böse an. „Einfach was?" „Nichts." Er grinste. „Du bist einfach, was PCs angeht."

Er lachte, als ich vor Empörung nach ihm schlug und wich nach hinten aus. Dann grinste ich wieder, da er ja recht hatte. „Wie auch immer. Weißt du, von wem die Kommentare kommen?" Derek nickte und deutete nun fassungslos auf den Bildschirm. „Sie ist wirklich extrem mittelungsbedürftig in den sozialen Medien. Weswegen ihr wahrscheinlich auch die Idee gekommen ist, den Professor auf diese Art zu diskreditieren." Er sah nochmal auf den Bildschirm. „Linda Nolan heißt sie."

Ich riss die Augen auf. „Dein Ernst?" Er nickte. „Ja, wieso?" Dann zuckte er zusammen. „Warte...hieß nicht so eine aus der Gruppe um Caissy?" Ich nickte und wir beide starrten uns an. „Zufall?"


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