15 | Abbremsen

„Das kaufst du ihm doch nicht etwa ab, oder?"

Ich bugsierte den Wagen gerade vom Gelände und sah kurz zu Derek, der mich ungläubig anstarrte, als ich unsicher die Schultern hob. „Nicht dein Ernst!", sagte er und ich fühlte mich bemüßigt, mich zu erklären. „Naja, weißt du", begann ich und überprüfte den Verkehr, bevor ich abbog. „Er benimmt sich komisch, keine Frage. Aber das ist eben seine Art, denke ich. Es muss nicht unbedingt gelogen sein, dass er sie vermisst."

Derek schwieg und ich wusste, er war nur zu höflich, mir zu sagen, dass ich mir nur nicht vorstellen konnte, jemand hätte meine Tochter nicht mögen können. Vielleicht hatte er sogar recht. „In seiner verdrehten Welt ging er davon aus, dass sie verliebt waren. Das glaube ich ihm irgendwie."

Das Schnauben meines Beifahrers ließ mich kurz zu ihm sehen, doch war er mit seinem Handy beschäftigt. „Also zumindest mit der verdrehten Welt hast du sicher recht", sagte er und sah mich dann an. „Aber all das ‚es tut mir leid, was passiert ist' und ‚sie fehlt mir so' waren reine Floskeln. Der Typ vermisst, wenn überhaupt, dann nur die Vorstellung, eine Freundin zu haben. Er ist der typische Narziss. Die haben gelernt, Emotionen vorzutäuschen, empfinden sie aber nicht wirklich."

Meine Augenbrauen wanderten nach oben. Schon wieder so eine „tiefenpsychologische" Aussage von Derek. Ja, ich maß mir mittlerweile auch an, ein wenig mehr über die menschliche Psyche zu wissen, einfach, weil wir wöchentlich mit der von verschiedensten Menschen und deren Analyse durch eine Therapeutin ausgesetzt waren, aber das hier war etwas übertrieben, fand ich.

„Ach komm, dazu muss man kein Psychologe sein", wehrte Derek ab, als ich ihm dies sagte und zuckte dann mit den Achseln. „Ich fand ihn einfach ziemlich kalt dafür, dass er doch seine angebliche Freundin verloren hat, die er angeblich so geliebt hat." Da musste ich ihm recht geben und schwieg daher. Das schien er als Sieg zu verbuchen und atmete zufrieden aus.

„Kommen wir also zu Professor Slymer", sagte er motiviert und ich schüttelte direkt den Kopf. „Nein...nicht mehr heute. Ich mein, da können wir ja nicht einfach auftauchen", wehrte ich ab und klopfte mit den Fingern aufs Lenkrad, während ich auf grün wartete. „Da muss man sicher einen Termin machen und..."

„Er hat gleich offene Sprechstunde", unterbrach mich Derek mit einem sehr selbstzufriedenen Klang in seiner Stimme und ich sah irritiert zu ihm. „Und das weißt du, weil...?", fragte ich und er hielt mir grinsend sein Handy hin, auf dem eine Seite der Universität mit den Sprechzeiten der Professoren zu sehen war.

Derek wackelte mit den Augenbrauen, als ich ihn ein wenig verschnupft ansah. „Nun schau nicht so. Du willst es doch auch wissen." Auch hier hatte er wieder recht, doch schüttelte ich erneut den Kopf. „Ich will da nicht so Hals über Kopf hin. Das erfordert etwas Planung. Außerdem hat Lisha bald Feierabend und ich habe versprochen, sie abzuholen."

Hatte ich nicht, aber ich brauchte einfach wirklich etwas Zeit, mir über das Treffen mit einem Professor Gedanken zu machen, der sich eventuell an meine Tochter rangemacht hatte. Bei dem Gedanken durchfuhr es mich heiß und meine Finger krampften sich um das Lenkrad. Derek, der mich musterte, nickte nach einem Moment und lehnte sich im Sitz zurück.

„Klar", stimmte er tonlos zu, sog dann aber Luft ein. „Allerdings...", setzte er nach. „Wenn man bedenkt, dass der, der Caissy ermordet hat, gerade erst auch deinen Freund um die Ecke gebracht hat, sollte man meinen, ein wenig Eile wäre angebracht, oder?", fragte er leichthin, doch konnte ich den Seitenblick von ihm sehen, der mir zeigte, wie wichtig ihm das war. Und das war lieb, keine Frage.

„Im Ernst, Aislinn!", drängte er, als er mein Zögern bemerkte und setzte sich auf, mich eindringlich anzublicken. „Da darf man jetzt nicht nachlassen. Sondern muss direkt weitermachen. Nur so kannst du ihn finden!"

