2 | Kein Unfall...
Meine Finger trommelten auf der Platte des Cafétisches herum. Wo blieb er?! Warum war er immer noch nicht da? Immer wieder sah ich zur Tür, stand schließlich auf und ging hinaus, die Straße auf- und abzublicken, doch nichts. Vielleicht ist ihm etwas passiert. Mir wurde kalt. Ach, das war doch Unsinn! Er ermittelte in einer Unfallsache mit Fahrerflucht! Beziehungsweise ermittelte er ja nicht mal mehr.
Benedict Williams. Es war ein Glücksfall gewesen, dass ich auf ihn gestoßen war, als ich, blind vor Trauer und Wut, nach jemandem gesucht hatte, der mir helfen konnte. Die Behörden hatten den Fall abgeschlossen. „Unfall mit Fahrerflucht". Und mir hatten sie deutlich gemacht, dass sie zwar ermitteln würden, jedoch keine Hoffnung hatten, je herauszufinden, wer ihr das angetan hatte. Keine Zeugen, keine Beweise, nichts.
Da ich mich damit nicht hatte zufriedengeben können – natürlich nicht! – hatte ich mich auf die Suche nach jemandem begeben, der sich in der Umgebung auskannte, eventuell ein paar Verbindungen hatte. Leute kannte, die mehr herausfinden konnten. Und ich fand Benedict. Ein jung gebliebener Mittfünfziger mit schütterem braunen Haar und einer solcher Brillen aus den Achtzigern. Also den Achtzigern des 19. Jahrhunderts. Rund, klein und immer dabei, ihm von der Nase zu rutschen.
Und er hatte geraucht wie ein Schlot. Als wolle er das Klischee eines Detektivs unbedingt erfüllen. Ein leichtes versonnenes Lächeln huschte über mein Gesicht, hatte Benedict mir über die allererste Zeit hinweggeholfen, indem er sich des Falles annahm und ernsthaft zu ermitteln begann. Immer hielt er mich auf dem Laufenden und ich bin mir sicher, dass er sich weit mehr mit mir beschäftigt hat, als er es hätte tun müssen.
Doch selbst seine Ermittlungen waren im Sande verlaufen und er hatte aufgeben müssen. Dies hatte mich erneut in ein tiefes Loch stürzen lassen, aus dem ich ohne Lisha nie wieder hinausgekommen wäre. Benedict hatte mir immer mal wieder geschrieben, doch waren seine Nachrichten in den letzten Monaten weniger geworden. Bis heute.
Ich zuckte zusammen, als neben mir die Sirene eines vorbeirauschenden Krankenwagens ohrenbetäubend zu jaulen begann, während er auf die Kreuzung zuraste. Wie in Trance begann ich zu laufen und sprang ins Auto, während die dunkle Vorahnung mir die Brust zuschnürte. Mit quietschenden Reifen fuhr ich los, das Hupen der Autos ignorierend, die ich schnitt, dem Krankenwagen hinterherzukommen.
Lass es nicht wahr sein, lass es nicht wahr sein! Meine Gedanken rasten immer nur um die Möglichkeit, dass meinem Ermittler, dass Benedict etwas passiert war. Aber warum? Wie...? Er kam der Wahrheit zu nah und musste verschwinden... Ich lachte nervös auf. Das war, wie gesagt, nicht möglich! Und dennoch...dennoch hatte ich eiskalte Finger, als ich um die Ecke schlidderte.
Ich sah den Krankenwagen halten, sah den blutigen Körper, der auf der Straße lag und mir wurde schwarz vor Augen. Mit einen Ruck hämmerte ich den Fuß auf die Bremse und ich kann nur dem Fahrer hinter mir für seine Fahrkünste danken, die verhinderten, dass ich das nächste Opfer eines Unfalls wurde.
Ein Unfall...Hektische Flecken tanzten vor meinen Augen, die ich so fest zusammenpresste, wie ich konnte, während ich mich auf meine Atmung konzentrierte. Ein Unfall...nein, das war es hier sicher nicht. Benedict war nur ein weiteres Opfer des oder der Namenlosen, die Caissy auf dem Gewissen hatten. Ihr blutüberströmter Körper...wie weggeworfen...
Heiße Tränen liefen mir über die Wangen, doch schluckte ich sie runter. Verdammt! Ich brauchte nun einen klaren Verstand! Die Kontrolle über meine Gefühle! Sie würden mich sonst nur ablenken. Die Spur war so frisch, wie noch nie und ich musste ihr folgen. Kein Unfall...
Schnell stieg ich aus dem Wagen und rannte zu den Sanitätern, die bei dem Körper hockten und versuchten zu retten, was nicht mehr zu retten war. Meine Augen huschten über ihn. Benedict. Er war es tatsächlich. Trauer überkam mich kurz. Und Reue. Doch ich würde dafür sorgen, dass sie nicht damit davonkamen.
Hektisch suchte ich die Umgebung nach seinen Sachen ab. Er hatte immer einen alten verschlissenen Rucksack dabeigehabt, wenn wir uns trafen. Doch sah ich nichts außer den Sachen, die er am Leibe trug. Dort! Hielt er nicht etwas in der verkrampften Hand? Das Adrenalin rauschte durch meinen Leib, während ich fieberhaft nachdachte, wie ich unbemerkt darankommen konnte. Irgendwas sagte mir, dass es von Bedeutung war, was er selbst im Tod noch fest umschlossen, fast verborgen, hielt.
Bevor ich wirklich nachdenken konnte, warf ich mich laut weinend auf ihn, krallte mich in sein Hemd, den Oberkörper halb über der verkrampften Hand, die meine zitternden Finger öffneten. Ein kleiner fester Gegenstand wechselte den Besitzer, als ich auch schon von ihm gezogen wurde.
„Miss...bitte...Sie behindern uns in der Arbeit...Bitte warten Sie hier..." Ich schluchzte, nickte aber und zog mich zurück. Einige Schaulustige sahen noch einen Moment zu mir, doch da ich kein weiteres Drama mehr bot, beobachteten sie lieber, wie Benedict auf eine Trage gelegt und zum Krankenwagen geschoben wurde. Ohne Eile. Auf diese war er nicht mehr angewiesen.
Als die Sanitäter die Türen schlossen, war ich bereits in der Menge zu meinem Auto verschwunden und mit klopfendem Herzen, der Blick panisch auf allen und jedem, der auch nur grob in meine Richtung sah, davongefahren.
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