„Oder sie...", korrigierte ich automatisch und er zischte genervt. „Ach, scheiß drauf!" Die Heftigkeit seines Ausbruchs, ließ mich erstaunt zu ihm sehen. So kannte ich ihn gar nicht. Das schien auch er zu bemerken, denn seine Augen blitzten auf und ein reuiges Lächeln legte sich auf seine Lippen.

„Entschuldige. Du hast natürlich recht. Etwas mehr Vorbereitung tut da bestimmt gut.", lenkte er ein „Und wer weiß, vielleicht ist es sogar besser, wenn du mit Lisha dahingehst. Zwei Frauen lassen ihn sicher eher reden." Er lächelte mich versöhnlich an und ich musste schmunzeln.

Da war er wieder. Der Derek, den ich kannte und der mich nicht unter Druck setzte, sondern den Freiraum ließ, mit meinen Emotionen umzugehen. Auch das lernten wir in der Therapie. Dennoch schätzte ich an Derek, dass er es – meist – umzusetzen wusste.

Ich fuhr auf den Parkplatz des Dime Stores und hielt neben Dereks Wagen. Derek setzte sich auf und lächelte mich an. „Sag aber Bescheid, wenn du Neuigkeiten hast, ja, Aislinn?" Das Lächeln erwidernd nickte ich. „Natürlich. Danke, dass du eben dabei warst." Dereks Grinsen wurde jungenhaft und seine Augen blitzten.

„Es war mir ein Vergnügen", sagte er und ich glaubte ihm dies sofort. Er stieg aus und winkte mir nochmal zu, während ich mein Handy zückte, Lisha anzurufen. Es war Mittagszeit. Vielleicht konnten wir zusammen essen. Dann konnte ich ihr vom Besuch bei Keith erzählen und ihre Meinung dazu hören. Da sie nicht ranging, versuchte ich es bei ihrer Arbeit. Ihr Chef nahm ab.

„Oh, hi, Sal", sagte ich. „Ist Lisha schon zu Mittag?" Meine Augen wanderten die Straße entlang, während ich der Antwort lauschte. „Lisha? Äh, nein", erwiderte Sal und die Verwirrung in seiner Stimme ließ mich meine Aufmerksamkeit wieder ganz dem Telefonat widmen. „Was heißt ‚äh, nein'?", fragte ich etwas besorgt und Sal räusperte sich.

„Nun, sie hat schon Feierabend gemacht. Sie meinte, du brauchst sie zu Hause", sagte er vorsichtig und nun schwankte sein Tonfall zwischen Unsicherheit, ob er mir das sagen durfte und etwas Verstimmung, dass Lisha ihn anscheinend belogen hatte. Ich musste lächeln. „Oh, alles gut, Sal. Sie meinte das bestimmt ehrlich, da wir zu Hause wirklich gerade ein wichtiges Projekt haben. Nur bin ich zurzeit nicht dort und wusste es daher nicht. Sie wollte mich sicher überraschen."

Ich konnte Sal seine Erleichterung förmlich anhören, als er seufzte. „Oh, das ist gut. Es hätte mich auch gewundert, wenn sie gelogen hätte." Ich musste schmunzeln, sagte aber nichts dazu, sondern verabschiedete mich nur von ihm. Danach schrieb ich Lisha eine Nachricht, dass ich auch gleich zu Hause wäre und fuhr los.

Das laute Hupen und das Quietschen von Reifen ließen meinen Puls in die Höhe schnellen und fest in die Bremsen treten. Haarscharf fuhr ein dunkelblauer Pickup an mir vorbei, wild hupend, während der Fahrer erbost mit der Faust drohte. Unwillkürlich musste ich bei dem Anblick des davonfahrenden Autos lachen, auch wenn mein Körper heftig zu zittern begann, als die Anspannung von mir abfiel. Das war knapp gewesen.

Wieder hupte es neben mir und erinnerte mich daran, dass ich halb auf der Straße stand und ich fuhr schnell weiter. Verflucht, ich musste wirklich aufmerksamer sein. Das Ganze zehrte offensichtlich mehr an meinen Nerven, als gedacht. Nicht sehr überraschend, oder? Nein, eigentlich nicht. Dennoch hatte ich es irgendwie verdrängt.

Mein Handy summte und an der nächsten roten Ampel, sah ich schnell auf das Display. Anders als erwartet, war es nicht Lisha, die mir schrieb, sondern eine mir unbekannte Nummer. Ich runzelte die Stirn und öffnete die Sms. ‚Hör auf, weiterzuforschen, oder es ergeht dir wie deinem Freund Benedikt!'

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